NSA-Aufdecker Edward Snowden in "Citizenfour": Oscar für beste Dokumentation

"Citizenfour": Dokumentarfilm über NSA-Aufdecker Edward Snowden

Kino. Dokumentarfilm über NSA-Aufdecker Edward Snowden

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Die Fahrt in einen dunklen Tunnel, notdürftig erhellt von Deckenneonröhren, die einen einsamen Lichtstreifen bilden: So bewegt sich "Citizenfour“ in die Finsternis hinein. Laura Poitras’ Dokumentarfilm über Edward Snowden und seine weitreichenden Auskünfte über das von der National Security Agency (NSA) betriebene Netzwerk geheimdienstlicher Überwachung bieten eine Zeitreise zurück an den Start einer Affäre, die heute, 18 Monate nach ihrer Enthüllung, noch immer nicht annähernd aufgearbeitet ist.

Als Politdokumentaristin ist die Amerikanerin Laura Poitras, 52, die Antithese zu Michael Moore: Obwohl sie zu jenen Journalisten gehört, denen Edward Snowden in seinem Coup gegen die Überwachungsgesellschaft zuerst vertraute, taucht sie kein einziges Mal in ihrem Snowden-Porträts auf, das sie mit dem Nickname betitelte, den der NSA-Aufdecker anfangs benutzte: "Citizenfour". Nur stimmlich ist Poitras da und dort kurz präsent, ansonsten hält sie sich zurück, überlässt die Bühne ihren Kollegen, vor allem aber ihrem Star: einem 29-jährigen Whistleblower, der in aller Ruhe und mit fester Überzeugung tut, was er der Welt schuldig zu sein meint - er offenbart ihr die skandalösen Geheimnisse seines Arbeitgebers (und sich selbst): Die US-Regierung greift in großem Stil auf Daten zu, die ihr Telekommunikations- und Internetkonzerne bereitwillig überlassen. Unterstützt werden sie dabei von ahnungslosen Kunden, die es bequemer finden, durch Vernetzung von Kreditkarten, Mobiltelefonen und Netzprovidern private Daten so transparent zu machen, dass damit jede ihrer Bewegungen und Vorlieben rekonstruierbar wird.

Mitte Oktober hatte das Werk beim New York Film Festival Premiere, ab 1. Jänner wird "Citizenfour“ auch in Österreich zu sehen sein - und damit gleich zu den wichtigen Kinoereignissen des kommenden Jahres zu zählen sein. Nicht nur, weil es Aufklärungsarbeit leistet und der unausweichlichen Mystifizierung Snowdens betont alltägliche Bilder und das Porträt eines hochintelligenten, aber keineswegs exzentrischen Menschen entgegensetzt, sondern auch, weil es sich seinem potenziell spektakulären Sujet mit ungeahnter Sanftheit und Genauigkeit nähert.

Die Erzählung von "Citizenfour“ setzt Monate vor den öffentlichen Enthüllungen des amerikanischen Computerspezialisten, des Ex-CIA- und NSA-Mitarbeiters Snowden ein, liefert gewissermaßen ein noch nie gesehenes Stück Geschichte nach; sie beginnt mit verschlüsselten E-Mails, mit der Kontaktaufnahme zwischen Poitras und dem anonymen Informanten, mit der Abklärung der Bedingungen ihrer Zusammenarbeit, die schließlich in eine Verabredung, ein persönliches Treffen an einem neutralem Schauplatz mündet.

"Citizenfour“ ist alles andere als ein überproduzierter Film, seine Coolness kommt ihm sehr zugute. Poitras beschränkt sich weitgehend auf die Unmittelbarkeit der improvisierten, schmucklosen Bilder, die sie an acht Tagen im Juni 2013 in einem Hotelzimmer in Hongkong mit ihrer Kamera schießt: Sie sieht Edward Snowden dabei zu, wie er von den "Guardian“-Mitarbeitern Glenn Greenwald und Ewen MacAskill befragt wird, zeichnet diese grundlegenden ersten Interviews mit einem ruhigen jungen Mann auf, der sich dazu entschlossen hatte, im Sinne ethischer Intervention und demokratischer Opposition ein immenses persönliches Risiko auf sich zu nehmen.

Zu einem Zeitpunkt, da sein Name der Welt noch gänzlich unbekannt ist, thematisiert Edward Snowden bereits das Dilemma seiner Geschichte: Es gehe nicht um seine Person, sondern um die Dinge, die er veröffentlichen werde; zugleich wisse er um die Persönlichkeitsfixierung der Medien und sei also bereit, zumindest so weit mitzuspielen, dass er sein Outing selbst und offensiv betreiben werde, um nicht zur Rätselfigur, zum Zentrum einer groß angelegten Investigation zu werden - und um seine Familie, die von seinem Alleingang nichts ahnt, nicht noch weiter zu belasten.

Dreiste Lügen
Er wolle sich nicht hinter einer notdürftig geschützten Identität verbergen, da er nichts moralisch Verwerfliches tue, sondern im Gegenteil nur das Verhältnis zwischen der Allmacht der Regierenden und der Ohnmacht des Volkes ein Stück weit umdrehen wolle. Um den Menschen die Möglichkeit zu geben, der Macht der Herrschenden zu begegnen, auf den Skandal ihrer Ausspionierung zu reagieren, legt Snowden, der Zugriff auf alle geheimen Dokumente der NSA hatte, deren Sammlung von Metadaten ebenso offen wie die dreisten Lügen der verantwortlichen Geheimdienstler und der US-Administration selbst. Datenmissbrauch ist allerdings kein genuin amerikanisches Problem, auch das betonen Snowden und Poitras, indem sie etwa auf die britische Operation Tempora Bezug nehmen, die in der lückenlosen Bürgerüberwachung noch weiterreichende Freiheiten genießt als die NSA-Programme.

Zurück zur Stunde Null: Greenwald und MacAskill müssen zunächst Grundlegendes klären, Snowden um seinen Namen bitten, ihn zu den Beweg- und Hintergründen seiner Tat befragen, die in den anderthalb Jahren, die seit diesen Aufnahmen vergangen sind, die Welt verändert haben. Die Banalität des Hauptschauplatzes, des Hotelzimmers, das Snowden in Hongkong bezogen hatte, steht in markantem Gegensatz zu dem Epochenwechsel, der darin vollzogen wird. Der junge Mann, der mit entspannter Stimme die abgründigen Geheimnisse seines Arbeitgebers an die Medien weitergibt, tut dies aus Platzmangel von seinem Bett aus.

Die sich überschlagenden Ereignisse, die er selbst weltweit auslöst, gefährden Snowdens Gefasstheit dann aber doch: Poitras’ Blick entgeht die Nervosität nicht, die sich im Gesicht des Enthüllers abzeichnet, als die Nachrichten von seinen Mitteilungen aus allen Hotel-Flatscreens zu dringen beginnen und die Frage seines politischen Asyls an Menschenrechtsanwälte weitergereicht werden muss.

Poitras serviert nebenbei ein paar hübsche, fast surreale Pointen. Die erste Befragung Snowdens wird durch ein quer durch das Zimmer fliegendes Bruchstück des Plastikkugelschreibers, mit dem Greenwald arbeitet, bald auch durch den unangekündigten Test der Feueralarmsirene im Hotel jäh gestört. Später überträgt sich die vermutlich gut begründete Paranoia Snowdens, der überall Möglichkeiten der Abhörung entdeckt, auf seine Interviewer; in einer Szene kommuniziert Greenwald mit ihm nur noch fragmentarisch - alle entscheidenden Informationen, die er recherchiert hat, kritzelt er auf Zettel, die er an den erstaunten Snowden weiterreicht. Als schließlich die persönliche Sicherheit Snowdens gewährleistet werden muss, taucht in "Citizenfour“ kurz ein anderer weltberühmter Whistleblower auf - WikiLeaks-Aktivist Julian Assange bemüht sich um fernmündliche Asyl-Hilfe.

Und als das Medieninteresse an Snowden die erwartbaren hysterischen Dimensionen annimmt, bereitet dieser sich vor dem Spiegel des Hotelbadezimmers auf seine Rückkehr in eine Welt vor, in der er keine Freiheit mehr genießen wird: Eine Art von Eitelkeit, die in allem, was er bis dahin vor der Kamera erzählt hat, erstaunlich abwesend war, wird plötzlich spürbar - er wählt sein Outfit dunkel, steckt sich die Sonnenbrille lässig in den Ausschnitt seines T-Shirts, und der Kampf mit der korrekten Dosierung seines Haargels wird ihm zur lästigen Ablenkung.

Snowden vertraute sich Laura Poitras an, weil sie als Kritikerin der US-Regierung längst selbst geheimdienstlich verfolgt worden war und zum Zeitpunkt seiner Kontaktaufnahme bereits an einem Film über die Techniken geheimer Massenüberwachung gearbeitet hatte: "Citizenfour“ ist - nach ihrem Oscar-nominierten Irakkrieg-Dokument "My Country, My Country“ (2006) und der Guantánamo-Bilanz "My Oath“ (2010) - nun der finale Teil ihrer Filmtrilogie über die USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Poitras lebt und arbeitet derzeit in Berlin, um dem drohenden Zugriff der US-Behörden auf ihre Arbeit zu entgehen.

Als zweiter Zeuge der Dringlichkeit von Snowdens Anliegen tritt in zwischengeschnittenen Szenen der Kryptoanalytiker William Binney auf, der als NSA-Aussteiger seit Jahren schon die Spionage durch die Nationale Sicherheitsbehörde geißelt. Steven Soderbergh hat "Citizenfour“ koproduziert, dabei geholfen, den Film als globales Unternehmen zu konzipieren: Die Reise, die darin unternommen wird, führt von Berlin und Rio de Janeiro nach New York und Hongkong, schließlich weiter nach Moskau. Bilder der Überwachungsstationen, die von der NSA weltweit betrieben werden, begleiten den Film. Dem Vernehmen nach hält sich Edward Snowden gegenwärtig an einem unbekannten Ort in Russland auf.

Zwar kann Laura Poitras die Details der Enthüllungen Snowdens, die Inhalte der offengelegten Dokumente im Rahmen eines knapp zweistündigen Dokumentarfilms zwangsläufig nicht einmal ansatzweise wiedergeben, aber die Dinge, die sie zu fassen kriegt, zeigen etwas ebenso Wesentliches: Sie sind ein Tribut an die Zivilcourage, an den Mut, demokratisch zu handeln, auch gegen die eigenen Interessen, selbstlos. Das Tragische an dem Fall Snowden ist die kaum spürbare politische Resonanz dieser Aufdeckungsleistung. Die Überwachungsprogramme, die Millionen von Menschen tagtäglich um das Grundrecht ihrer Privatsphäre bringen, laufen unbehindert weiter. So zieht "Citizenfour“ pessimistisch Bilanz: Ein Weg aus der Dunkelheit, in die sich die Menschheit unter dem Deckmantel der Demokratie manövriert hat, ist nicht in Sicht.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.