Voyeurismus und Gruseln. Autor Heinz im "Goldenen Handschuh"
„Schlimmer geht es kaum“

Heinz Strunk: „Schlimmer geht es kaum“

Autor Heinz Strunk über die Faszination des Bösen

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profil: Vier Frauen hat der Nachtwächter Fritz Honka in den Siebzigern in Hamburg getötet. Die Leichenteile hat er über Jahre in seiner Wohnung versteckt. Was hat Sie an der realen Figur eines Frauenmörders interessiert? Heinz Strunk: Das Thema hat sich aufgedrängt. Ich war in Honkas Stammkneipe, dem „Goldenen Handschuh“ in St. Pauli, immer wieder selbst zu Gast. Honka hat in dieser Trinkerkneipe auch seine Opfer kennen gelernt.

profil: War es schwer für Sie, diese Welt aus Gewalt, Tod und Alkoholmissbrauch nicht zu nah an sich zu lassen? Strunk: Nein, gar nicht. Zu den Gewaltszenen hatte ich immer eine professionelle Distanz. Belastet hat mich das nicht. Es hat mir Spaß gemacht, mich immer genauer in dieses Milieu hinein zu fühlen.

profil: Der reale Frauenmörder Honka ist 1998 im Knast gestorben. Hätten Sie gerne mit ihm gesprochen? Strunk: Eigentlich nicht. Das hätte auch nichts gebracht. Was ich über Honka für mein Buch wissen musste, habe ich aus den Polizei- und Gerichtsakten erfahren. Ich glaube auch nicht, dass er intellektuell in der Lage gewesen wäre, noch etwas Nennenswertes beizusteuern. Honka muss ein extrem unangenehmer Mensch gewesen sein.

profil: Gibt es heute im „Goldenen Handschuh“ noch Menschen, die sich an Honka erinnern können? Strunk: Die gibt es. Der ehemalige Wirt hat mir bei der Präsentation meines Buches das schönste Kompliment gemacht. Er meinte, genau so, wie ich es geschildert habe, war es auch. Für mich kam das überraschend.

profil: Sie haben Ihre Geschichte entlang der realen Figur erzählt und mit fiktiven Elementen, Erzählsträngen und Personen zu einem Roman verwoben. Über Wahrheit und Fiktion haben Sie sich keine Gedanken gemacht? Strunk: Nein. Ich sehe mein Buch in der Tradition von Truman Capotes „Kaltblütig“, dem wohl bekanntesten Tatsachenroman. Angeblich ist ja Capote an der Recherche seines Buches zerbrochen, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob das nicht nur eine Legende ist. Capote hat danach wohl nicht mehr viel Relevantes geschrieben.

profil: Sie haben unzählige Presseberichte, Polizei- und Gerichtsakten ausgewertet. Wie lief die Recherche für Ihr Buch? Strunk: Die war essenziell. Über den Fall Fritz Honka war ja nicht viel bekannt. Ich hätte mir alles aus den Fingern saugen müssen. Die Recherche im zweiten Erzählstrang des Buches, die Geschichte über die gescheiterte Hamburger Reeder-Familie, war aber noch wichtiger.

profil: Warum haben Sie diese beiden Storys überhaupt verwoben? Honka: Über 200 Seiten Honka-Elend wäre zu monoton geworden. Ich wollte die Milieus auch in der unterschiedlichen Sprache abbilden.

profil: Sie selbst sind in erster Linie als Autor humorvoller autobiografischer Romane bekannt. War es eine bewusste Entscheidung, das Metier zu wechseln? Strunk: Der Stilwechsel hat sich bereits über mehrere Bücher gezogen. Das war ein kontinuierlicher Weg, der sich abgezeichnet hat.

profil: Erfahren Sie jetzt, nachdem Sie im ernsthafteren Metier reüssiert haben, auch mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung? Strunk: Dass ich mehr kann als lustige Anekdoten-Bücher zu schreiben, war dem Feuilleton bereits bekannt. Die Aufmerksamkeit entsteht aber natürlich auch über den Erfolg. Idealerweise muss ein Buch zwei Kriterien erfüllen: Es muss bei Kritikern Anerkennung kriegen und ein Verkaufserfolg sein. Das hat man als Autor sehr selten. Bestseller landet man in der Regel ja nur mit Trivialliteratur.

Der Schreibvorgang ist überwiegend quälend und mit sehr viel Frustration verbunden.

profil: Ihr Roman ging mehrmals durch das Lektorat. Ist es schwierig für Sie als Autor, gewisse Freiheiten aufzugeben und Nachbesserungen vornehmen zu lassen? Strunk: Was heißt Nachbesserungen? Der Lektor macht Vorschläge, die man dann in vertrauensvoller Kooperation umsetzt. Ich fühle mich da als Autor auch nicht bevormundet. Es wäre für einen Autor selbstmörderisch, kein Lektorat anzunehmen. Lektoren sind ja vollkommen uneitel. Das sind Menschen, die versuchen, ein gutes Buch noch besser zu machen.

profil: Wie wichtig ist Ihnen als Allround-Künstler, der ja auch als Musiker, Kolumnist und Entertainer in Erscheinung tritt, der Prozess des Schreibens? Strunk: Der Schreibvorgang ist überwiegend quälend und mit sehr viel Frustration verbunden. Befriedigend ist es erst ganz am Ende. Bei Kolumnen oder Songtexten geht das ja vergleichsweise flott.

profil: Kann große Kunst nur durch quälende Schaffungsprozesse entstehen? Strunk: Ich kann das natürlich nur subjektiv beantworten. Qual und Frustration gehören aber definitiv dazu. Auch das Gefühl, dass man mit den ersten Romanfassungen stilistisch nur sehr wenig anfangen kann. Grundsätzlich geht es bei Literatur heutzutage nicht mehr um den Plot, sondern nur noch um die Frage, wie etwas geschrieben ist.

profil: Wie bekämpfen Sie die kreative Mühsal? Arbeiten Sie Ihre Schreibstunden wie bei einem Bürojob akribisch ab? Strunk: Mehr als vier Stunden Schreibtätigkeit sind pro Tag nicht drin. Ich halte mich da an einen Satz von Philip Roth: Amateure warten auf Inspiration, Profis setzen sich hin und beginnen zu arbeiten.

Bei mir geht es um die Frage, wie aus einem normalen Menschen eine Bestie wird.

profil: Im Falle Ihres Buchs kann man getrost von einem Bestseller sprechen. Warum verkaufen sich reale Horrorgeschichten immer noch so gut? Strunk: Solche Geschichten haben immer schon ihre Leser gefunden. Das ist eine Mischung aus Voyeurismus und wohligem Gruseln. Obwohl es in meinem Fall ja kein Krimi ist, in dem es ein abstraktes Böses gibt. Bei mir geht es eher um die Frage, wie aus einem normalen Menschen eine Bestie wird.

profil: Fasziniert nicht auch der Schrecken in der Nachbarschaft? Tür an Tür mit dem Bösen zu leben? Strunk: Es geht um die Ambivalenz des Bösen. Auch Mörder sind nicht ausschließlich böse. Bei Honka sind die Morde ja auch eher zufällig passiert. Sein Leben ist ihm entglitten. Einen größeren Pechvogel kann man sich nicht vorstellen. Er kam aus einer schrecklichen Nachkriegsfamilie, verbrachte sein junges Leben als Leibeigener, dazu seine Minderbegabung. Schlimmer geht es ja kaum.

profil: Ist das titelgebende Lokal noch nicht gentrifiziert? Strunk: Nein. Das ist aber auch ein Wort, mit dem ich recht wenig anfangen kann. Die Kneipe ist das genaue Gegenteil davon. Das Interieur ist noch immer so wie vor 50 Jahren, obwohl alle paar Jahre komplett renoviert wird. Es fällt nur niemandem auf. Wenn keine Touristen oder Partygänger da sind, ist alles noch wie in den frühen Siebzigern.

profil: Kann es nicht sein, dass der Erfolg Ihres Buches vermehrt Elendstouristen in den „Handschuh“ ziehen wird? Strunk: Bisher habe ich nur gehört, dass das Vorabendgeschäft besser läuft. Da können wohl alle ganz gut damit leben.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.