Nachruf auf Hans Hurch: Eigensinn und Gegendruck

Von gekreuzten Klingen und schadenfroh blitzenden Augen: Stefan Grissemann erinnert sich an den verstorbenen Viennale-Direktor Hans Hurch.

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Das „Café Engländer“ in der Wiener Postgasse war sein erweitertes Wohnzimmer. Wenn Hans Hurch in charakteristisch schlurfendem Gang dort abends auftrat, um sich seinen täglichen letzten Kaffee abzuholen – in der mitgebrachten Tasse, die eine Dauerleihgabe des Lokals war – oder doch noch ein wenig zu bleiben, so schien er dort nicht nur die Belegschaft bestens zu kennen, was in seinen ironischen Wortwechseln mit den Kellnern schnell deutlich wurde, sondern mindestens jeden zweiten Gast, der zufällig gerade im „Engländer“ weilte. Hurch wohnte vis-à-vis, als wollte er es nicht weit haben zu den jeweils virulenten Polit- und Kulturdebatten, die der bürgerlich-kreativen Klientel des Cafés gerade nahelagen.

20 Jahre lang Viennale-Führung

Am Ende war er doch weit weg – aber immerhin in seinem geliebten Italien, in dem er sich mehrmals jährlich, beruflich wie privat, aufhielt. In einem römischen Hotelzimmer ereilte Hans Hurch am Sonntagvormittag vorvergangener Woche der Herztod. In die Stadt war er gereist, um den US-Regisseur Abel Ferrara, den der Direktor der Viennale gut kannte, zu besuchen, ihn dazu zu überreden, den diesjährigen Festivaltrailer anzufertigen; offenbar bestand Zugzwang, Ferrara zierte sich, und die Latte liegt hoch: Seit bald zweieinhalb Jahrzehnten bestreiten renommierte internationale Filmschaffende die kurzen, meist kryptischen Viennale-Spots. So starb Hurch mitten in der Arbeit, die er so liebte: in der Ausarbeitung eines möglichst persönlichen, der politischen und gesellschaftlichen Gegenwart dennoch sehr konkret entsprechenden Programms für seine Viennale. Seit 1997 hatte Hurch das Filmfest geleitet, das er damals von Alexander Horwath, dem nunmehrigen Chef des Filmmuseums, übernommen hatte. Volle 20 Jahre lang hat Hurch die Viennale anhaltend erfolgreich geführt (und er hatte vor, es noch dieses und nächstes Jahr zu tun, ehe er seinem Nachfolger den Platz räumen wollte). Er begriff diesen Job nicht einfach nur als Zusammenstellung der wichtigsten, international meistdiskutierten Filme des jeweiligen Kinojahres, sondern als regelrecht künstlerische Profession – er sah sich als eine Art „Autor“ eines ganz bestimmten Blicks auf das Kino.

Wie es mit der Viennale weitergehen wird, weiß zur Stunde niemand. Man wolle das erst halb vorbereitete diesjährige Programm „in seinem Sinne gestalten“, heißt es aus dem Pressebüro des heuer ab 19. Oktober laufenden Festivals; wie schnell eine neue Leitungsfigur gefunden werden kann, die eigentlich in wenigen Wochen zu arbeiten beginnen müsste, um im Oktober 2018 das erste Post-Hurch-Programm vom Stapel laufen zu lassen, ist ebenso ungeklärt. Eine Ausschreibung liegt noch nicht vor.

Seinen filmkünstlerischen Abneigungen verlieh Hans Hurch, geboren im oberösterreichischen Schärding, gern polemisch Ausdruck; und er legte sich dabei immer wieder medienwirksam mit Regisseuren wie Michael Haneke, Ulrich Seidl, Michael Glawogger an; seine Vorlieben, geschult an den klassischen Werken John Fords, Roberto Rossellinis und dem spröden Kino Danièle Huillets und Jean-Marie Straubs (mit denen er in den 1980er-Jahren gearbeitet hatte), machte er aber ebenso transparent. Die vehemente Kritik, die er zuweilen sehr laut übte, richtete er, wenn er nicht gerade mit Kunstschaffenden oder Journalisten die Klingen kreuzte, mit besonderer Inbrunst auch an die Kulturpolitik; aber das Feiern außerordentlicher Regie-Positionen vergaß er darüber nicht.

Ungewöhnlich und unverwechselbar

Hans Hurch war eine ungewöhnliche Gestalt, innerlich wie äußerlich – und darin liegt wohl einer der Gründe dafür, warum sich dieser Tage auch Menschen von seinem Ableben so tief betroffen zeigen, obwohl sie ihm persönlich nie begegnet waren. Man meint, ihn gekannt zu haben, weil er so unverwechselbar war; Hurch war seine eigene Marke. Grundsätzlich in Schwarz gekleidet, führte er Leuten, die daran wenig interessiert waren, mit diebischer Freude die Abnutzungserscheinungen an seinem Sakko, die Löcher in seinen Socken vor. Er stilisierte sich, obwohl sich natürlich gerade in solchen Manövern eine ganz spezielle Form des Narzissmus manifestierte, zu einem von Moden und Eitelkeiten unbelasteten Zeitgenossen, gab sich als Bohemien aus, spielte den Anti-Kulturmanager schlechthin. Hurch war sympathisch old school, arbeitete mit einem nicht geringen Maß an persönlichem, liebevoll kultiviertem Chaos, ohne jedes Interesse an digitaler Technik: Den Computerschirm auf seinem Schreibtisch in Büro der Viennale hatte er demonstrativ von sich weggedreht; um E-Mails zu versenden, benötigte er seinen Assistenten, dem er sämtliche Botschaften diktierte oder diese mit der Hand vorab verfasste.

Die Lust an scharf und öffentlich geführten Konflikten, an starken Meinungen und heftigen Ansagen war ihm anzumerken, er wusste, dass er damit auffiel, was seinem Festival wohl zugutekam. Mit avancierter Kunst allein, davon war er überzeugt, könne man jene Popularität, die ein Filmfestival von der Größe der Viennale zum Überleben braucht, kaum herstellen. Man freute sich, ihn zu sehen, das ging interessanterweise sogar jenen so, die keineswegs alle seine Meinungen teilten und sich eigentlich längst mit ihm überworfen haben mussten; aber der Schalk, der Hurch nicht nur im Nacken saß, sondern sich seinen Weg irgendwie auch noch in dieses stets ein wenig spöttische Gesicht, in seine schadenfroh blitzenden Augen gebahnt hatte, hielt die Animositäten klein. Hurch war ein streitbarer, ein widerständiger Geist, der sein Charisma und seinen durchaus anarchischen Humor strategisch dazu benutzte, die Härte mancher seiner (bisweilen bewusst überzogenen) Einschätzungen zu mildern. Seine prononcierten Haltungen und Interventionen, mit denen er genüsslich noch seine Festivaleröffnungsreden garnierte, die er spöttisch „Predigten“ nannte, werden dieser Stadt, diesem Land schmerzlich fehlen; denn bei allem Sinn für heitere Zuspitzung bestach der oft hochmoralische Ernst, mit dem er als widerborstiger Stichwortgeber und Freund der kulturpolitischen Frontalattacke argumentierte. Es ging ihm, wenn er sich zu Wort meldete, in aller Regel wirklich um etwas (und sei es nur die Destabilisierung fauler institutioneller Friedenszustände), in der Rolle des sarkastischen Mahners erscheint er unverzichtbar, hierzulande sogar einzigartig.

Nur 64 Jahre wurde er nun alt. Hans Hurchs Ableben kam überraschend, weil seine Vitalität bis zuletzt ungebrochen erschien; tatsächlich litt er länger schon an Schlafapnoe und Herzbeschwerden. Aber er ging eben nicht nur mit anderen, sondern auch mit sich selbst hart, mitunter nachlässig um. Dass der langjährige Präsident der Viennale, der ehemalige Hollywood-Produzent Eric Pleskow, inzwischen 93, jenen Festivaldirektor, den er über alles schätzte, überleben würde, damit konnte niemand rechnen.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.