Verwalter der Action-Tradition: Spezialagent James Bond (Daniel Craig)

James Bond „Spectre”: Verlorene Zeit

Schutt, Tourismus, Pyrotechnik: In "Spectre" pflegt Bond-Darsteller Daniel Craig treu das Erbe der Serie.

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Am Día de los Muertos, dem mexikanischen Allerseelen, wenn in den Straßen und auf den Friedhöfen exzessiv gefeiert wird, kehren die Toten in die Welt zurück. Kein schlechtes Datum für eine Figur wie James Bond, um wieder für Unruhe zu sorgen. Kaum fünf Minuten braucht Agent 007, bis in der Eröffnungssequenz des neuen Bond-Vehikels "Spectre" ein Grand-Hotel sowie ein angrenzender Häuserblock in Schutt und Asche liegen. Für Mexico City ist der Tag der Toten damit erst einmal ruiniert - aber es ist nur die Ankündigung für noch größeres Unheil.

James Bond ist also wieder unterwegs, und selbstverständlich sieht Daniel Craig dabei zu Lande, zu Wasser und in der Luft blendend aus, im Smoking und im Après-Ski-Outfit, fallweise geschüttelt, aber immer ungerührt. Alles wie gehabt, touristische Dekors, product placement und pyrotechnische Zerstörungsorgien inklusive. Von Mexico-Stadt aus geht es nach Rom (Opfer-Witwe Monica Bellucci und Bösewicht Christoph Waltz warten dort), nach Altaussee, Tanger und in die marokkanische Wüste - alles nur Umleitungen auf dem Weg nach London, wo im Zeichen des globalen war on terror ein Merger der größten Geheimdienste der freien Welt vorbereitet wird.

Der neue Bond interessiert sich für Geschichte allein als Repertoireprogramm.

Wer sich nach Sam Mendes' "Skyfall" (2012), dem mit 1,1 Milliarden Dollar Einspielergebnis bis dato erfolgreichsten Bond-Film, darüber gefreut hatte, dass das Bond-Franchise eine neue Richtung eingeschlagen hatte und minimalistischer, erwachsener und psychologisierender erschien, wird in "Spectre" enttäuscht. Der neue Bond interessiert sich für Geschichte allein als Repertoireprogramm. Der Frühling von "Skyfall" war kurz. Er verdankte sich vielleicht nur einem Veto der Rechtsabteilung, nur ja keine strittigen Elemente aus der Vergangenheit der Serie zu verwenden.

Denn "Spectre", erneut von Mendes inszeniert, ist der erste Film nach dem Ende der Battle for Bond anno 2013, einem filmwürdigen Wirtschaftskrieg, der zwischen den Rechte-Inhabern seit Beginn der Filmserie in den frühen 1960er-Jahren geführt wurde. Damals hatten sich Bond-Erfinder Ian Fleming und die Produzenten Broccoli und Saltzman erstmals mit den Ansprüchen von Kevin McClory auseinandersetzen müssen: Mc-Clory, Freund von Fleming und selbst sehr erfolgreich im Filmgeschäft, hatte an der Verwandlung Bonds in die Kinofigur von heute maßgeblichen Anteil. Anfänglich ausgebootet von Fleming, brachte ihm dies nach einer erfolgreichen Klage den Erst-Credit für die Story des 007-Romans "Thunderball" ein und sicherte ihm auch die Remake-Rechte am zugehörigen Filmstoff. Der spätere Bond-Ableger "Never Say Never Again" (1983), in dem Sean Connery reaktiviert wurde, war eine autonome Produktion aus McClorys Hand. Der Streit berührte auch eine Idee, mit der Bond groß geworden war: Die Verbrecherorganisation Spectre und die ikonische Figur des Superschurken Blofeld, beides zentrale Elemente in "Thunderball", lieferten Flemings Universum ein entideologisiertes Ziel für die Aktivitäten der 007-Figur, das auch den Kalten Krieg überleben sollte. Um wie viel Geld es in dem Streit gehen würde, konnte seinerzeit niemand ahnen: Der "Economist" veranschlagt das Einspielergebnis der Serie heute, inflationsbereinigt, auf mehr als 13 Milliarden Euro - die erfolgreichste Franchise der Filmgeschichte.

Es genügt ein Schatten über Christoph Waltz beim kriminellen Vorstandsmeeting in Rom, und der Fan erkennt im - nunmehr österreichischen - Metaverbrecher Oberhauser den Spectre-Boss Blofeld wieder.

Den endgültigen Erwerb aller Rechte feiert das Bond-Epos Nummer 24 nun prompt mit der Wiederbelebung des Unternehmens Spectre. Im Kino sorgt dies für ein inzwischen vertrautes Paradoxon: Das Publikum weiß mehr über die Zusammenhänge als Bond selbst. Es genügt ein Schatten über Christoph Waltz beim kriminellen Vorstandsmeeting in Rom, und der Fan erkennt im - nunmehr österreichischen - Metaverbrecher Oberhauser den Spectre-Boss Blofeld wieder. Seit den 1960er-Jahren geistert der Schurke mit seinem Über-Verbrechersyndikat durch die Serie, die weiße Perserkatze stets in Reichweite. Dass "Spectre" nun sogar Familienbande zwischen Bond und Blofeld konstruiert, ist wohl exzentrisch, aber auch nicht absurder als andere Story-Elemente, die so deutlich auf kommende Produktionen hin orientiert sind, dass die löchrige Gesamterzählung zwischen den Actionsequenzen unpassend behäbig erscheint: Fährtenlegen in die Zukunft.

So darf auch Bonds aktuelles love interest (Léa Seydoux) als französische Gangstertochter aus den österreichischen Alpen zwar versteckte Talente im Umgang mit Handfeuerwaffen zeigen, aber ihr Story-Potenzial wird aufgespart, während Waltz in seinem Wüstenreich nur darauf wartet, dass Bond naiv durch seine Tür spaziert. Die Formel für die Beschreibung dieser sicherheitstechnischen Demenz wurde schon 1963 in "From Russia With Love" gefunden: "Sie sehen eine Falle immer als Herausforderung an." Da die von Seydoux gespielte Figur Madeleine Swann heißt, dürfen sich geneigte Kinogänger gerne auch an Teegebäck und Marcel Prousts monumentalen Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" erinnern. In diesem Witz für bibliophile Fans spielt Bond keine Rolle, denn für ihn ist alles Gegenwart, während der Film rundherum, ein einziges Mäandern in der Vergangenheit, nur auf Zitate setzt. Es wird weitere Kinospektakel brauchen, um zu sehen, ob hier ein neues Erbe angelegt wird, mit dem man weiter, besser spielen kann. Sicher ist einstweilen nur eines: Der nächste Bond wird kommen.