Interview

Joachim Meyerhoff: "Dieses Wort, dieses entsetzliche Wort"

Im Alter von 51 Jahren erlitt Joachim Meyerhoff einen Schlaganfall. In seinem neuen Buch verarbeitet der Theaterstar dieses Erlebnis. Ein Gespräch über die Zerbrechlichkeit der Existenz, das Komische im Tragischen und Ballett in Spitalsgängen.

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INTERVIEW: ANGELIKA HAGER

profil: Wie wütend hat Ihr Schicksalsschlag Sie gemacht?
Meyerhoff: Seltsamerweise hat sich der Zorn, der ja durchaus einer meiner Lebensbegleiter war, nicht gemeldet. Ich habe mir die Freiheit genommen, einfach zu sagen: Es hat mich halt erwischt.

profil: Keinerlei Warum-ausgerechnet-ich-Selbstmitleid?
Meyerhoff: Der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf stellte sich in dem Blog über sein Sterben an einem Gehirntumor die Gegenfrage: Warum eigentlich nicht ich? Ich beschloss ebenso, das Ereignis einfach zu akzeptieren.

profil: Sie beschreiben sich in "Hamster im hinteren Stromgebiet" als "Fitti".Gab es eine medizinische Erklärung?
Meyerhoff: Ich hatte einen sogenannten kryptogenen Schlaganfall. Diesen Begriff hat mir meine Ärztin geschenkt. Das heißt, es gibt dafür keine Erklärungen. Ich sagte dann nur: "Na ja, das ist nicht das Einzige in meinem Leben, das kryptogen ist."Das fand sie durchaus amüsant.

profil: Oft heißt es: Es war ein Warnsignal des Körpers, dass es so nicht weitergehen konnte.
Meyerhoff: Ich war nie sonderlich selbstzerstörerisch unterwegs. Ich war nie einer, der 14 Spritzer getrunken hat, Kette rauchte und dann selig umgefallen ist. Aber natürlich kenne ich solche, die trotz dieser Lebensführung bei bester Gesundheit sind. Gesundheit ist eben ungerecht.

profil: Haben Künstler oft einen Hang zur Selbstzerstörung?
Meyerhoff: Es gibt einige, die in ihrer Kunst regelrecht verbrennen. In dem Stück "Die Welt im Rücken" verzehrte ich mich als Künstler nach der Berührung mit dem Abgrund. Gleichzeitig schreckte ich aber auch davor zurück.

profil: Sie wirken im echten Leben eher asketisch als hedonistisch.
Meyerhoff: Ich lerne gerade etwas Hedonismus von meiner Frau. Aber es stimmt. Mein Verlag ist ja in Köln, und wenn ich mit den Leuten dort ausgehe, sitzen die und sitzen. Und ich bin immer wie auf dem Sprung, als ob ich noch woanders hin oder ganz schnell nach Hause müsste. Dabei weiß ich vielleicht gar nicht, was ich zu Hause überhaupt tun sollte. Aber diese Sitzerei macht mich wahnsinnig.

profil: Wer viel trinkt, kann lang sitzen.
Meyerhoff: Ja, da kommt ja dann auch unaufgefordert ein Kölsch nach dem anderen. Man bestellt Kölsch nicht nach, sondern muss abwinken, wenn man kein weiteres Glas möchte. Wenn einem dazu allerdings die Kraft fehlt, wird man weiter versorgt, bis man unter den Tisch sinkt.

profil: Ihre Münchner Großeltern beschrieben Sie in Ihrem dritten Band als hochelegante Menschen, die ihre Tage nach Alkoholkonsum-Ritualen regelrecht strukturierten.
Meyerhoff: Sie waren wirklich sehr elegant, auch im Trinken. Und wurden sehr alt mit diesem Lebensstil-obwohl mein Großvater seit dem Krieg nur noch eine halbe Lunge hatte.

profil: Wie fühlte sich Ihr erster Theaterauftritt nach dem gesundheitlichen Abgrund an?
Meyerhoff: Ich war sehr in Sorge, dass ich nicht mehr so wie früher Theater spielen können würde. Wackelig war ich, als ich am Hamburger Schauspielhaus Anfang 2019 den Shylock im "Kaufmann von Venedig" spielte. Eine überschaubare Rolle. Etwas anderes wäre gar nicht möglich gewesen. Tatsächlich war das Theater aber auch die beste Therapie: Sprache, Gedächtnis, Feinmotorik, Beweglichkeit und Koordination sind dort im Zusammenspiel gefordert wie nirgendwo sonst. Aber natürlich ist der Beruf des Schauspielers auch gnadenlos. Wenn du einmal mit dem Flieger abgehoben hast, kannst du nicht plötzlich sagen: Ich will doch lieber wieder runter.

profil: Sie schreiben, dass Sie beim Spielen immer glühen mussten.
Meyerhoff: Vielleicht sollte ich diesen Zugang der Ausschließlichkeit auch überdenken. Ob ich noch genauso belastbar bin, muss ich erst herausfinden. Doch eines werde ich sicher nicht machen: Rezitationsabende mit Ringelnatz und Klavierbegleitung.

profil: Erstaunlicherweise sieht man Sie kaum in TV-Produktionen und Kinofilmen.
Meyerhoff: Das finde ich eigentlich auch seltsam. In einem 30-jährigen Schauspielerleben habe ich es gerade einmal auf drei Drehtage gebracht. Vielleicht bin ich auch zu theaterbesessen. Und meine freie Zeit will ich zum Schreiben nützen-obwohl ich schon vor dem Schlaganfall gar nicht sicher war, ob ich überhaupt noch ein Buch schreiben will. Oder auch kann.

profil: Das klingt eigenartig für jemanden, der von seinen Büchern 2,3 Millionen Exemplare verkaufte.
Meyerhoff: Ich wusste es tatsächlich nicht. Und dann schenkt einem die Katastrophe dieses fantastische Thema. Durch das, was ich mir für mich auf keinen Fall wünschte, wurde mir eine glückselig machende Intensität als Erzähler beschert.

profil: Da befinden Sie sich mit Ihrem Ausdrucksarsenal natürlich auch in einer privilegierten Situation.
Meyerhoff: Das stimmt. Aber es gibt ja auch Manager, die nach einem Burn-out aussteigen und wandern gehen und beim Gehen denken: Was war das nur für ein Quatsch, für den ich mich da zerrissen habe?

profil: Wie schmerzhaft war es, beim Schreiben die Tragödie noch einmal zu durchleben?
Meyerhoff: Ich sehe mich als Erzähler, und im Erzählen stellt sich Distanz ein. Ich musste diesem entsetzlichem Wort andere Worte entgegensetzen.

profil: Was für ein Wort?
Meyerhoff: Dieses Wort, dieses entsetzliche Wort Schlaganfall. Aber das ist die Wahrheit, die einem widerfahren ist.

profil: Sie schreiben sehr ausführlich über die Prozedur des Pinkel-Scheiterns in eine Glasflasche im Bett der Intensivstation. Gab es bei solchen Passagen auch so was wie Selbstschutzreflexe?
Meyerhoff: Je persönlicher man etwas schildert, desto allgemeingültiger wird es. Es gibt fast 300.000 Schlaganfälle jährlich im deutschsprachigen Raum. Auch in meinem Alter ist das lange nicht so ungewöhnlich, wie ich dachte. Was viele vielleicht unterschätzen: Hinter dieser zusammengebauten, teils überhöhten Welt eines Romans liegt noch eine ganz andere, nämlich meine eigene, die ich aber nicht preisgeben will. Ich trage meine Haut nicht zu Markte und stehe auch nicht völlig nackt da, wenn ich mich in dieser Schwäche zeige. Das Erzählen ist wie ein Schutz.

profil: Schwebt nicht auch die Gefahr mit, dass man durch so einen Text auf den medizinischen Ernstfall reduziert wird?
Meyerhoff: Ich war mir nicht sicher, ob ich diesen Text überhaupt veröffentlichen will. Thomas Ostermeier (Intendant der Berliner Schaubühne, Anm.) ermöglichte mir, ihn vor Publikum zu lesen. Wenn sich da Betroffenheit und beklemmende Stille eingestellt hätten, hätte ich es auf gar keinen Fall gemacht. Ich wollte nicht leidend und als eine Art Schlaganfall-Beauftragter rüberkommen. Ich wollte die Geschichte mit Komik zerschießen und transformieren zu etwas, in dem das Ernste wie Tragische und das Komische wie Groteske nahe beieinander liegen. So wollte ich mir das Narrativ, das mir das Ereignis weggerissen hat, zurückholen.

profil: Um damit auch die Kontrolle über das entglittene Leben wieder zu kriegen?
Meyerhoff: Kontrolle klingt so bürokratisch. Ich versuchte, nicht von der Last der Ernsthaftigkeit, die ein solcher Vorfall einfordert, erdrückt zu werden. Ich wollte, dass man eben auch ein Spinner bleiben darf und nicht ausschließlich so ein armseliges Männchen im Nachthemd ist.

profil: Kein Früchtetee-Trinker, sondern ein Stroke-Unit-Dandy, wie Sie schreiben.
Meyerhoff: Ein Spinner, ein Dandy, ein Hallodri, einer, der nachts in den Spitalsgängen Ballett tanzt. Es sind einfach Versuche, den Kopf wieder über Wasser zu bekommen.

profil: Sie schreiben auch über die Trennung von Ihrer ersten Frau und Ihrer neuen Liebe. Mussten Sie sich diese Blicke ins Private absegnen lassen?
Meyerhoff: Ich habe zuerst geschrieben, und dann konnten es natürlich alle lesen. Meine Töchter machten einige kritische Anmerkungen. Tatsächlich ist das ja auch kein Text über ein Patchwork-Konstrukt. Das hätte ich niemandem zugemutet, auch mir nicht. Das Private bleibt nur in der Andeutung, der Nukleus der Geschichte ist dieses Ausgeliefertsein und wie diese Zerbrechlichkeit über mich kam.

profil: Sie deuten auch Ihren Trennungsschmerz und Ihr schlechtes Gewissen an. Was kann man Männern in ähnlichen Situationen raten?
Meyerhoff: Ich bin nicht der Richtige, um irgendetwas raten zu können. Ich stehe dieser Patchwork-Verherrlichung kritisch gegenüber, weil sie alle fordert und auch überfordert. Vielleicht hilft auch dieser in die Jahre gekommene Satz: Die Zeit heilt alle Wunden. Er stimmt oft nicht, denn manche Wunden sind unheilbar, aber Schuld und Schmerz verlieren nach den Jahren an Dynamik.

profil: Haben Sie im Shutdown Homeschooling mit Ihren Kindern gemacht?
Meyerhoff: Erbarmen! Es ging mir während dieser Zeit selten etwas so auf die Nerven wie dieses Homeschooling. Ich entwickelte bei meinem armen Sohn auch gleich so einen Blockwart-Ehrgeiz. Die Zeit der Isolation empfand ich im Gegensatz zu vielen anderen eher als frustrierend. Ich stand gerade in den Startlöchern, um mir eine neue künstlerische Heimat zu schaffen. Nach Wien wollte ich nicht zurück, und in Berlin waren wir noch nicht richtig angekommen.

profil: Bleibt die Angst vor der eigenen Zerbrechlichkeit?
Meyerhoff: Ja, natürlich. An den motorischen Einschränkungen vorbei schleichen sich auch psychische Probleme. An einer sogenannten Post-Stroke-Depression führte kein Weg vorbei. Das Urvertrauen, dieses Gefühl, ich bin da und mir passiert nichts, rutscht weg. Der Schreck sitzt tief. Eine Psychotherapie blieb unausweichlich, um zu einer gewissen Gelassenheit zurückzufinden. Ich war ja zweimal im Krankenhaus, weil ich der festen Überzeugung war, dass ich einen erneuten Schlaganfall erleiden würde. Der absolute Irrsinn, das kann ich Ihnen versichern. Es war schon in Berlin. Ich habe zweimal den Krankenwagen gerufen und wurde auch in die Röhre geschoben. Der Wahnsinn ist, dass Angst Symptome simulieren kann. Ich spürte tatsächlich, dass mein linker Arm taub wurde, meine linke Körperhälfte verschwand und mein Hirn mit Panik überflutet wurde. Als beide Male die Entwarnung kam, war das, als ob ein schweres Kissen von mir falle. Die Angst löste sich in Nichts auf.

profil: Ist das Schauspielerleben in Berlin nach Jahren in dem theaterverrückten Wien nicht auch ernüchternd?
Meyerhoff: Zu mir hat ein Berliner einmal gesagt: "Ich hab Sie gestern in dem Stück Soundso gesehen." Ich fragte: "Und? Wie fanden Sie es?"-"Hätte schlimmer kommen können."Das war als Kompliment gedacht. Das Höchste der Gefühle ist allerdings: "Kann man nicht meckern."Da geht der Berliner so richtig durch die Decke.

profil: Verfolgen Sie in Deutschland die österreichische Innenpolitik noch?
Meyerhoff: Nein. Ich bin richtig froh, dass ich all diese Gestalten losgeworden bin.

profil: Hat Sie das alles früher aufgeregt?
Meyerhoff: Ich bin ein manischer Zeitungsleser. Zu meiner Lesekultur gehörte natürlich auch profil. Oft habe ich im Café darauf gewartet, bis ein anderer Gast es endlich fertig gelesen hatte. Ich wusste alles über österreichische Politik, kannte alle Landeshauptleute mit Namen und sah der SPÖ kummervoll beim täglichen Sterben zu. Als sich Herr Kern aus der Politik verabschiedet hatte, war ich empört wie selten. Opposition war unter seiner Würde, wohl auch unter seiner finanziellen.

profil: Woher rührte dieser Ehrgeiz?
Meyerhoff: Der Vater meiner Frau las immer profil. In der Kantine des Burgtheaters wurde heiß diskutiert. Ich musste stets auf dem neuesten Stand sein, um mithalten zu können. Ich wollte auch aus Respekt gegenüber dem Land, in dem ich lebe, politisch Bescheid wissen.

profil: Sind deutsche Politiker anständiger?
Meyerhoff: Natürlich nicht! Aber etwas geschickter eventuell. In Österreich hat die Politik mehr Hang zum Drama, das führt wesentlich öfter zu theatralischen oder auch grotesken Situationen.

profil: Was hat Sie besonders erheitert?
Meyerhoff: Diese unfassbare Dreistigkeit, mit der da beispielsweise behauptet wurde, dass es ganz normal sei, Festplatten zu schreddern oder WhatsApp-Nachrichten zu löschen. Und ein Minister, der tatsächlich behauptet, keinen Laptop zu haben. Das war schon amüsant.

profil: Entsprechen Sie dem Klischee, dass das zweite Leben nach einer solchen Katastrophe eine andere Intensität bekommt?
Meyerhoff: Nein. Ich gucke nicht intensiver als zuvor in die Welt. Ich war meinen Kindern auch vorher schon sehr nahe. Leider sind die Blätter nicht grüner geworden. Leider liegen plötzlich nicht alle Rätsel offen.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort