"Helmut Berger, Actor"

Andreas Horvath: „Helmut Berger ist mittlerweile friedlicher denn je“

Andreas Horvath: „Helmut Berger ist mittlerweile friedlicher denn je“

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profil: Was hat Sie an Helmut Berger fasziniert? Andreas Horvath: Mich hat an Berger immer schon das ganz gleichberechtigte Nebeneinander von großer Kultur und Profanität fasziniert. Da ist einerseits dieser großartige, äußerst sensible Schauspieler, der dem Kino einige der schönsten Momente beschert hat, andererseits dieser selbstzerstörerische, völlig hemmungslose Mensch, der vor allem sich selbst gegenüber mit der größten Rücksichtslosigkeit begegnet und keine Schamgrenzen zu kennen scheint. Das hat mich zunächst interessiert, weil ich es nicht begreifen konnte. Im Lauf der Dreharbeiten ist mir aufgefallen, wie sehr das bei Berger mit Einsamkeit und der Sehnsucht nach Kommunikation zu tun hat. Diese Exzesse passieren ihm nicht einfach, sie sind großteils sehr bewusst inszeniert und gesteuert. Er erinnert mich oft an einen mittelalterlichen Hofnarren, der die Freiheit hat, Leute durch seine Provokationen nicht nur zum Lachen zu bringen, sondern ihnen auch augenzwinkernd den Spiegel vorzuhalten. In seinen grandiosesten Momenten sagt uns Berger mehr über das menschliche Dasein, als über sich selbst.

profil: Berger gilt als äußerst schwierig. Wurden Sie nicht gewarnt, sich dieser Figur zu nähern? Horvath: Doch, natürlich, aber davon wollte ich mich nicht abhalten lassen.

profil: Berger lebt von seinem Exhibitionismus. Haben Sie versucht, seinem Schauspiel Einhalt zu gebieten? Horvath: Mir war immer klar, dass das Spiel ein wichtiger Bestandteil des Films sein würde. Trotzdem habe ich versucht, Geschichten aus ihm herauszubekommen, aber das hat er mehr oder weniger konsequent verweigert. Sehr bald habe ich mich daher entschlossen, auf seine Spiele einzusteigen und dadurch den Film zu dem werden zu lassen, was meine Zeit mit ihm für mich bedeutet hat: eine emotionale Achterbahnfahrt.

Helmut Berger hat immer schon das Schöne und das Hässliche vereint.

profil: In Ihrem Film verschwimmt der vordergründig dokumentarische Stil mit scheinbar gescripteten Szenen. Wie authentisch kann und muss eine Dokumentation überhaupt sein? Horvath: Das Wort Dokumentation ist für mich grundsätzlich fragwürdig in Zusammenhang mit dem, was ich tue. Was ist eine Dokumentation – und was ist schon authentisch? Aber eines kann ich versichern: Es ist nichts gescriptet in diesem Film. Selbst die letzte Szene, in der Berger masturbiert, kam völlig überraschend für mich. Ich konnte gerade noch rechtzeitig die Kamera einschalten. Natürlich gibt es bei mir auch so etwas wie eine Inszenierung, aber die entsteht eher im Schnitt.

profil: Berger hat sich von der Superstar-Schönheit zu einem Berserker des Boulevard verwandelt. Hat Sie dieser tiefe Fall interessiert? Horvath: Es wird oft vergessen, dass bei Berger, wie eingangs erwähnt, das Schöne und das Hässliche stets nebeneinander standen. Insofern kann man nicht wirklich von einem „tiefen Fall“ sprechen: damals der Schöne, der Künstler – heute der tragisch Gealterte? Man muss nur seine Autobiografie oder alte Interviews lesen, um zu sehen, dass Berger mit 20 bereits dieser Berserker war.

profil: Voyeurismus und Exhibitionismus halten einander bei „Helmut Berger, Actor“ die Waage. Wenn Berger vor der Kamera onaniert: Provoziert hier der Regisseur, oder der Schauspieler sein Publikum? Horvath: Weder noch. Da ist wieder der Hofnarr, der uns den Spiegel vorhält: Wenn sich jemand davon provoziert fühlt, kann man nichts machen. Die letzte Szene mag schwierig anzusehen sein, aber sie ist dramaturgisch berechtigt und im Gesamtkontext absolut wichtig, weil sie Berger endlich wirklich entfesselt, gelöst und glücklich zeigt. Da fällt jede Maske – und das ist natürlich entscheidend in einem Film, in dem es um das Spiel mit Masken und Verstellungen geht. Ich bewundere ihn dafür, dass er das ganz bewusst zugelassen hat.

profil: Haben Sie auch die Person hinter dem Actor kennen gelernt? Horvath: Ja, das kommt im Film auch vor. Helmut Berger hat viele sehr ehrliche Momente zugelassen. Vor allem in seinen nächtlichen Telefonanrufen, aber auch die sonstigen emotionalen Ausbrüche sind ja grundsätzlich nicht gespielt. Er gibt sich outriert, steigert sich hinein, spielt mit der Übertreibung – deswegen entsteht vielleicht teilweise der Eindruck, er spiele uns etwas vor. Aber wie es zu diesen Ausbrüchen kommt, ist ja nicht gespielt. Wie so oft steckt das Interessante zwischen den Zeilen, in beiläufigen Momenten. Berger brüllt, ist aggressiv, wird handgreiflich. Aber wie ist es dazu gekommen? Wie hat sich das entwickelt? Das alles verrät viel über ihn und seine Gedankenwelt.

profil: Mit dem Mimen liefern Sie sich mehrere Wortgefechte. Drohte Ihr Projekt während der Dreharbeiten zu scheitern? Horvath: Ja, von Anfang an. Seine Drohungen, aufzuhören, die Zusammenarbeit zu beenden, waren ja stets ernst gemeint. Dazu reichte oft schon der geringste Anlass. Ich wusste bereits nach ein paar Tagen nicht, ob ich je genug Material für einen Film bekommen würde. Und das war der Beginn, dann erst kam die Reise nach Saint-Tropez. Erst nach ein paar Monaten hatte ich die Gewissheit, in jedem Fall einen Film machen zu können. Wesentlich dafür waren auch seine Nachrichten auf meiner Mailbox und die Rolle seiner Haushälterin Viola.

profil: Auch körperlich kommt Ihnen Berger gefährlich nahe. Konnten Sie je Vertrauen zu ihm aufbauen? Horvath: Wir haben heute, nachdem die Dreharbeiten beendet sind und er den Film gesehen hat, das beste Einvernehmen. Er war sehr angetan von meiner Arbeit und ist mittlerweile friedlicher denn je.

profil: Als Dokumentarist lieben Sie sperrige, spröde, gefährliche Themen. An welchem Projekt arbeiten Sie momentan? Horvath: Ich arbeite an meinem ersten Spielfilm, den Ulrich Seidl produziert. Es ist die Geschichte von Lillian, einer Russin in New York, die eines Tages zu Fuß zurück in ihre Heimat aufbricht. Diese Frau hat es tatsächlich gegeben. Sie wurde 1929 von Arbeitern in den Wäldern von British Columbia aufgegriffen, unterwegs zur Beringstraße. Niemand weiß, was aus ihr geworden ist.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.