Eastwood mit Hauptdarsteller Bradley Cooper
Clint Eastwoods umstrittener neuer Film "American Sniper"

"American Sniper": Clint Eastwoods umstrittener neuer Film

Clint Eastwoods umstrittener neuer Film "American Sniper"

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Der Muezzin ruft zum Gebet, preist in monotonem Lautsprechersingsang die Größe Allahs, noch ehe das erste Bild dieses Films erscheint. Das ist der Sound des Islam, davor graut der westlichen Welt, denn sie assoziiert ihn mit dem Terror, der sie heimgesucht hat, und der Todesangst, mit der sie nun leben lernen muss. Politisch aktueller kann ein amerikanischer Unterhaltungsfilm nicht beginnen. Die Einstellungen, die darauf folgen, zeigen, wie die Vereinigten Staaten diese Angst exorzieren: mit dem Stahl ihrer Panzer und dem ruhigen Blick durch die Zielfernrohre ihrer Hochleistungswaffen. „American Sniper“ erzählt die Lebensgeschichte eines hocheffizienten Scharfschützen, eine true story, die eigentlich Steven Spielberg hätte inszenieren sollen, aus Budgetgründen aber zurücklegte.

Pflicht ins Dunkel

So legt nun Clint Eastwood, bald 85 Jahre alt, seine bereits 34. Regiearbeit vor. Und sie markiert, eher unerwartet, einen späten Karrierehöhepunkt: Nie zuvor hat ein Eastwood-Film derart viele Zuschauer erreicht. Weit über 300 Millionen Dollar spielte „American Sniper“ in den acht Wochen seit seinem Start allein an amerikanischen Kinokassen ein, gut doppelt so viel wie Eastwoods bislang erfolgreichstes Werk, „Gran Torino“ (2008) – oder so viel wie seine fünf vorigen Filme zusammen. An die 90 weitere Millionen lukrierte der Film bislang international – Deutschland und Österreich noch ausgenommen, wo „American Sniper“ erst Ende dieser Woche in die Kinos kommt. Die US-Einspielergebnisse sind auch deshalb so überraschend, weil sich dieser Film eben nicht an die etablierte Teenager-Zielgruppe wendet, sich als sogenanntes „adult drama“ mit den psychologischen Folgen eines realen Kriegs befasst. Diese Zahlen seien aber „superhero movie numbers“, wie ein Hollywood-Analyst unlängst im Branchenblatt „Variety“ staunte – Zahlen also, an die üblicherweise nur Comics- und Superheldenfilme herankommen. „American Sniper“ ist der in den USA lukrativste Kriegsfilm aller Zeiten.

Er rettet Leben, indem er andere auslöscht

In Hollywood sind solche Superlative stets Resultat anderer Superlative: Um den „tödlichsten Heckenschützen der US-Geschichte“, so die Werbezeile, dreht sich Eastwoods neuer Film, um eine vom patriotischen Amerika nahezu mythisch verehrte Gestalt, die in vier langen Einsätzen im Irak rund 160 Menschen erschoss und von seinen Kollegen „legend“ genannt wurde. Er war als Navy SEAL zwischen 1999 und 2009 Todesschütze und Lebensretter zugleich: Chris Kyle, 1974 geborener Texaner, wurde 2013, ein Jahr nach Erscheinen seiner Autobiografie, an einem Schießstand von einem kriegstraumatisierten 25-Jährigen erschossen. Nun war die Legende Chris Kyle jedoch, darauf legt Eastwood Wert, einer wie du und ich, kein tumber Auftragskiller, sondern ein Gefühls- und Familienmensch, angetrieben von dem Wunsch, seinem Land zu „dienen“. Bradley Cooper, bislang eher als Komödiant aufgefallen (in der „Hang-over“-Serie und zuletzt etwa in „American Hustle“), spielt Kyle als leutseliges Muskelpaket und als perfekten Eastwood-Helden: als Pragmatiker, der weder zu Arroganz noch zu Selbsthass neigt, sein Talent eben dort einsetzt, wo es gebraucht wird. Er rettet Leben, indem er andere auslöscht. Er weiß, dass seine Seite die gute ist, und auch sein Regisseur zweifelt daran keine Sekunde. In „American Sniper“ ist die Gegenseite nur ein dreckiger Block, sind „die Iraker“ bloß dehumanisierter Terrorismus, ein Schurkenkonglomerat, in dem auch Frauen und Kinder grundsätzlich nichts anderes im Sinn haben als Selbstmordattentate und Beihilfe zum Mord. Aber der Krieg heiligt die Mittel, denn nichts kann so teuflisch sein wie Al-Kaida: Mit dieser Sicherheit bewegt man sich immer, egal wie man handelt, jenseits des Bösen.

Geradlinig und unverblümt

Dabei ist „American Sniper“ ein kompetent inszenierter Film, geradlinig und unverblümt, ohne melodramatischen Orchester-Soundtrack und ohne unnötige Abzweigung ins Experimentelle oder Poetische. Das Handwerk des Filmemachens, wie es die Hollywood-Stilisten der klassischen Ära – Howard Hawks, Don Siegel, Sam Peckinpah – betrieben, beherrscht Clint Eastwood spätestens seit „Unforgiven“ (1992) fraglos. Die Biografie des Scharfschütze Kyle geht bei ihm allerdings so glatt auf wie ein Royal Flush beim Poker: Der autoritäre Vater erzieht den Sohn zum Leittier und zur Alpha-Maskulinität, bringt ihm das Schießen bei und den Einsatz von Gewalt überall dort, wo Unschuldige, die einem nahestehen, in Gefahr sind. Die schöne Frau an der Bar (Sienna Miller), die der junge Rekrut anspricht, wird umweglos zur Ehefrau und Mutter; sie muss fortan bangen um das Leben ihres Mannes und klagen über seine Selbstvergessenheit, wenn er zwischen zwei Einsätzen Zeit zu Hause verbringt. Aber sie hat kein Recht, ihn egoistisch über das Wohl ihres Vaterlandes zu stellen, es zieht ihn in den Kampf, er tut nur seine Pflicht und rettet Leben – und wer, wenn nicht er, wäre in diesem Job so gut? Die Geschlechterverhältnissen der 1950er-Jahre sind bei Eastwood sehr intakt. Für die moralisch-politischen Implikationen seiner Erzählung interessiert er sich dagegen überhaupt nicht.

"War-on-Terror-Fantasy"

Es passt zu dem umstrittenen Projekt „American Sniper“, das im „Time Magazine“ als „grimmiger, smarter Kriegsfilm“ bezeichnet und in der New Yorker „Village Voice“ als „War-on-Terror-Fantasy“ abqualifiziert wurde, dass auch sein Regisseur eine höchst ambivalente Figur ist, in der sich der Stoizismus Buster Keatons mit dem Machismo John Waynes mischt: ein konservativer Ironiker, der als Traditionalist im liberalen Hollywood Karriere machte, als Old-School-Routinier in einer High-Tech-Branche. Eastwood hält seinen Kritikern nun schlecht gelaunt entgegen, dass er „American Sniper“ selbstverständlich als Anti-Kriegsfilm sehe, dass er als Republikaner und Obama-Gegner durchaus kein Freund der Kriege im Irak und in Afghanistan gewesen sei. Aber das alles hatte er schon besser hingekriegt: In seinem Kriegsmelodram „Letters From Iwo Jima“ (2006) hatte Clint Eastwood amerikanischen Triumphalismus verweigert, indem er seinen Humanismus gerade im gegnerischen Blick, in der Erzählperspektive des japanischen Militärs, verankerte.

Um es mit einem Eastwood-Filmtitel des Jahres 1997 zu sagen: Mitternacht im Garten von Gut und Böse, das war einmal. Inzwischen ist es in Eastwoods Kino, soweit es um ethische Fragen geht, taghell, eindeutig und geheimnislos. Krieg ist nicht schön, aber Helden sind darin doch gern gesehen. Ob die Menschen in Russland und der Ukraine, wo der Kinostart von „American Sniper“ Mitte März stattfinden soll, viel Freude an diesem Film haben werden, darf bezweifelt werden.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.