Kritik

Das neue Kreisky-Album "Atlantis": Kornkreise im Schnee

Die Wiener Rockband Kreisky erkundet auf ihrem neuen Album das Wunderland "Atlantis". Eine Traumreise.

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Zwischen Mensch und Mensch liegt ein weites Feld: kilometerweit Weizen, Kornkreise, wohin man blickt. Man verirrt sich darin oder man trifft aufeinander, und man weiß nicht, was besser ist. Man spürt Sehnsucht und Gram und möglicherweise falsche Hoffnung, man hört in sich hinein. Und dann hört man Kreisky, als ob sie einem aus der Seele sprechen. Auf ihrem sechsten Album erkundet die Wiener Rockband einen dunklen Kontinent namens "Atlantis", der Europa sehr ähnlich sieht, aber, bei aller Künstlichkeit, doch viel echter wirkt.

Kreisky schnüffeln am Klebstoff des Sozialen, das schärft die Sinne. "Ehrlicher Rock" klingt anders. Kreisky klingen besser: eine notorisch druckvolle Rhythmusgruppe (Klaus Mitter, Schlagzeug, und Lelo Brossmann, Bass), eine radikale Gitarre (Martin Max Offenhuber), hin und wieder eine Orgel, manchmal ein Chor, und dazu Texte (Franz Adrian Wenzl, Gesang), in denen Metaphern der Sehnsucht auf die Realien des Alltags prallen.

Ein Hauch zeitgenössischer Harmonie ("Wir stehen in der Abendsonne/Mitten im Feld/Komm, wir machen ein Foto von uns")kippt da schnell in eine unheimliche Begegnung; der Kontakt zu den Nachbarn scheint genetisch vorbelastet("Euer Kind hat einfach/ADHS")und die Hoffnung auf eine Zukunft vergeblich("Ich finde keine Sprache/Ich finde nur blöde Witze/Blöde Witze und cooles Wissen/Und damit kommt man ja auch durch/Wenn man will").



Kreisky: Atlantis (Wohnzimmer Records / Rough Trade)

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.