Methode Wahnsinn. David Bowie im Dezember 2003, live in Montreal

David Bowie: Sieben persönliche Nachrufe auf den Pop-Visionär

David Bowie: Sieben persönliche Nachrufe auf den Pop-Visionär

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Klangexzess, 1973

Unsereiner, der als Jugendlicher glaubte, schwer avantgardistisch sein zu müssen und sich mit John Coltranes "Ascension“ und John Cage abmühte, konnte mit David Bowie in seiner Glam-Hochphase nicht viel anfangen. "Ziggy Stardust“, das schien eher Kinderkram zu sein und eines selbstermächtigten Intellektuellen nicht würdig. Doch dann kam "Aladdin Sane“, eine Platte, die im Bowie-Kanon nicht ganz vorn rangiert. Das Titelstück, eine gemütlich zwischen A und G schunkelnde, elegische Nummer, produzierte für mich dann jenen großen Bowie-Hirnriss, der mir die Figur in ihrer Ambivalenz und Widersprüchlichkeit erschloss. Denn mitten in der konventionellen Songstruktur findet sich ein Klaviersolo, das in seiner kristallenen Präzision und fast übermenschlichen Fingerfertigkeit an Conlon Nancarrows Kompositionen für Selbstspielklavier erinnert und mit hysterischen Clustern den Free-Jazz-Giganten Cecil Taylor evoziert. Gespielt wurde dieser irrwitzige, dabei kontrollierte Klangexzess von Bowies damaligem Pianisten Mike Garson, der die Komposition von innen aufriss und ausweidete wie Leonardo DiCaprio in "The Revenant“ jenes Pferd, in dem er sich schutzsuchend verkriecht. "Ich habe elf Platten unter meinem Namen aufgenommen“, erzählte Garson unlängst. "Doch seit Jahrzehnten werde ich immer nur auf dieses eine Solo angesprochen. Es ist wie verhext.“ Der Albumtitel, "Aladdin Sane“, ist ein Wortspiel: A lad insane - ein verrückter Kerl. Fürwahr: Wahnsinn mit Methode. Thomas Mießgang

Weltschmerz, 1981

Meine erste intensive Begegnung mit David Bowie fand im Kino statt, um 1981, mit der magischen Berliner Konzertszene in "Christiane F - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. So sehr der Film mich beeindruckte, ich wollte ihn nie wieder sehen. Meine Erinnerungen an die Live-Songs ("Station to Station“, "TVC-15“, vielleicht "Boys Keep Swinging“, "Heroes“ und "Stay“, oder täusche ich mich?) sind daher diffus. Von den Bildern, die von Instrumentals wie "Warszawa“ oder "Sense of Doubt“ begleitet wurden, bleibt nur ein vager Eindruck von Grobkörnigkeit und grünlichem Neonlicht. Aber das Soundtrack-Album, de facto ein Best of der Berlin-Phase, war die ideale Projektionsfläche meines frühpubertären Weltschmerzes. Ich hielt mich nun für einen Fan, doch das kristalline "Let’s Dance“-Album hinterließ mich 1983 mit gemischten Gefühlen. In meinen Teenager-Jahren schleppte sich der Meister dann durch den kreativen Tiefpunkt seiner Megastar-Phase, und ich war wohl gut beraten, mir sein Konzert der "Glass Spider“-Tour im Praterstadion 1987 nur von draußen anzuhören. Als spätgeborener Sixties-Snob fühlte ich mich davon allerdings bloß bestätigt - und bohrte stattdessen umso intensiver in den Schätzen seiner Vergangenheit. Robert Rotifer

Hopp oder Pop, 1983

In den distinktionssüchtigen Kreisen der Bowie-Connaisseure galt es immer als schick, ein einziges seiner zahllosen Werke mit ausgesuchter Verachtung zu strafen. "Let’s Dance“, so der fast einhellige Bannfluch, sei der nicht einmal notdürftig kamouflierte Versuch, sich dem schnöden Pop-Mainstream anzudienen. Und der schiere Markterfolg schien den Kritikern recht zu geben: Das Album verkaufte sich mehr als zehn Millionen Mal (Bowie-Rekord!), der Titelsong erreichte Platz eins der US- und UK-Charts (ebenfalls Bowie-Rekord). Tatsächlich war der Groll der geschmäcklerischen Elite vor allem einem miefigen Rock-Habitus geschuldet, den Bowie schon durch die Wahl seines Produzenten Nile Rodgers, damals noch bekannt als Mastermind der Disco-Formation Chic, vorsätzlich brüskierte. (Dieselbe geschmäcklerische Elite feierte übrigens rund drei Jahrzehnte später die French-House-Koryphäen Daft Punk für ihre Zusammenarbeit mit dem genialen Produzenten Nile Rodgers.) Wenn man es schafft, über die synthetischen, metallen scheppernden Standard-Beats der Eighties hinwegzuhören, wird man mit einigen von Bowies größten Pop-Momenten entschädigt. Selten klang sein Bariton reifer, majestätischer und selbstgewisser als in "Let’s Dance“ und "China Girl“. High Kitsch, zweifellos, aber nur wahre Meister sind dieser Feuerprobe gewachsen. Sven Gächter

David Bowie live in Wien, Februar 1996

Staub zu Staub, 1983

Die kalten 1980er-Jahren und der coole Bowie: In einer New-Wave-Disco streifen Catherine Deneuve und ihr Lover Bowie wie Raubtiere durch die Menge. Bauhaus-Frontmann Peter Murphy brüllt monoton "Undead, undead, undead!“ ins Mikro. Die beiden Upper-Class-Besucher beobachten ein tanzendes Paar, laden es in ihre schicke Architektenvilla ein, die Orgie gerät zum Schlachtfeld zweier hungriger Vampire: eine Geschichte von Sex, Tod und Vergänglichkeit, die großen Themen jener hybrid-hedonistischen Zeit, unmittelbar bevor Aids nicht mehr geleugnet werden konnte. Tony Scotts schicker Hochglanz-Blutsaugerfilm "The Hunger“ (1983) wirkt heute hohl wie ein Werbeclip, nicht wenige haben "Begierde“, so der deutsche Titel, schon damals als Kitsch abgetan. Faszinierend ist dennoch, wie Bowie, eben noch charismatischer Verführer, rasant zu altern beginnt, wie sein Körper gebeugt, seine Stimme brüchig, seine Augen trüb werden. Wie er sich in eine lebende Mumie verwandelt. Aber auch: wie gnadenlos schnell sich der Film von einem seiner zentralen Protagonisten verabschiedet. Nach einem Drittel der Spielzeit liegt Bowie untot im Sarg auf dem Dachboden. Karin Cerny

Tanz oder gar nicht, 1985

Es muss Mitte der 1980er-Jahre gewesen sein, auf FS2, in einer TV-Sendung mit dem plexiglasfarbenen Namen "Wurlitzer“. Zwei Männer tanzten durch die Straßen Londons, ein Volksschüler im Pongau war gebannt, sah ein Großmaul im mintgrünen Flatterhemd und einen Sir im rasant gemusterten Overall, sah Mick Jagger und David Bowie, wie sie sich durch das Video zu "Dancing In The Street“ blödelten - und war verzaubert. Der Schüler wus-ste natürlich nichts von der Aneignung schwarzer Soul-Geschichte durch zwei tiefweiße Briten, nicht sehr viel über die Rolling Stones und noch weniger über David Bowie und dessen Outsider-Utopien, wusste auch nicht, dass dieser Mann schon einmal vom Himmel gefallen war, nämlich ungefähr 13 Jahre vorher, und als "Starman“ mitten in den britischen "Top of the Pops“ gelandet war; wusste nicht, dass dies damals, am 6. Juli 1972, ein echter, weltverändernder, sensationeller Pop-Moment gewesen war - im Vergleich zu diesem dämlichen Video im ORF-Vorabendprogramm -, und weiß heute: Wenn einen ein Popstar auf diese Weise verzaubern kann, dann kann er es auf jede Weise. Und das hat Bowie dann auch getan. Sebastian Hofer

Wiedergutmachung, 1983/1997

11. August 1983. Die Atmosphäre im Tacoma Dome, Washington, ist angespannt. Tausende Menschen stoßen und prügeln einander im Kampf um die besten Plätze nahe der Bühne schon während des Warm-up-Konzerts der Tubes durch den Saal. Irgendwann wird der Stress zu groß, die Hitze zu heftig, die härtesten Ellbogentechniker setzen sich durch. Der große Rest von uns wird in die hinteren Reihen verschoben, wo eine gewisse Körperfreiheit herrscht, aber auch äußerst schlechte Sicht. Als Headliner David Bowie endlich auftritt, ist er für die kriegsuntauglichen Zuschauer nur noch ein ferner Winzling. Die 25 Songs, die im Zuge seiner "Serious Moonlight Tour“ durch den Dom hallen, sind einem da auch schon egal. Das "Let’s Dance“-Album, damals aktuell, konnte ich nie leiden. 14 Jahre später kommt die Stunde der Wiedergutmachung: Am 24. Juni 1997 gibt Bowie in Wien ein Gastspiel, aber nicht in der Stadthalle oder im Praterstadion, sondern seltsamerweise im intimen Rahmen der Wiener Arena. Offenbar war der Mann gerade im Karrieretief, für all jene, die damals zugegen waren, wurde es ein Open-Air-Fest: David Bowie aus nächster Nähe und in allerprächtigster Spiellaune, unterwegs durch 26 Songs, von "Quicksand“ bis "Little Wonder“. Wien war nicht Tacoma. Himmel! Stefan Grissemann

Rückzug, 2004

David Bowie konnte einem die Augen öffnen. Für jemanden, der durch Stromgitarren und zu enge Spandexhosen in den späten 1980er-Jahren frühsozialisiert wurde, war Bowie nicht nur die passende, bunte Antwort auf den Machismo und die Selbstzerstörungstheatralik der heiß geliebten Gitarrengötter, sondern auch der große Versöhner zwischen dem geliebten Rock und dem verhassten Discopop. Jahre später, im Frühsommer 2004, mit 20 Lebensjahren und langer Haarpracht, ging es in der Karawane ins baden-württembergische Neuhausen ob Eck. Bowie, bis dahin mehr Science-Fiction-Held als greifbarer Musiker, hatte sich im Rahmen seiner "A Reality Tour“ für das Southside-Festival angekündigt. Doch das Schicksal des zu spät Geborenen zeigte sich von seiner hinterlistigsten Seite. Am 25. Juni, einen Tag vor meinem ersten Bowie-Konzert, erlitt der Popstar vom Mars, direkt nach seinem gefeierten Auftritt beim niedersächsischen Hurricane-Festival, einen Herzinfarkt. Notoperation. Längerer Krankenhausaufenthalt in Hamburg. Was damals niemand wusste: Es sollte das letzte Konzert seiner Karriere sein. David Bowie, verpasst um einen einzigen Tag. Auch heute noch: das wahrscheinlich beste Live-Erlebnis, das ich nie hatte. Philip Dulle