Kunst

Ein neues Museum für den Wiener Aktionismus: angriffige Kunst oder Gewaltverklärung?

Ein dem Wiener Aktionismus gewidmetes Haus wird Mitte März seinen Betrieb aufnehmen. Doch in die Freude über die Erweiterung des Kunstangebots mischen sich auch Dissonanzen. Die Frage, wie man mit den Werken des Missbrauchstäters Otto Muehl umgehen sollte, ist offen.

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Unrühmlich ging der Wiener Aktionismus in den 1980er-Jahren in der burgenländischen 2000-Seelen-Gemeinde Zurndorf zu Ende. Denn in der Kommune, die der Künstler Otto Muehl auf das Gelände des Friedrichshofs verpflanzt hatte, herrschte eine Kreativtyrannei, die sich hinter Modebegriffen wie „freie Liebe“ und „Selbstdarstellung“ verbarg. Vor allem die Kinder und Jugendlichen, die dort leben mussten, erfuhren am eigenen Leib, was es hieß, an einem „aktionsanalytischen“ Experiment teilzunehmen, das einen „neuen Humanismus“ versprach. Das subversive und sozialrevolutionäre Potenzial einer Kunstrichtung, die es einst darauf angelegt hatte, gegen staatliche und klerikale Repression zu polemisieren, mit wütendem Körpereinsatz das Tafelbild und alle bürgerlichen Kunstvorstellungen zu atomisieren, erschöpfte sich auf dem Gutshof in Pädosexualität, Züchtigungen und Autoritarismus.

Dabei hatte alles so beispielhaft begonnen. In den frühen 1960er-Jahren riefen Günter Brus, Hermann Nitsch, Otto Muehl und Rudolf Schwarzkogler mit je eigenen Mitteln eine nie gesehene Anti-Kunst ins Leben, deren prägnante Ästhetik aber in den Kanon der Kunst des 20. Jahrhunderts Eingang finden musste: Man rührte an Tabus, zelebrierte das Chaos und die nackte Physis, um die Kunst ihrer gerechten Revolution zuzuführen. Der lange Arm des Wiener Aktionismus reicht von der Punk-Bewegung – der bandagierte, mit Sicherheitsnadeln traktierte Körper des Sex-Pistols-Frontmanns Johnny Rotten anno 1977 weist frappierende Ähnlichkeiten mit Versuchsanordnungen von Brus, Muehl und Schwarzkogler auf – bis in die Gegenwart. Valie Export entwickelte die – aus nächster Nähe erlebten – Vorgaben der Wiener Aktionisten ebenso weiter wie, etwas ferner, auch Marina Abramović, Mike Kelley, Christoph Schlingensief und Paul McCarthy.

Solche Aura braucht Räume: In der Wiener Weihburggasse, im Haus mit der Nummer 26, arbeitet man derzeit hochtourig an der – von dem Architekten Gregor Eichinger verantworteten – Adaption der Räumlichkeiten der ehemaligen Galerie Mauroner. Das Wiener Aktionismus Museum, kurz WAM genannt, soll hier am 15. März feierlich eröffnet werden.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.