"Ich beiße keinem Huhn den Kopf ab"

Kontrust-Sängerin Agata Jarosz: "Ich beiße keinem Huhn den Kopf ab"

Interview. Kontrust-Sängerin Agata Jarosz über das neue Album "Explositive"

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Interview: Philip Dulle

profil online: Die große Zeit der Crossover-Musik war in den 1990er-Jahren. Ist es 2014 eigentlich noch legitim, diesen wilden Mix aus Metal-, Rock-, Funk- und HipHop-Elementen zu spielen?
Agata Jarosz: Wir sind Kinder der neunziger Jahre. Das ist die Musik, mit der wir aufgewachsen sind und die uns noch immer am Herzen liegt. Wie man unsere Musik heute nennen möchte, soll jeder für sich entscheiden. Wir arbeiten mittlerweile mit so vielen Elementen, die nichts mit dem Crossover der 1990er-Jahre zu tun haben. Mit einem Schubladendenken kann ich ohnehin nichts anfangen.

profil online: Crossover sitzt bekanntlich zwischen den Stühlen – stoßen Sie innerhalb der Metal- und Rock-Szene auch auf Ablehnung?
Jarosz: Ich als Sängerin nicht. Als Band polarisieren wir aber extrem. Wir erscheinen ja auch bei Napalm Records, einem steirischen Musiklabel, das mit reinen Black-Metal-Bands begonnen hat. Das macht die Sache natürlich interessant.

Agata Jarosz im Wordrap

profil online: Auch die Fans anderer Bands stoßen sich nicht an Kontrust?
Jarosz: Wir haben erst letztes Jahr auf einem riesigen belgischen Metal-Festival gespielt und nur positives Feedback bekommen. Ich glaube auch, dass uns dieser positive Gegensatz zu anderen Metal-Bands durchaus gut tut. Der Titel unserer neue CD „Expositive“ soll genau diesen Widerspruch erklären: Wir machen harte, aber ausnahmslos positive Partymusik.

profil online: Ihr YouTube-Hit „Bomba“ (2009), im Stil eines Volksmusik-Videos gedreht, wurde bisher mehr als dreieinhalb Millionen Mal angeklickt. Was hat sich seit diesem Erfolg für die Band verändert?
Jarosz: Für uns war „Bomba“ der Beweis, dass viele Hörer nicht nur harte Musik mögen, sondern auch noch eine gute Portion Humor vertragen. Auch die Leute aus der Metal-Szene wünschen sich nicht nur das Böse, das Schwarze, das Beißen-wir-der-Henne-den-Kopf-Ab. Wir gehen immer mit einem Lächeln auf die Bühne. Das irritiert mitunter, kommt aber gut an.

profil online: Die Volksmusik-Persiflage als wohldurchdachter Marketing-Gag?
Jarosz: Das schaut ja nur so einfach aus. Man muss den ganzen Tag lächeln, die Choreografie ist der Wahnsinn – wenn man mich fragt, ist das Volksmusik-Business viel härter und anstrengender, als man sich vielleicht denken würde.

profil online: Als Frau sind Sie in der Hardrock- beziehungsweise Metal-Szene in einer Männerdomäne gelandet. Müssen Sie sich besonders behaupten?
Jarosz: Es wird gerne unterschätzt, wie weiblich die Szene bereits ist. Es gibt nicht nur viele Musikerinnen, auch hinter der Bühne arbeiten viele Ton- und Lichttechnikerinnen. Dass viele Frauen im Management tätig sind, ist kein Geheimnis mehr. Die leichte Dominanz der Männer kann man sich dadurch erklären, dass viele Frauen einfach lieber in andere Musikrichtungen gehen oder auch stimmlich nicht ins Metal-Genre passen.

profil online: Kontrust suchte 2005 per Anzeige explizit einen Sänger. Sie haben sich trotzdem beworben?
Jarosz: Ich war damals auf der Suche nach einer neuen Band, wollte unbedingt auf die Bühne und möglichst viel spielen. Meine einzige etwas naive Bedingung an die Band war: Ich möchte groß rauskommen.

profil online: Gehen Sie noch gerne ins Studio? Kontrust wirkt eher wie die klassische Live- und Party-Band?
Jarosz: Klar, in erster Linie sind wir eine Live-Band. Es geht aber auch um die ständige Erneuerung, um das Experimentieren mit neuen Einflüssen. Für „Explositive“, unser neues Album, haben wir gut 100 Songs geschrieben – 13 davon haben es jetzt auch auf die fertige Platte geschafft. Ein Album hilft auch dabei, die Musik alle Jahre wieder auf das Wesentliche zu fokussieren. Einen kleinen Neustart zu wagen.

profil online: Wie entstehen die Songs bei Kontrust – wer schreibt die Texte, wie entsteht die Musik?
Jarosz: Zuerst steht vielleicht eine kleine Passage des Textes, der Chorus oder nur eine wilde Idee, die ich vor mich hinsinge. Um diese Textbausteine basteln wir dann die Musik. Zum Schluss kommen noch einige Feinheiten dazu; wir bauen Soundeffekte ein oder überarbeiten ganze Passagen neu – und irgendwann steht dann der fertige Song.

profil online: Neben Österreich und Ihrer ursprünglichen Heimat Polen sind Sie vor allem in den Niederlanden sehr erfolgreich. Wie können Sie sich das erklären?
Jarosz: Ein Redakteur eines großen niederländischen Radiosenders hat vor ein paar Jahren unser „Bomba“-Video entdeckt. Der Song lief sozusagen in der Dauerschleife, immer zur besten Sendezeit. Dass wir lange in den niederländischen Charts waren, haben wir erst später erfahren. Die Angebote für Konzert- und Festival-Auftritte kamen dann wie von allein. Die Fans kamen sogar im Dirndl zu den Konzerten, wir haben ununterbrochen Interviews gegeben, die Autogrammstunden wurden regelrecht gestürmt. Das war eine verrückte Zeit.

profil online: Bands verkaufen immer weniger Tonträger. Wie kann sich eine mehrköpfige Band eigentlich noch finanzieren?
Jarosz: Klassisch Geld verdienen kann man als Band nur noch mit Live-Shows. Bei uns deckt das zirka 90 Prozent der gesamten Einnahmen ab.

profil online: Auch Streaming-Dienste wie „Spotify“ können dieser Entwicklung nicht entgegenwirken?
Jarosz: „Spotify“ dient hauptsächlich der Verbreitung der Musik. Direkt finanziell bringt es aber kaum etwas. Sogar unsere Merchandise-Produkte wie T-Shirts bringen mehr als die CD-Verkäufe.

profil online: Sie haben sich ohnehin gegen eine rein musikalische Karriere entschieden. Neben der Musik gehen die Musiker auch regulären Jobs nach. Kann man als durchaus erfolgreiche österreichische Band nicht von der Musik alleine leben?
Jarosz: Wir haben alle schon nebenher gearbeitet. Mittlerweile wäre es auch gar nicht mehr möglich, von der Musik alleine zu leben. Kontrust besteht ja nicht nur aus den Musikern, wir sind ja ein kleiner Betrieb mit insgesamt zehn Personen.

profil online: Wie würde die Musik heute anders aussehen, wenn Sie sich nur auf das Musikmachen konzentrieren könnten?
Jarosz: Unsere Musik ist durch dieses straffe Zeitmanagement und finanzielle Freiheit erst so geworden, wie sie heute ist. Wir müssen nicht nur besonders effizient arbeiten, sondern sind auch von keiner Plattenfirma abhängig, die uns genau vorschreibt, wie unsere Musik zu klingen hat.

profil online: Gibt es Sängerinnen, die Sie als Vorbilder bezeichnen würden?
Jarosz: Soll ich jetzt so jemanden wie Gwen Stefani sagen? Nein, definitiv nicht. Die Zeiten, in denen ich mich auf bestimmte Vorbilder berufen habe, sind vorbei.

Die Band wurde von Stefan Lichtenberger (Gesang) und Roman Gaisböck (Schlagzeug) Ende der 90er Jahre gegründet. Unter dem Namen Kontrust ist die Formation mit Manuel Haglmüller (Percussions), Gregor Kutschera (Bass) und Michael Wolff (Gitarre) seit 2003 aktiv. Agata Jarosz ist seit 2005 die Sängerin der Band. 2010 wurde die Band mit dem Amadeus-Award in der Kategorie „Hard & Heavy“ ausgezeichnet. Mit dem Auftritt vor mehr als 300.000 Besuchern am polnischen Przystanek Woodstock-Festival 2011 verbucht die Band den bisher bestbesuchten Live-Auftritt eines österreichischen Künstlers. „Explositive“ ist ihr viertes Album.

Am 7.11. präsentiert die Band ihr neues Album „Explositive“ in der Szene Wien. Weitere Live-Termine finden Sie hier.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.