Interview

Hito Steyerl im Filmmuseum: „Soziale Medien? Ich lehne diese algorithmischen Hassfabriken ab.“

Die deutsche Film- und Medienkünstlerin Hito Steyerl bespielt mit ihren spektakulären, politisch akuten Werken die bedeutendsten Museen und Großausstellungen. Ein Gespräch über Krieg und künstliche Intelligenz, über schlechte Bilder, Fake News und den neuen Antisemitismus.

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Sie legt den Finger in die Wunden der sozialen Ungleichheit, der alltäglichen Ausbeutung, des industriellen Marsches über Leichen: Dagegen bringt sie die Technologie in Anschlag, produziert giftig bunte Videos und Installationen, in denen dokumentarische und fiktionale Elemente, aber auch Pop & Politik, Trash & Art verschmelzen. Sie nähert sich kritisch den Themen Überwachung, Kapitalismus und Antisemitismus, auch dem Verhältnis von Natur und Maschine, vor allem aber: den Möglichkeiten und Limits der audiovisuellen Grammatik.

Hito Steyerl, 57, Filmemacherin und Autorin, lebt in Berlin, aber eigentlich befindet sie sich beruflich auf kaum je unterbrochener Weltreise, nimmt regelmäßig an Großausstellungen wie der Biennale in Venedig oder der Kasseler Documenta teil – und hatte allein in den letzten sieben Jahren Soloshows im Pariser Centre Pompidou, im Amsterdamer Stedelijk Museum, im Museum of Contemporary Art in Los Angeles und in den Londoner Serpentine Galleries. An der Berliner Universität der Künste hat sie lange unterrichtet, an der Münchner Akademie der bildenden Künste wird sie als Professorin nun drei Jahre lang eine Klasse für Generative Medien aufbauen, die sich maßgeblich mit künstlicher Intelligenz (KI) befasst. Für das profil-Interview schaltet sie sich per Zoom aus San Francisco zu.

Streitbar ist Hito Steyerl jedenfalls: Vor zwei Jahren lehnte sie das Bundesverdienstkreuz, das ihr die Republik überreichen wollte, wegen der politischen Misere in Bildungs- und Kulturfragen ab und nannte den Versuch, sie auszuzeichnen, „Diversity Washing systemischer Missstände“. Im Sommer 2022 reagierte sie als eine der ersten auf den bis heute nachwirkenden Antisemitismus-Eklat bei der Documenta und zog ihr dort prominent installiertes Werk wieder ab. Humor ist, gerade angesichts des tödlichen Ernsts der Weltlage, ein wesentlicher Ausgangspunkt für sie. Sie müsse sich während der Arbeit eben „bei Laune halten“, sagt Steyerl, denn es sei meist „ziemlich langweilig, technische Probleme zu lösen und Computerabstürzen entgegenzuwirken“.

Kommende Woche wird sie Wien beehren: Eine in Kooperation mit sixpackfilm konzipierte Werkschau im Österreichischen Filmmuseum wird zwischen 6. und 8. Dezember alle von ihr fürs Kino freigegebenen Single-Channel-Produktionen in fünf Programmen versammeln. Es sind Filme, die zwischen 1990 und 2014 entstanden;

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.