Danielle Spera und Toni Faber im profil-Dialog
Nahost-Konflikt

„Es wäre wahrscheinlich auch mit Steinen geworfen worden“

Die jüdische Kulturmanagerin Danielle Spera und der Dompfarrer Toni Faber über die Wurzeln des neuen Antisemitismus, Aggressionen bei Demos, historische Missverständnisse und ihr gemeinsames Buch „Wie ein jüngerer Bruder”.

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Dieser Krieg hat eine Form des Antisemitismus an die Oberfläche gebracht, bei dem auch als links punzierte Künstler und Intellektuelle eine Rolle spielen. Wo liegen die Wurzeln?
Spera
Oft ist es Unwissen. Auch bei Journalist:innen, muss ich leider sagen: Viele waren nie vor Ort, übernehmen Agenturberichte ungeprüft und richten dennoch über ein Land, das sie nicht kennen. Und mit dessen Entstehung sie sich auch nie historisch auseinandergesetzt haben. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, im Zuge wachsender Verfolgungen, haben europäische Juden von arabischen Großgrundbesitzern Land erworben, das nichts mehr als steinige Wüste war. Sie haben es, obwohl sie keine Bauern waren, bewässert und bewohnbar gemacht. Das ist der eigentliche Ursprung des Staates Israel – noch vor Theodor Herzl und der zionistischen Bewegung. Und jetzt wird von Besatzern geredet, die die Palästinenser unterdrücken. Und viele plappern das einfach völlig unreflektiert nach, siehe die SJ Alsergrund.
Herr Dompfarrer, der Stephansplatz war ein Austragungsort von polizeilich verbotenen Befreit-Palästina-Demonstrationen. Fühlt man sich von der Exekutive ausreichend geschützt?
Faber
Die Polizei hat gut daran getan, nicht hineinzufahren.
Trotz der Hassparolen?
Faber Entsetzliche Dinge wurden da gesagt, die darauf abzielten, einem Volk seine Existenz abzusprechen. Die Situation war aber derart aggressiv aufgeladen, dass sie sonst mit Sicherheit eskaliert wäre, und es wäre wahrscheinlich auch mit Steinen geworfen worden. Aber die Demonstranten wurden alle polizeilich erfasst und angezeigt. Wir müssen jetzt Kante zeigen.
Spera 
Diese Demonstrationen müssen uns aber auch die Augen öffnen, wie hoch der Anteil der Radikalen in der muslimischen Bevölkerung in Österreich ist. Auch der Attentäter, der im November 2020 mordend durch die Wiener Innenstadt zog, war Österreicher und besuchte hier eine Schule, seine Eltern waren Einwanderer aus Mazedonien. Man muss sich die Frage stellen: Wie kann es passieren, dass junge Menschen in unserem Land dermaßen und offensichtlich weitgehend unbemerkt radikalisiert werden können? Welche Rolle spielen die Eltern, denn dieses Gedankengut kommt ja nicht von ungefähr. Nur ein erschreckendes Beispiel, das sich auch in unserem Buch, einem Dialog über Judentum und Christentum, wiederfindet: Der Enkel eines Wiener Rabbiners, zwölf Jahre alt, spielte vor wenigen Wochen in einem Park Fußball. Ein anderer Bub kam auf ihn zu und forderte ihn auf, seine Kappe abzunehmen. Auf die Frage nach dem Grund antwortete der: „Ich will sehen, ob dir wirklich Hörner aus dem Kopf wachsen.“ Und das im 21. Jahrhundert.
Herr Dompfarrer, Sie sagten zuvor: „Wir müssen Kante zeigen.“ Wie meinen Sie das?
Faber
Toni Faber
Wir Katholiken müssen Hand in Hand gehen mit der jüdischen Bevölkerung, aber auch mit den Muslimen. Das ist auch die ganz klare Vorgabe des Papstes: in den Dialog zu treten mit den Religionen. Erst gestern war der Direktor des muslimischen Zentrums mit seinen Jugendvertretern bei mir. Unser aller klares Bekenntnis ist: Wir sind auf der Seite derer, denen Gewalt angetan wurde. Aber auch an der Seite jener, die Opfer von Gegengewalt geworden sind.

 

Spera
Bitte um Einspruch beim Wort Gegengewalt. Israel übt keine Gegengewalt aus, sondern verteidigt sich legitim. Kein anderes Land der Welt würde das, was die Hamas unschuldigen zivilen Opfern in Israel angetan hat, hinnehmen. Ein Verwandter aus unserer erweiterten Familie wurde in seinem Kibbuz, der sich direkt neben dem Gazastreifen befindet, erschossen, seine Frau konnte sich in den Schutzraum retten und musste das alles mitanhören. Mein Mann (Martin Engelberg, ÖVP-Mandatar und Psychoanalytiker, Anm.) ist gerade vor Ort, und es ist kaum zu ertragen, was er beim Identifizieren der Opfer sehen musste.
Aber das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza kann man in dieser Debatte nicht ausklammern.
Spera
 Die Bevölkerung von Gaza befindet sich in Geiselhaft der Hamas, die ihre Zentrale Berichten zufolge unter einem Spital hat. Die Hamas verfügt über ein großes Vermögen, lässt aber ihr eigenes Volk hungern. Mir fällt kein Land ein, das in einem Krieg steht und wie Israel über dem Gebiet des Feindes Flugblätter abwirft, auf denen die Bevölkerung aufgerufen wird, sich in Sicherheit zu bringen. Im Süden von Gaza haben Hilfsorganisationen bereits Zeltstädte aufgebaut, Lebensmittel, Medikamente und Infrastruktur sind vorhanden, im Gegensatz zur verbreiteten Meinung, dass es dort nichts gibt.
In der Israel-Kritik wird der Gaza-Streifen häufig als „Freiluftgefängnis“ bezeichnet.
Spera
 Das ist ein absurder Vergleich. Ich war vor ein paar Monaten direkt am Grenzübergang. Täglich sind Tausende, wenn nicht Zehntausende aus Gaza zur Arbeit nach Israel gependelt, Gaza ist seit 2005 frei. Die Israelis haben alles mitgenommen, sogar ihre Toten aus den Friedhöfen, aber eine gut funktionierende Infrastruktur hinterlassen. Und was ist passiert? Es wurde alles zerstört, weil es vom Feind war, und die Hamas wurde gewählt. Ägypten hat den Grenzübergang geschlossen, doch das wurde ausgeblendet.

Die Kulturmanagerin Danielle Spera und der Wiener Dompfarrer Toni Faber haben gemeinsam ein Buch geschrieben, in dem sie sich mit Verbindungen, aber auch Missverständnissen zwischen Judentum und Christentum in Gesprächsform auseinandersetzen. „Wie ein jüngerer Bruder” erscheint am 7. November im Amalthea-Verlag. Die aktuellen Ereignisse haben das Gespräch jedoch in ganz andere Bahnen gelenkt: Auf dem Stefansplatz, also vor Toni Fabers „Arbeitsplatz” finden Pro-Palästina-Kundgebungen statt, die zur Zeit in riesigem Ausmaß  weltweit statt finden. Danielle Spera kennt Israel wie ihre zweite Heimat, ihr Mann Martin Engelberg reiste kürzlich nach Israel und war bei der Identifikation der Leichen des Hamas-Terroranschlags vor Ort. 

Der neue Antisemitismus, der jetzt in Europa zutage tritt, ist eine Mischform aus linken und rechten Randgruppen mit islamistischem Fundamentalismus.
Faber
 Diese Mischung hat aber tatsächlich schon immer existiert. Und zieht sich durch die ganze Geschichte. Markantes Beispiel war der Wiener christlichsoziale Bürgermeister Karl Lueger. Auch unter den Sozialdemokraten fanden sich immer wieder Antisemiten. Quer durch alle Parteien und Religionsgemeinschaften hat sich aus dem Bodensatz immer eine Form des Antisemitismus ihren Weg gebahnt.
 Die katholische Kirche war da durchaus auch ein großzügiges Verbreitungsorgan.
Faber
 Asche auf unser Haupt, da haben wir viel Schuld auf uns geladen, aber auch unser Lehrgeld bezahlt. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965, Anm.) war ein bahnbrechender Schritt, denn damals wurde das Recht auf Religionsfreiheit verankert.
Und dennoch passieren immer wieder antisemitische Ausrutscher – auch dem inzwischen verstorbenen Papst Benedikt.
Faber
 Da wurden Zitate aus dem Zusammenhang gerissen, aber natürlich hätte eine solche Rede niemals vor der Weltöffentlichkeit passieren dürfen.
 Seit der Flüchtlingswelle 2015 wird auch immer wieder von einem importierten Antisemitismus gesprochen.
Faber
Da hätten wir vorsichtiger handeln müssen, denn dadurch sind oft militante Ideologien und neben dem Antisemitismus auch Frauenfeindlicheit und ein Hass gegenüber Homosexuellen in unser Land gekommen.
Spera
 Wir erfahren immer wieder von Hinrichtungen homosexueller Menschen in Gaza.
Faber
 Wir wollten aber alle lieb und offen sein und haben uns diesen Weltanschauungen nicht gestellt. Dafür mussten und müssen wir Lehrgeld bezahlen.
Spera
 Die Politik hat die Willkommenskultur zelebriert. Vermutlich hat man sich wenig Gedanken gemacht. Ich habe damals als Direktorin des jüdischen Museums sofort unsere Türen geöffnet und Flüchtlinge aus dem Irak, Syrien oder Afghanistan eingeladen, die österreichisch-jüdische Geschichte kennenzulernen. Mit großem Zuspruch. Viele von diesen Besuchern wussten nicht, dass auch Tausende Juden und Jüdinnen einst flüchten mussten, um der Vernichtung durch die Nazis zu entgehen. 
Wie stehen Sie jüdischen Intellektuellen gegenüber, die ihre Stimmen jetzt für Palästina erheben, oder Organisationen, die sich „Juden gegen Zionismus“ nennen?
Spera
Wenn Juden meschugge sind, dann sind sie sehr meschugge.
Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort