Burt Bacharach

Burt Bacharach: "Ich hasse Vorschriften“

Der legendäre Komponist und Hitproduzent Burt Bacharach wird am 1. Juli als Stargast beim Jazzfest in der Wiener Staatsoper aufspielen. Im profil-Gespräch erklärt er seine Methoden und erinnert sich an Dionne Warwicks stimmliche Bandbreite, Marlene Dietrichs Steak-Smoothies und einen konsternierten Frank Sinatra.

Drucken

Schriftgröße

Interview: Thomas Mießgang

profil: Ihre Songs wirken meist ungemein leicht und beschwingt. In Ihrer Autobiografie schreiben Sie aber, dass das Komponieren oft sehr mühevoll gewesen sei. Was war es denn nun: Musenkuss oder Arbeitsschweiß? Burt Bacharach: Ich habe es mir vielleicht schwerer gemacht als die meisten anderen. Ein Lied ist eine kurze, kompakte Einheit, keine Symphonie. Es rast in dreieinhalb, höchstens vier Minuten am Hörer vorbei. Also will man als Komponist die bestmögliche Form dafür finden. Ich schaue mir jeden fertigen Song noch einmal sehr genau an, versuche Verbesserungen vorzunehmen. Manchmal sehe ich am nächsten Morgen etwas, das mir am Vorabend nicht einmal aufgefallen ist.

profil: Der Superhit, der einem an der Bushaltestelle einfällt, den man in zehn Minuten auf einer Papierserviette notiert, entspricht nicht Ihrer Art des Songschreibens? Bacharach: Nein, für mich kann das Komponieren ein langer Prozess sein, und er ist unmittelbar damit verknüpft, was rundherum vorgeht. Wie die Musiker bei der Aufnahme spielen, wie ein Schlagzeug-Rhythmus klingt, der plötzlich in die Melodie einbricht, ob Streicher dabei sind oder nicht - all diese Faktoren gestalten mit, welche Form ein Song am Ende annehmen wird.

profil: Sie hatten beim Komponieren oft Partner - vor allem den legendären Textautor Hal David, der 2012 starb, in den 1980er-Jahren auch Ihre damalige Frau, die Sängerin und Songwriterin Carole Bayer-Sager. Mussten Sie sich je anpassen oder Kompromisse suchen? Bacharach: Mit Carole war es schwierig, obwohl uns gemeinsam ein paar große Hits gelangen. Sie war mit den Texten meist schnell fertig und langweilte sich, während ich ewig an der Melodie bastelte.

profil: Nach einer sehr harmonischen Zusammenarbeit klingt das nicht. Bacharach: In dem Song "That’s What Friends Are For“ lautete die erste Zeile ursprünglich "I never thought I’d feel this way“. Doch das passte nicht zum Auftakt des Liedes: da-dam. Da war eine Sechzehntelnote vorgelagert, die vom Text geschluckt wurde. Ich stritt mit Carole lange herum, wie man den Rhythmus des Verses anpassen könnte. Bis sie schließlich genervt sagte: "Dann setz’ doch einfach ein, und‘ davor.“ So geschah es: "And I never thought …“ Plötzlich stimmten Musik und Text überein - und man ist vom Beginn des Songs an mitten drin in einer Konversation.

profil: Sie sind dafür berühmt, sogar berüchtigt, ein gnadenloser Perfektionist zu sein. Die Sängerin Dionne Warwick, die viele Jahre lang Ihre Muse war, beklagte sich einmal, dass Sie ihr, als Sie das Lied "Don’t Make Me Over“ aufnahmen, 32 Takes abverlangten, ehe Sie zufrieden waren. Bacharach: Das war eine angespannte Situation. Wir hatten noch nie zusammengearbeitet, die Zeit war knapp, das Studio teuer. Ich hatte schon damals eine Vorliebe dafür, Gesang und Orchester gleichzeitig aufzunehmen, nicht wie heute ein Instrument nach dem anderen einzuspielen und am Schluss alles zusammenzumischen. Das ist natürlich viel schwieriger, weil jeder sein Bestes geben muss und niemand Fehler machen darf. Aber dadurch entsteht auch eine Spannung, die sonst nicht existieren würde. Stimme und Orchester werden zu einem großen, lebendigen Organismus, dessen Einzelteile aufeinander reagieren und die Klanggestalt formen. Jeder beeinflusst jeden - das ist für mich die ideale Situation, um eine Platte aufzunehmen. Aber es kann eben auch dazu führen, dass man eine Aufnahme sehr oft wiederholen muss, bis ein befriedigendes Ergebnis vorliegt.

Dionne (Warwick, Anm.) hat eine großartige stimmliche Ausdrucksbreite: Sie kann sehr leise und dennoch intensiv singen - und wenn es der Song erfordert, kann sie sich im Refrain dramatisch hochfahren.

profil: Ihre Songs wurden von unzähligen Sängern und Musikern interpretiert. Von Liedern wie "Walk on By“ oder "The Look of Love“ existieren weit mehr als 100 Coverversionen. Trotzdem schrieben Sie mit Hal David viele Jahre lang vor allem für Dionne Warwick. Was machte sie zur idealen Interpretin Ihrer Songs? Bacharach: Wir hatten sie als Künstlerin unter Vertrag genommen, weil wir von ihrer Stilsicherheit und Eleganz überzeugt waren. Deshalb wurde Dionne stets als Erste angerufen, wenn ein Lied fertig war - obwohl es natürlich Songs gab, die für sie und ihre Stimme nicht geeignet waren, etwa "Twenty Four Hours from Tulsa“ oder "The Man Who Shot Liberty Valance“, die dann Gene Pitney interpretierte. Wenn man mit einer Sängerin vom Kaliber einer Dionne Warwick arbeitet, lernt man voneinander. Erst im Lauf der Zeit erkennt man, welches Potenzial vorhanden ist und wie man es am besten nutzen kann. Dionne hat eine großartige stimmliche Ausdrucksbreite: Sie kann sehr leise und dennoch intensiv singen - und wenn es der Song erfordert, kann sie sich im Refrain dramatisch hochfahren. Sie ist vor allem in der Lage, komplizierte Melodien ganz selbstverständlich klingen zu lassen und die emotionale Komplexität einer Komposition vollkommen zu erfassen.

profil: Welcher unter den unzähligen Bacharach/David-Songs, die Dionne Warwick gesungen hat, ist Ihr Favorit? Bacharach: "Promises, Promises“, der Titelsong jenes Musicals, das ab 1968 lange mit großem Erfolg am Broadway lief. Darin ging es um Verrat und falsche Versprechungen, um einen Gefühlsaufruhr, den ich in der Musik widerzuspiegeln versuchte: durch ständige Harmoniewechsel, laute Schlagzeugwirbel und ungerade Metren in der Rhythmusspur. Der Schauspieler Jerry Orbach, der am Broadway die Hauptfigur verkörperte, beklagte sich, dass die Musik zu schwierig sei, dass es viel zu viele Noten und zu viele Worte gebe. Nun ist es nicht meine Absicht, Kompositionen um jeden Preis kompliziert zu machen, doch manchmal diktiert das Thema eben eine bestimmte Methode. Manche Interpreten kommen damit klar, andere nicht. Für mich ist Dionnes Fassung von "Promises, Promises“ auch heute noch die definitive: leicht, locker und trotzdem mit dem Bewusstsein ausgestattet, dass hier eine komplexe Gefühlslage musikalisch dargestellt wird.

profil: Übersetzte Dionne Warwick die oft verschachtelt gebauten Songs von Bacharach und David also in eine musikalische Sprache, die das breite Publikum verstand? Bacharach: Ja, Dionne hatte die geradezu unheimliche Fähigkeit, sich in das Innere eines Liedes hineinzuarbeiten und es sich vollkommen anzueignen. Ich erinnere mich an die Aufnahme von "Anyone Who Had a Heart“ im Jahr 1963: ein schwieriges Lied mit Rhythmuswechseln in fast jedem Takt. Vom Gefühl her ist der Song ein Walzer, und ich wollte die Stimmung des Dreivierteltaktes vermitteln, ohne in diesem Schema zu bleiben - denn ich hasse Vorschriften und Regeln. Deshalb gibt es in "Anyone Who Had a Heart“ an einer Stelle auch einen 7/8-Takt, der in einem Walzer überhaupt nichts verloren hat. Die Studiomusiker, mit denen ich an jenem Tag arbeitete, hatten in ihrem Leben noch keinen 7/8-Takt gesehen. Trotzdem schafften wir es, eine anständige Aufnahme hinzukriegen. Das bestätigte meine Theorie, dass Musiker nicht Takte zählen, sondern ein Gefühl für die Struktur eines Songs entwickeln sollten. Wenn die Logik einer Komposition nach einem ungeraden Takt verlangt, werden sie das verstehen und auch spielen können. Für Dionne war all dies überhaupt nie ein Problem. Sie erfasste den Geist, die Substanz jedes Liedes vollkommen, und wenn sie es dann sang, klang es so selbstverständlich wie ein Schlager mit drei Akkorden im Viervierteltakt. Dabei verfügt sie über eine Fünf-Oktaven-Stimme, mit der sie Wunderdinge vollbringen kann.

Marlenes Musik war nicht gerade mein Fall, trotzdem wollte ich sie natürlich so gut wie möglich klingen lassen.

profil: Eine andere Sängerin, mit der Sie lange gearbeitet haben, deren stimmliches Ausdrucksvermögen aber deutlich limitierter war, hieß Marlene Dietrich. Wie fühlte es sich an, hinter einem der größten Filmstars aller Zeiten das Orchester zu dirigieren? Bacharach: Marlenes Musik war nicht gerade mein Fall, trotzdem wollte ich sie natürlich so gut wie möglich klingen lassen. Meine Arbeit ging weit über das Arrangieren und Dirigieren hinaus. Ich verstand mich eher als Coach, der ihr beizubringen versuchte, auf der Bühne ein wenig zu relaxen. Sie hatte die Tendenz, dem Rhythmus vorauszueilen, und brachte die Songs damit oft aus dem Gleichgewicht. Für mich war die Arbeit mit Marlene aber interessant: Ich hatte zu dieser Zeit Rhythm-and-Blues-Hits mit afroamerikanischen Interpreten wie Chuck Jackson und Tommy Hunt. Mit Marlene dagegen spielte ich Stücke wie "The Boys in the Backroom“, die eher aus der Vaudeville-Tradition stammten - ich konnte also etwas über das Showgeschäft lernen.

profil: Hatten Sie den Dietrich-Job nur übernommen, weil Ihre eigene Karriere damals, in den 1950er-Jahren, noch kaum entwickelt war? Bacharach: Ich wusste zu jener Zeit überhaupt nicht, in welche Richtung sich mein Leben entwickeln würde. Ich hatte gerade erst gelernt, einen Dirigentenstab zu führen und das Tempo einigermaßen zu halten. Und da war das Angebot, zum Bandleader eines Kinostars zu werden, natürlich verführerisch. Aber große Leidenschaft für diesen Job habe ich nie empfunden. Unsere Kooperation dauerte dann doch bis in die Sixties, aber mit meinem wachsenden Erfolg als Songwriter nahm ich immer weniger Termine mit Marlene wahr. Sie unterstützte mich dennoch, erzählte allen, dass man sich den Namen Burt Bacharach merken müsse, denn das werde einer der ganz Großen. Als viele Jahre später in der "New York Times“ eine positive Rezension von "Promises, Promises“ erschien, kaufte sie 50 Exemplare der Zeitung und schickte sie an alle ihre Freunde - mit dem Hinweis, dass sie es schon immer gewusst habe.

profil: In Ihren Memoiren "Anyone Who Had a Heart“ schreiben Sie, dass im Inneren der Leinwandgöttin Marlene Dietrich eigentlich eine german hausfrau gesteckt habe. Bacharach: So war es auch. Sie kümmerte sich darum, dass meine Kleidung ordentlich gewaschen und gebügelt wurde. Und sie quetschte mit der Saftpresse Steaks aus, erzeugte eine Art Smoothie, der mir Energie für den Auftritt am Abend verleihen sollte. Aus heutiger Sicht undenkbar.

profil: Ein Mann, den man sich als Interpreten Ihrer Songs gut vorstellen könnte, fehlt in der langen Liste Ihrer prominenten musikalischen Partner auffällig: Frank Sinatra. Was lief da schief? Bacharach: Frank kannte meine Arbeit, und er war sogar ganz scharf darauf, ein Album mit mir aufzunehmen. Eines Tages in den späten 1960er-Jahren rief er mich an und sagte: "Okay, du schreibst die Songs, machst die Arrangements und dirigierst das Orchester. Sag mir einfach nur, wann und wo.“ Und ich Idiot entgegnete: "Frank, im Moment bin ich mit meinem Musical beschäftigt. Wir gehen damit nach Boston und dann nach New York. Es wird also drei oder vier Monate dauern, ehe ich mit dir arbeiten kann.“ Er sagte kein Wort, legte einfach auf. Und das war das Letzte, was ich je von ihm gehört habe.

Burt Bacharach, 88, ist einer der bedeutendsten Popkomponisten des 20. Jahrhunderts. Geboren in Kansas City, studierte er in New York bei den Großmeistern Darius Milhaud und Bohuslav Martinu, wandte sich aber bald Rhythm and Blues und der Popmusik zu; er schrieb, meist im Tandem mit dem genialen Texter Hal David, Songs für Interpreten wie Marty Robbins, Gene Pitney, Tom Jones und Sergio Mendes. Als er die junge Dionne Warwick kennenlernte, wurde sie zu seiner Muse: Das DreamTeam Bacharach/David/Warwick schuf eine Serie von Evergreens für die Ewigkeit, darunter "Walk on By“ und "The Look of Love“. Anfang der 1970er-Jahre endete die große Zeit des Burt Bacharach. Doch es gelangen Comebacks, etwa als er 1998 mit Elvis Costello das Album "Painted from Memory“ komponierte und einspielte.