Christine Nöstlinger veröffentlichte über 150 Kinder- und Jugendbücher

Nöstlinger: „Ich halte den Tod für die größte Frechheit, die es überhaupt gibt“

"Maikäfer flieg!", ihre Kindheitserinnerungen an das Wien des untergehenden Naziterrors, wurden soeben verfilmt: ein Gespräch mit Christine Nöstlinger, 79, über unsympathische Kinder, Helikopter-Eltern, Astrid Lindgren und das Matriarchat in ihrer Familie.Nöstlinger: „Ich halte den Tod für die größte Frechheit, die es überhaupt gibt“

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Christine Nöstlinger ist tot. Aus diesem traurigen Anlass finden Sie hier noch einmal das Interview, das Angelika Hager im März 2016 mit der großen Kinderbuch-Autorin geführt hat.

profil: Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Christine Nöstlinger: Danke, schlecht.

profil: Sie sind mit 79 noch aufrechte Raucherin. Nöstlinger: Es zahlt sich nicht mehr wirklich aus, aufzuhören. Abgesehen von meinen Lungenproblemen klopft mein Herz doppelt so schnell, wie es soll. Man kennt mich schon in der Notfallambulanz im AKH. Aber von irgendwas muss ich ja einmal sterben.

profil: Sie sind verwitwet und leben allein. Können Sie damit gut umgehen? Nöstlinger: Ich war schon in meiner Ehe trainiert aufs Alleinsein. Ich war immer der Meinung, dass eine Ehe nur funktionieren kann, wenn es zwischen den Partnern zwei leere Zimmer gibt. Zwischen meinem Mann und mir war das genau so. Er hat 18 Stunden am Tag gelesen, während ich gelebt habe, dazwischen haben wir uns zum Frühstück oder auf einen Snack getroffen.

profil: Sie haben mir in einem früheren Gespräch erzählt, dass Ihr Mann (Ernst Nöstlinger, Anm.) jahrelang erfolglos an einem Roman gearbeitet hat. Nöstlinger: Er war auch freier Mitarbeiter beim Rundfunk. Aber der Roman ist nie fertig geworden. Da war der Anspruch zu hoch. Das musste ja gleich ein Jahrhundertroman werden.

profil: … während Sie an die 150 Kinder- und Jugendbücher in Dutzenden Sprachen veröffentlicht haben. Hat er das verkraftet? Nöstlinger: Nicht gut. Ich will nicht sagen, dass er Kinderbücher verachtet hat, aber für voll hat er sie auch nicht genommen.

Blödsinn, ich bin überhaupt nicht bescheiden. Ich hab mich selbst nur nie gut verkaufen können.

profil: Das tun ja viele. Kränkt Sie das? Nöstlinger: Geh bitte!

profil: Sie wirken so extrem bescheiden. Ist das eine Masche? Nöstlinger: Blödsinn, ich bin überhaupt nicht bescheiden. Ich hab mich selbst nur nie gut verkaufen können. Wenn wer bescheiden war, dann die Astrid Lindgren. Trotzdem sie in Schweden bis heute wie eine Nationalheldin verehrt wird. Die hatte etwas, das Menschen ganz selten haben. Von der ging das aus, was Ernst Bloch „einen warmen Strom“ genannt hat.

profil: Waren Sie mit ihr befreundet? Nöstlinger: Wie soll man mit jemandem, der in Schweden wohnt, befreundet sein? Wir haben einander aber öfter gesehen, weil wir beim selben Verlag in Hamburg waren und ihre Tochter Karen meine Bücher ins Schwedische übersetzt hat. Manchmal hat mich die Astrid, die ja Deutsch gesprochen hat, wegen einer Übersetzungsunklarheit angerufen und Dinge gefragt wie: „Bitte erklär mir, was eine Prinz-Eisenherz-Bluse ist.“ Wenn ich in Stockholm war, hat sie mich immer in das einzige Wiener Restaurant eingeladen, das war ihr nicht auszureden.

profil: Lindgren hat ihr erstes Kind vier Jahre lang zu Pflegeeltern gegeben. Nöstlinger: Der Sohn war von einem verheirateten Mann, das war damals und vor allem in so einem kleinen Ort eine echte Schande.

profil: Die Frauen aus Ihrem Familienclan scheinen da aus anderem Holz geschnitzt. Nöstlinger: Meine Mutter war noch mit ihrem ersten Mann verheiratet, als ich 1936 auf die Welt gekommen bin. Und der wollte sich partout nicht scheiden lassen. Mein Vater war damals ihr Liebhaber, dessen Geliebte, die Elli, ein Mannequin, wiederum immer wieder lang unterwegs war, um endlich einen reichen Ehemann an Land zu ziehen. Deswegen hatte mein Vater, ein kleiner Uhrmacher, viel Zeit. Und das hat meine Mutter, die unbedingt ein zweites Kind wollte, genutzt.

profil: In der Verfilmung von „Maikäfer flieg!“ spielt Ursula Strauss Ihre Mutter sehr resolut. Nöstlinger: So war sie auch. Die Strauss mag ich sehr. Und die anderen Schauspieler eigentlich auch.

Ich mag einfach keine Sachen, wo ich die Kontrolle verliere.

profil: Wie hat Ihnen der Film gefallen? Nöstlinger: Er ist besser, als ich ursprünglich befürchtet habe. Aber kennen Sie einen Autor, der mit der Verfilmung seines Buches zufrieden ist?

profil: Kaum. Aber ich kenne einige, die sich angesichts ihrer Verfilmungen betrunken haben. Nöstlinger: Das mit dem Betrinken wird nicht gehen: Ich mag Wein zwar gern, aber nicht betrunken sein.

profil: Waren Sie in Ihrer linken Sozialisationsphase eher eine Kifferin? Nöstlinger: Auch nicht. Ich hab das ein paar Mal probiert, aber nie was gespürt, während alle um mich herum gekichert haben. Ich mag einfach keine Sachen, wo ich die Kontrolle verliere.

profil: Ihre Mutter scheint eine durchaus emanzipierte Person gewesen zu sein. Nöstlinger: Meine Mutter war Kindergärtnerin, sehr reformpädagogisch orientiert, sie hat unter Julius Tandler gelernt. Die Doppelbelastung gehörte für sie immer schon zum Alltag. Mein geliebter Vater war ja invalide, mit einem Bein, in dem Granatsplitter steckten. Nachdem er aus Russland zurückgekommen war, desertierte er. Die Mutter hat seine Uniform im Herd verbrannt. Er wäre aufgehängt worden, hätten sie ihn gefunden. Er selbst hat vorher nie geglaubt, dass er diesen Feldzug überhaupt überleben werde. Meine ersten Jahre über hörte ich die Mutter viel schluchzen, weil keine Briefe vom Vater aus Russland kamen.

profil: Trotzdem Ihre Kindheit von Verlustängsten, Existenzkämpfen und Bombenangst geprägt war, erzählen Sie immer wieder, dass Sie ein glückliches Kind gewesen seien. Nöstlinger: War ich auch. Ich hab ja alles dürfen. Während die anderen Kinder von ihren Eltern damals gewatscht und in finstere Keller eingesperrt wurden, waren die größte Rügen, die mir die Mutter antun konnte, Sätze wie „Madl, jetzt scham di aber“ oder „Du, red mich bitte heute nicht mehr an!“ Ich war die absolute Ausnahme, bekam viel Spielzeug, wurde gefördert und hatte auch das Glück, dass meine Mutter ihren ganzen Ehrgeiz an meiner älteren Schwester ausleben konnte, die Schulbeste und auch sonst sehr brav war.

profil: War das nicht auch kränkend? Nöstlinger: Ehrlich gesagt schon. Ich war immer die „Klane“. Selbst mein geliebter Großvater hat zu Besuchern immer gesagt: „Das ist meine kluge, große Enkelin.“ Und: „Das ist die Klane.“ Ich hab mich so geärgert, dass ich heimlich Seiten aus seinem geliebten 24-bändigen Konversationslexikon herausgerissen hab. Ein gelungener Anschlag: Er hat später nicht mich, sondern meine Vorzeigeschwester verdächtigt.

In unserem Nachbarhaus hatte eine Bombe eingeschlagen. Und wir hatten nichts mehr. Auch keine Kleidung. Nur mein Puppenwagen hat den Einschlag überlebt.

profil: Sie waren aber auch ein G’frast. Nöstlinger: Natürlich. Opportunistisch und egoistisch wie jedes andere Kind auch. Aber das Eigenartige ist, Kinder wollen solche Charaktere nicht in den Büchern. Schon gar nicht als Helden. Das müssen immer reine, edle Geschöpfe sein, haben meine Leser mir einmal erklärt, als ich in „Der Spatz in der Hand“ ein Kind, bei dem ich an mir selbst Maß genommen habe, zur Hauptfigur gemacht hatte.

profil: Das heißt, Sie haben Ihre ganze Kindheit über keine Ohrfeige bekommen? Nöstlinger: Ein einziges Mal. Von meinem Vater. In unserem Nachbarhaus hatte eine Bombe eingeschlagen. Und wir hatten nichts mehr. Auch keine Kleidung. Nur mein Puppenwagen hat den Einschlag überlebt. Der lag unversehrt unter einer zerfetzten Tuchent. Meine Mutter ist mit einem Bombenschein durch Wien gelaufen, um was zum Anziehen aufzutreiben. Sie ergatterte ein blaues Samtkleid, gegen das ich mich aber mit Händen und Füßen zur Wehr setzte. Als mein Vater es mir gewaltsam über den Hals ziehen wollte, trat ich ihn mit voller Wucht gegen sein eitriges Bein. Da hat es dann getuscht.

Christine Nöstlinger: "Es zahlt sich nicht mehr wirklich aus, mit dem Rauchen aufzuhören."

profil: Haben Sie als Kind begriffen, dass Bomben töten können? Nöstlinger: Ja, ganz genau. Ich war aber im Schutzkeller immer ganz ruhig und gefasst, während meine Schwester laut geweint hat. So holte ich mir meine Lobeinheiten von der Mutter. Meine verhasste Großmutter hat mir immer aus dem „Völkischen Beobachter“ vorgelesen. Wenn da die Rede von den gefallenen Soldaten war, hab ich mir immer Zinnsoldaten vorgestellt, die einer nach dem anderen umgekippt sind. So weit hat mich meine Fantasie getragen.

profil: Diese Erzählung wirft zwei Fragen auf: Warum wurde in einem aufrecht antifaschistischen Haushalt der „Völkische Beobachter“ gelesen? Und weswegen haben Sie Ihre Großmutter gehasst? Nöstlinger: Weil das die einzige erhältliche Zeitung war. Meine Großmutter war die furchtbarste Frau, die man sich nur vorstellen kann: dumm und böse. Vulgär und schwerhörig obendrein. Was ich mich für die geniert hab! Wenn sie wegen ihres schlechten Hörens geglaubt hat, sie wurde nicht gegrüßt, hat sie denjenigen sofort gepackt und geschrien: „Bin ich Ihnen vom Oarsch obeg’fallen, weil Sie mir den Gruß verweigern?“ Die Marktstandlerinnen haben sie nur „die alte Rauchfangtauben“ genannt, weil sie in zig Salathappel reingefahren ist, um die Frische zu überprüfen, ehe sie eines gekauft hat.

Wenn die Scheiße am Dampfen war, hat er nur gefragt: „Christerl, was wirst du jetzt machen?“

profil: Wie hat der nette Großvater die Rauchfangtaube ertragen? Nöstlinger: Sie waren sieben Jahre verlobt, er hat zur Untermiete bei ihren Eltern gewohnt, irgendwann hat sie ihn eingesperrt und erklärt, sie lässt ihn nicht eher wieder raus, bis er das Aufgebot bestellt. Es gab für ihn nur zwei Möglichkeiten: heiraten oder auswandern. Zum Auswandern hat ihm aber dann doch der Mut gefehlt. Er konnte so schön Geschichten erzählen, der Großvater. Von der Zeit, wie er klein und natürlich auch sehr heldenhaft war.

profil: Sie haben wie Ihre Mutter zwei Töchter von zwei Vätern und waren zwei Mal verheiratet. Herrschte bei Ihnen auch eine Art Matriarchat? Nöstlinger: Schon. Mein zweiter Mann (Anm.: der Journalist Ernst Nöstlinger) hat sich gerne als der Hüter der Kinder aufgespielt, die vor mir beschützt gehörten, aber wenn die Scheiße am Dampfen war, hat er nur gefragt: „Christerl, was wirst du jetzt machen?“ Er hat die Rolle des guten Onkels in der Familie übernommen. Meinen ersten Mann hat sein Kind überhaupt nicht interessiert. Aber der hatte generell ein großes Problem mit Nähe.

profil: In aktuellen Pädagogikdebatten wird häufig der Ruf nach mehr Autorität für Kinder laut. Wie haben Sie Ihre Töchter erzogen? Nöstlinger: Gar nicht. Ich habe mich nur manchmal zur Wehr gesetzt. Es sind dabei zwei herrliche Weiber entstanden. Als ich mit 21 die Barbara bekommen hatte, hat mich viel eher beschäftigt, wie ich noch etwas erleben kann. Mein zweiter Mann und ich waren einander dann ja nur sozial treu, sonst konnte jeder machen, was er wollte. Nur erzählt haben wir uns nichts davon.

profil: War das erste Kind geplant? Nöstlinger: Einen Schmarr’n war die geplant. Es gab ja noch keine Pille. Und von Verhütung redete niemand. Nicht einmal mit den engsten Freundinnen hat man das besprochen. Der einzige Mensch, den ich kannte, der Präservative besaß, war ein Jugendfreund, der die aber nie benutzte, sondern nur zum Angeben dabei hatte. Prinzipiell durfte man als Frau einem Mann ja kein Kondom zumuten.

Ich wundere mich, wie überfordert manche Eltern von einem einzigen Kind sind.

profil: Es gab auch nie ein Mutter-Tochter-Gespräch über Coitus interruptus und dergleichen? Nöstlinger: Nein. Meine Mutter war im Grunde ihres Herzens prüde, obwohl sie sich nicht so sah. Sie hat mir erklärt, dass Geschlechtsverkehr das Schönste für einen Mann ist und eine Frau es eben tut, weil sie ihm eine Freude machen möchte. Sie selber hat beim Sex oft Romane gelesen oder Äpfel gegessen.

profil: Wie haben Ihre Töchter denn den „Muttermord“ begangen? Irgendeine Form von Rebellion brauchen Kinder doch. Nöstlinger: Unsere älteste, die Barbara, hat meinen Mann und mich links überholt. Für die waren wir Büttel der Bourgeoisie und Kettenhunde des Kapitals. Natürlich war man insgeheim stolz, eine so linke Tochter zu haben. Die jüngere, die Christine, hingegen war eher romantisch veranlagt. Die hat das alles nicht interessiert. Sie las Hesse und malte ihr Zimmer mit hellblauen Wölkchen aus. Man muss Kinder einfach lassen.

profil: Es scheint, dass es noch nie so kompliziert war wie heute, Kinder zu lassen oder ihre Kindheit zu gestalten. Nöstlinger: Den Eindruck habe ich auch immer mehr. Ich wundere mich, wie überfordert manche Eltern von einem einzigen Kind sind. Allein schon dieses Theater im Kindergarten! Vier Wochen lang muss die Mutter eine Stunde täglich mitgehen, dann zwei Wochen in der Garderobe sitzen, damit sie hineinspringen kann, und wenn einmal der Vater statt ihr kommt, gibt es eine Rüge von der Kindergärtnerin, dass die Bezugsperson immer dieselbe sein sollte.

profil: Wie erklären Sie sich diese Hysterie in der Brutpflege? Nöstlinger: Das hat wahrscheinlich mit den heute vergleichsweise alten Eltern zu tun. Ich finde es doch eigenartig, wenn Frauen erst mit 40, 41 ihr erstes Kind bekommen. Das ist natürlich auch charakteristisch für eine gewisse Einkommensschicht.

profil: Kommen Kinder grundsätzlich als gute Menschen auf die Welt, die erst von ihren Eltern versaut werden? Nöstlinger: Man kommt nicht als Ungustl auf die Welt. Wenn da so etwas in einer Sandkiste sitzt, das nur darauf wartet, einem anderen Kind den Sand mit der Schaufel ins Gesicht zu schleudern, ist das ein Produkt der Eltern. Ich mag ja viele Kinder nicht.

profil: Welche Kinder sind das? Nöstlinger: Schiache Kinder oder solche Streber-Kinder, die in der Schule immer so eifrig aufzeigen. Aber so eine gewisse Art von Hässlichkeit find ich wieder charmant. Den Alfred E. Neumann von „Mad“, mit seinen abstehenden Ohren, den mag ich. Den Sebastian Kurz wiederum nicht so gern.

Ich weiß überhaupt nicht, wie einem Kind zumute ist, dessen Leben sich zwischen Smartphonewischerei und Computerspielen abspielt.

profil: Welches Kinderbuch hat Sie nachhaltig geprägt? Nöstlinger: Keines, ich lese keine Kinderbücher. Oder doch: „Die rote Zora“ fand ich großartig. In meiner Kindheit gab es ja fast nichts: Ich erinnere mich an das Buch „Oh, Fritz, wo sind wir hingeraten“ – das war die rassistische Geschichte von zwei Puppen, die von Zigeunern gestohlen wurden.

profil: Jetzt stehen Sie aber gleich selbst auf dem politisch-korrekten Pranger: „Zigeuner“ sagt man nicht. Nöstlinger: Diese Debatte geht mir so auf die Nerven. Wenn in einem älteren Kinderbuch das Wort „Neger“ steht, möge man bitte eine Fußnote dazumachen und erklären, warum dieses Wort damals benutzt wurde. So regt man Kinder doch viel mehr zum Nachdenken an.

profil: Schreiben Sie noch Kinderbücher? Nöstlinger: Nur mehr für kleine Kinder. Von denen verstehe ich noch was. Bei 13-, 14-Jährigen traue ich mir das nicht mehr zu. Ich weiß überhaupt nicht, wie einem Kind zumute ist, dessen Leben sich zwischen Smartphonewischerei und Computerspielen abspielt.

profil: Interessiert Sie, was sich in der Kinder- und Jugendliteratur tut? Nöstlinger: Eigentlich nicht. Unlängst hat ein Mädchen so einen Vampirroman bei mir vergessen. In einer Sprache war das abgefasst – dagegen ist der Thomas Brezina ein Nobelpreisträger.

profil: Wie die syrischen Flüchtlingskinder sind Sie mit Krieg und Zerstörung groß geworden. Träumen Sie heute noch davon? Nöstlinger: Keine Spur. Das ist alles weg.

profil: Welchen Standpunkt beziehen Sie in der Flüchtlingsdebatte? Nöstlinger: Ich finde es, ehrlich gesagt, eher deppert, mit einem alten Teddybär unterm Arm auf den Hauptbahnhof zu fahren und dort die Flüchtlinge mit Applaus zu empfangen. Ich beschränke mich auf Geldspenden.

profil: Sie werden im Oktober 80. Bereitet Ihnen das ein mulmiges Gefühl? Nöstlinger: Ich bin da ganz der Meinung von Elias Canetti: Ich halte den Tod für die größte Frechheit, die es überhaupt gibt.

Christine Nöstlinger, 79, absolvierte ein Grafikstudium an der Hochschule für angewandte Kunst. Ihr erstes Buch, „Die feuerrote Friederike“ (1970), entstand aus Zufall am Küchentisch: Ursprünglich wollte Nöstlinger nur ein anderes Buch illustrieren. Sie veröffentlichte über 150 Kinder- und Jugendbücher, viele davon längst Klassiker, und wurde – abgesehen von zahlreichen anderen Ehrungen – 2003 als Erste mit dem Nobelpreis für Kinderliteratur, dem Astrid-Lindgren-Gedächtnispreis, ausgezeichnet. Ihre Werke wurden in über 20 Sprachen übersetzt und teilweise verfilmt. Ihre autobiografischen Kindheitserinnerungen, „Maikäfer flieg!“, behandeln die letzten Monate des Krieges in Nazi-Österreich. Lesen Sie die Filmkritik im kommenden profil. Nöstlinger gilt als die wichtigste deutschsprachige Kinderbuchautorin, die mit ihrer Fähigkeit, aus der kindlichen Alltagsperspektive zu erzählen und dabei Themen wie Scheidung oder Depressionen aufzugreifen, das Genre neu definiert hat. Die Mutter zweier Töchter ist inzwischen Großmutter zweier Enkel und lebt in Wien.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort