Komponist Beat Furrer.

Komponist Furrer: "Pavarotti singt Beatles - das ist doch furchtbar!"

Der Komponist Beat Furrer, Stargast des Klangspuren-Festivals in Schwaz, über sein Handwerk, den Fluch der Fixierung auf das Neue und die Rauheit des Sounds von AC/DC.

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INTERVIEW: THOMAS MIESGANG

profil: Vor Kurzem ist in Großbritannien ein Buch mit dem Titel "Why people get Rothko but don't get Stockhausen" erschienen: Die Menschen begreifen den Maler Mark Rothko, den Komponisten Karlheinz Stockhausen dagegen nicht. Gibt es dieses Verständnisgefälle zwischen bildender Kunst und Avantgarde-Musik tatsächlich? Beat Furrer: Neue Klänge haben es sicher schwerer als die abstrakte Malerei, ein Publikum zu finden. Es gibt immer noch diese unselige Trennung zwischen Gebrauchsmusik und sogenannter ernster Musik -das schafft Schwellenängste. Dazu kommt, dass auf der einen Seite über Kanäle wie YouTube alles, was es an Aufnahmen gibt, sofort und ständig verfügbar ist und viele Hörer den Eindruck gewinnen, sie könnten sich den Weg ins Konzert ersparen.

profil: Das entspricht doch nur dem allgemeinen Kulturkonsumverhalten in Zeiten des Internets. Furrer: Ist aber gerade in Bezug auf die Neue Musik ein großer Irrtum: Diese wirkt nicht auf CDs und in Videoclips, sondern als Initialerlebnis in der Live-Situation. Ich habe gerade einen Komponistenworkshop in der Stadt Perm am Ural in Russland geleitet. Dort kamen einfache Leute ohne musikalische Vorbildung zu den Aufführungen, die garantiert noch nie in einem Neue-Musik-Konzert waren. Sie hörten sich das mit voller Konzentration und großer Begeisterung an. Und wir waren da wirklich im Hinterland, weitab von der Hauptstadt Moskau.

profil: Kann man heute überhaupt noch von musikalischer Avantgarde im klassischen Sinne sprechen? Harsche und atonale Klänge gibt es doch längst auch im Pop und im Jazz. Furrer: Das stimmt, die Grenzen sind schon lange nicht mehr hermetisch. Es gibt mittlerweile viele Menschen, die ihre ersten musikalischen Erfahrungen mit Popmusik gemacht haben und sich dann der Neuen Musik zuwenden. Sie bringen eine ganz neue Klangwelt ein und völlig andere Vorstellungen von Sound und Dynamik. Es arbeiten ja auch alle - ob E oder U -mit denselben digitalen Musikproduktionsinstrumenten -das führt zu klanglichen Annäherungen.

profil: Alles wächst zusammen, die unterschiedlichen Stile werden eingeebnet? Furrer: Einspruch! Die Instrumentalmusik, die wir, die Komponisten Neuer Musik, machen, ist schon auch vor einem geschichtlichen Hintergrund lesbar. Und gerade diese Tradition fällt oft weg, wenn Musiker Laptops verwenden: Sie haben keine historische Perspektive mehr auf das, was sie tun. Sie basteln irgendwelche Klänge zusammen und können diese kulturgeschichtlich gar nicht mehr einordnen. Auf diese Weise entstehen zwar oft schöne Töne, aber es bleibt halt beim Basteln.

Ich erwarte mir von Kunst, dass sie einen anderen Blick auf das Vertraute ermöglicht und neue Erzählweisen praktiziert.

profil: Sie meinen: Ohne Handwerk geht's dann doch nicht? Furrer: Ich denke schon, dass das Komponieren technische Fähigkeiten und strukturelles Denken erfordert -Dinge, die ich eben den Studenten bei Komponistenworkshops beizubringen versuche. Das Denken mit Klängen schließt das physische Moment, das Fühlen von Tönen nicht aus, aber es ist notwendig, um Musik nicht nur als Ansammlung von Tönen zu begreifen, sondern als geistige Schöpfung, die weit darüber hinausweist. Ich erwarte mir von Kunst, dass sie einen anderen Blick auf das Vertraute ermöglicht und neue Erzählweisen praktiziert. Wenn sich die Fixierung auf das Neue, die es da und dort im Betrieb gibt, auf Spieltechniken und Kompositionsweisen beschränkt, ist sie ein Fluch.

profil: Glauben Sie, dass die akustische Umwelt, in der wir uns bewegen, unmittelbaren Einfluss auf die Gestalt der Musik hat? Dass der Klang des Alltagslebens sich in den genetischen Code der Kunst einschreibt? Furrer: Ich bin davon überzeugt. Natürlich hat der Lärm des industriellen Zeitalters seine Spuren in den unterschiedlichsten Musiken des 20. Jahrhunderts hinterlassen: von den krachenden Symphonien eines Schostakowitsch bis zur elektrisch verstärkten Rockmusik. Man darf aber nicht übersehen, dass es immer auch konträre Bewegungen gab: Die Zurücknahme und Reduktion auf immens leise Klanglichkeiten etwa bei Morton Feldman ist ein Gegenprogramm. Musik bleibt auf der einen Seite Reflexion der Gegenwart, auf der anderen ist sie jedoch oft ein utopischer Raum, der sich der Welt, wie wir sie erleben, entgegenstellt.

profil: Bei ihren eigenen Werken gibt es beide Aspekte: In Arbeiten wie dem Musiktheaterstück "Das Wüstenbuch" dominieren elegische, verschattete Klänge, die Komposition "Nuun" für zwei Klaviere hingegen birst geradezu vor hypernervöser Motorik. Furrer: Mich interessieren vor allem die Grenzbereiche, die Übergänge von der Musik zum Geräuschhaften. Und die Auseinandersetzung mit der sehr heterogenen Klanglichkeit der gesprochenen Sprache und der Intimität der Stimme. Die Bewegung des Klangs enthält für mich auch ein physisches Moment. Es geht nicht nur um die üblichen Parameter - Tonhöhen, Rhythmus -, die sich formalisieren lassen, sondern auch um das Eindringen in die akustische Feinstruktur. Wenn Sie so wollen: um das Abtasten der nackten Oberfläche des Klangs.

profil: Neue Musik ist auf dem Markt der Tonträger kein wesentlicher Faktor. Aber auch das klassische Repertoire - Bach, Beethoven, Brahms - bringt kaum noch Erträge, weil alle wesentlichen Werke in zahllosen Einspielungen vorliegen. Nun versucht die Industrie durch Klassik-light-Phänomene wie Vanessa Mae oder den "Teufelsgeiger" David Garrett, eine Art Andreas Gabalier der E-Musik, den Trend umzukehren. Können diese Leute als Türöffner zur seriösen Welt der Klassik fungieren? Furrer: Ich glaube nicht, dass es bei solchen Phänomenen um musikalische Erfahrungen geht, sondern um einen ganz normalen Starkult, wie er eben im Unterhaltungsgeschäft üblich ist. Und die Musik ist halt so eine Art Happy-Barock zum Frühstück. Türen müssen aus meiner Sicht anders geöffnet werden. Man kann nicht die Komplexität von klassischen Kompositionen auf Schlagerniveau herunterdimmen und glauben, dass dann noch etwas von Substanz da sei.

Popsongs leben von der Qualität der Stimme, und das Instrumentarium, etwa beim Heavy Metal, hat eine Rauheit, an die ein Orchester einfach nicht herankommt.

profil: Also sind Sie auch kein Fan von Konzerten, die mit "Rock meets Classic" die Massen locken und die bekanntesten Songs der Popgeschichte mit Orchesterschmalz aufpolieren? Furrer: Ich halte das für völligen Quatsch. Popsongs leben von der Qualität der Stimme, und das Instrumentarium, etwa beim Heavy Metal, hat eine Rauheit, an die ein Orchester einfach nicht herankommt. Ich erinnere mich an einen Song von AC/DC, ich glaube, es handelt sich um "Hell's Bells", da gibt es einen irren, langgezogenen Schrei, der sich auf ekstatische Weise mit den elektrischen Instrumenten mischt. Wenn das im Softie-Klang eines Orchesters aufgehoben wird, ist es kaputt. Das wäre, als würde man um die Komposition eine Wolldecke legen.

profil: Die ungeschulten, "wilden" Stimmen der Popmusik haben also auch Vorteile gegenüber den geschulten Organen aus der Oper? Furrer: Zweifellos. Opernstimmen werden ja darauf trainiert, in großen Räumen zu wirken, und sollen eine gewisse Homogenität erzeugen, Belcanto eben. Popsänger hingegen arbeiten mit Mikrofon -da wird eine ganz andere Intimität und eine andere stimmliche Differenzierung erfahrbar. Die funktioniert aber nur im Rahmen der Klangwelt, die Popmusik hervorbringt. Umgekehrt geht es gar nicht. Pavarotti singt Beatles -das ist furchtbar! Solche Leute sind keine Türöffner, sondern Türschließer.

Beat Furrer, 60 Der gebürtige Schweizer, einer der bedeutendsten Gegenwartskomponisten Europas, lebt seit Jahrzehnten in Österreich. Mitte der 1980er-Jahre gründete der Schüler von Roman Haubenstock-Ramatis das Klangforum Wien, um einerseits Musik aufzuführen, die in Österreich davor kaum zu hören war (die Werke etwa von Luigi Nono oder Morton Feldman), und andererseits die Qualität seiner eigenen Kompositionen überprüfen zu können. Beat Furrer hat neben Kammermusik, Arbeiten für Orchester und Vokalkompositionen auch zahlreiche Bühnenwerke geschrieben, darunter "Die Blinden","Narcissus" und zuletzt "La bianca notte / Die helle Nacht", in denen er die Möglichkeiten der Stimme zwischen Sprache und Klang, zwischen Flüstern und Schrei, zwischen Soloauftritt und Chor ausdifferenzierte. Seine undogmatische Musik, die im Spannungsfeld von Kontemplation und nervöser Motorik zu verorten ist, besticht durch klangfarblichen Reichtum und mikrotonale Erweiterungen des Instrumentalund Ensembleklangs. Diese Woche wird Beat Furrer als Composer in Residence am Klangspuren-Festival in Schwaz teilnehmen.

Das Festival

Die Klangspuren im tirolerischen Schwaz haben sich als kleines, aber äußerst feines Festival Neuer Musik etabliert, das gern auch Klangexpeditionen in kaum kartografierte akustische Territorien wagt. Die nunmehr bereits zwölfte Edition, die unter dem Titel "Stimmungen! Verstimmungen!" zwischen 10. und 27. September stattfinden wird, kreist unter anderem um die Musik des US-Exzentrikers Harry Partch (1901-1974), der sich seinen eigenen, durchaus exotischen "Instrumentenzoo" gebaut hat. Weiters werden ein apokalyptisches Orchestergewitter der amerikanischen Komponistin Gloria Coates sowie mit "frenhofer's foot" die Uraufführung eines Werkes des steirischen Tonschöpfers Klaus Lang zu hören sein. Außerdem im Programm: ein Symposion mit acht Stunden Musik, ein akustischer Pilgerwanderweg, der erst in 1800 Metern Höhe endet, sowie spätnächtlich aktuelle Beispiele von digitaler Elektronik und avancierter Improvisation - mit Arnold Dreyblatt &The Orchestra of Excited Strings, Tonaliens und p.o.p.