BURGTHEATER: DIE UNSCHULDIGEN, ICH UND DIE UNBEKANNTE AM RAND DER LANDSTRASSE

Claus Peymann: Der Theaterberserker

Claus Peymann war nicht nur Theatergenie, Machtmensch, Despot und „Kunstautist“, sondern mit großem Vergnügen auch Staatsfeind. In seinen Burgtheater-Jahren rüttelte er die Republik wach. Vor wenigen Tagen starb Claus Peymann 88-jährig in Berlin.

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Es war der 24. Dezember in den späten 1980er-Jahren, als Claus Peymann Peter Turrini nachmittags anrief. Er wollte mit ihm partout noch einmal an einer Szene aus dessen neuem Stück arbeiten. Als Turrini ihn darauf aufmerksam machte, dass er an jenem Tag mit seiner Familie Weihnachten zu feiern gedenke, knallte Peymann mit den wütenden Worten „Jetzt fängst du auch schon mit dem Kitsch an!“ den Hörer auf. „Er ist der theaterliebendste Mensch, der mir je untergekommen ist“, erinnerte sich Turrini später in einem profil-Gespräch – „und natürlich ein totaler Kunstautist.“

Sein Tunnelblick auf das für Peymann einzige Wesentliche im Universum, nämlich die jeweils nächste Theaterpremiere, äußerte sich dadurch, dass Peymann sich beispielsweise bei einer Leseprobe per Zustellservice eine Pizza in seine „völlig minimalistische Wohnung“ (Turrini) im 19. Bezirk orderte, ohne zu fragen, ob sein Gegenüber vielleicht auch eine wolle, geschweige denn davon auch nur ein Stück anzubieten. Das hätte nichts mit Geiz zu tun gehabt, so Turrini, Peymann sei ein durchaus großzügiger Mensch, es geschah schlicht „aus diesem Autismus heraus“.

Bevor Claus Peymann 1986 mit seiner Truppe – mit dabei auch die späteren Superstars seines Burg-Ensembles, Kirsten Dene und Gert Voss – aus Bochum nach Wien reiste, tat er etwas, was Elfriede Jelinek, Thomas Bernhard und Peter Turrini noch nie von einem Intendanten erlebt hatten: „Er schrieb uns und einigen anderen Schriftstellern knappe Briefe mit der Frage: ,Woran dichten Sie gerade? Bitte dringend um Nachricht.‘ So ein Ansinnen hat es seit Jahrhunderten in Österreich nie gegeben.“

Der Transfer des notorischen Revoluzzers, der in Stuttgart mit seiner Inszenierung von Albert Camus’ „Die Gerechten“ 1977 harte Kritik an den Gefängniszuständen für die RAF-Terroristen in Stammheim übte (und für die Zahnbehandlungen der RAF-Protagonistin Gudrun Ensslin im Theater sammeln ließ), ans Steuerbord des Theater-Traumschiffs Burgtheater, kam einer echten Kampfansage gegen das Establishment und die konservativen Kräfte in Österreich gleich.

Intendant Claus Peymann

Wie viele linke Rebellen der Jahre um 1968 stammte der in Bremen geborene Sohn eines Studienrats aus einem Nazi-Haushalt, wie er in einem legendären Interview mit dem Journalisten André Müller beschrieb: „Mein Vater war Obersturmbannführer, einer der typischen Nazis mit gutem Charakter. In der Kristallnacht ist er zwar losgezogen, hat aber die Geschäfte jüdischer Freunde bewachen lassen, damit nichts passiert. Meine Mutter war eine halbe Antifaschistin. Als sie am 20. Juli über BBC London vom Anschlag auf Hitler erfuhr, hat sie aus dem Fenster geschrien: ‚Das Schwein ist tot!‘ – und ist verhaftet worden.“

Dass in den Hochleitungsmasten die Leichen abgeschossener Amerikaner hingen, habe er „als Kind mit einer Mischung aus Angst und Abenteuerromantik“ erlebt. Prägend für seine spätere Arbeit sei es in jedem Fall gewesen. 1966 hatte Peymann sein künstlerisches Erweckungserlebnis, als er Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ im Frankfurter „Theater am Turm“ zur Uraufführung brachte. „Nestbeschmutzer“ gehörte noch zu den eleganteren Begriffen, die ihm in Wien um die Ohren fliegen sollten.

Dass ab 1986 ein ungemütlich harscher Wind durch „diese muffige Atmosphäre“ blies, wie es in Thomas Bernhards „Theatermacher“, einer Parade-Inszenierung Peymanns mit Traugott Buhre in der Rolle eines abgehalfterten Provinzmimen hieß, war der damaligen Intendantin der Wiener Festwochen zu verdanken. Ursula Pasterk hatte Peymanns legendäre Inszenierung der „Hermannsschlacht“ mit Kirsten Dene und Gert Voss als subversivem Cherusker-Fürstenpaar in Bochum gesehen. Die spätere Wiener Kulturstadträtin setzte diplomatisches Fingerspitzengefühl ein, um ihren Wunsch durchzubringen: „Wichtig war bei dem Plan nur, dass der Zilk (Helmut, damaliger Unterrichtsminister und späterer Bürgermeister der Stadt Wien, Anm.) das Gefühl bekam, dass die Bestellung Peymanns seine Idee war.

Angelika Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort