Greta Gerwig

"Lady Bird": Der Welthit der umjubelten Jungregisseurin Greta Gerwig

Die Schauspielerin und Autorin Greta Gerwig ist die gut gelaunte Königin des alternativen US-Kinos. Mit ihrer ersten eigenen Regiearbeit hat sie einen unerwarteten Welthit gelandet.

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Sie ist die Frau mit der Nummer fünf. Damit hat sie vor ein paar Wochen Filmgeschichte geschrieben, dem feministischen Off-Hollywood neue Schubkraft verliehen. Erst vier Frauen vor ihr (Lina Wertmüller, Jane Campion, Sofia Coppola und Kathryn Bigelow) hatten es geschafft, in der 90-jährigen Geschichte der Academy Awards für einen Regie-Oscar nominiert zu werden. In der erlauchten Runde der weiblichen Film-Elite gilt sie zudem als die große Unbekannte, denn eigentlich kennt man Greta Celeste Gerwig, 34, vor allem als Schauspielerin.

Obwohl "Lady Bird" bereits Gerwigs zweite Regiearbeit darstellt (Österreich-Kinostart: 19. April), ist diese doch die erste, die sie allein verantwortet. 2008 inszenierte und produzierte sie mit Joe Swanberg "Nights and Weekends", der in einem einzigen US-Kino, praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit, zum Einsatz kam. Als Drehbuchautorin hat sie neben ihrer darstellerischen Tätigkeit seit 2007 ein halbes Dutzend Spielfilme sowie zehn Episoden der Trickfilmserie "China, IL" mitverfasst. Die amerikanischen Kritiken zu "Lady Bird" hymnisch zu nennen, wäre eine Untertreibung. Im Rezensionsauswertungsforum "Metacritic" kommt der Film auf eine Gesamtwertung von 94, auf der Kritiker-Website "Rotten Tomatoes" gar auf unerhörte 99 Prozent Zustimmung. Das wirkt insofern erstaunlich, als "Lady Bird" zwar mitreißend inszeniert und fabelhaft gespielt ist, aber durchaus im Rahmen des Konventionellen bleibt. Als Teenager-Comedy-Drama und Generationenkonfliktstudie ist der Film ebenso differenziert gearbeitet wie niederschwellig angelegt. Greta Gerwig nimmt sich vom Genre der Coming-of-Age-Filme all das, was im Kino immer schon gut funktioniert hat (und auf die eine oder andere Weise jede und jeden betrifft) - und lässt alles andere, etwa prätentiöse Exkurse und formalistischen Zierrat, einfach weg. Seit dem US-Kinostart im vergangenen November - in zunächst nicht mehr als vier Sälen (am Ende waren es über 1500) - hat "Lady Bird" knapp 50 Millionen Dollar eingespielt, weltweit wurden bisher weitere 23 Millionen lukriert: enorme Summen für eine kleine, unabhängig produzierte Arbeit. Das 2012 gegründete Indie-Unternehmen A24 verbucht damit seine bei Weitem profitabelste Produktion. Selbst der Oscar-Gewinnerfilm "Moonlight" (2016), ebenfalls im Hause A24 entstanden, kam lediglich auf 28 Millionen Dollar an Einnahmen, die in nordamerikanische Kinokassen flossen.

Auf Greta Gerwig können sich offensichtlich alle einigen. Das liegt nicht nur daran, dass sie künstlerisch und charakterlich bodenständig, vollkommen allürenfrei erscheint, sondern auch an ihrer unbedingten Konzentration (als Darstellerin, Autorin und Regisseurin) auf weibliche Erzählungen und psychologische Feinzeichnung zwischenmenschlicher Krisensymptome. Außerdem nimmt sie all das nur so ernst wie unbedingt nötig: Jede existenzielle Frustration hat, genau betrachtet, eben auch ihre heitere Seite. Von der Sterilität des alten Hollywood- Glamour ist Gerwig weit entfernt, den Mangel an Künstlichkeit und Selbststilisierung gleicht sie durch hohes Talent, feinen Wortwitz und ihr entwaffnendes Lächeln aus.

Im kalifornischen Sacramento, wo auch "Lady Bird" angesiedelt ist, wurde sie im Hochsommer 1983 geboren. Ihre Mutter arbeitete, ganz ähnlich wie die im Film von Laurie Metcalf gespielte Figur, als Krankenschwester, für eine streng katholische Erziehung war außerdem gesorgt. Künstlerische Ambition habe man in diesem Umfeld als "nicht attraktiv für ein Mädchen" abgelehnt. Gerwig entwickelte schon als Halbwüchsige eine hervorragende Gegenstrategie: Selbstironie.

"Das Mädchen, das ich gerne gewesen wäre"

Die furiose Titelheldin von "Lady Bird", die irischstämmige Ausnahmeschauspielerin Saoirse Ronan, hat somit viel von Gerwig, man könnte sie für eine jüngere, kämpferischere Ausgabe ihrer selbst halten: Eine desillusionierte 17-Jährige aus der Vorstadt lehnt sich gegen eine übergriffige, aber nicht lieblose Mutter und gegen all die mehrheitlich stupiden gesellschaftlichen Spielregeln auf. "Lady Bird" handelt von erster Liebe und letzten Vorbereitungen, von Renitenz und Allianzen an einer katholischen Highschool und im innerfamiliären Kräftemessen (den sanftmütigen Vater der Protagonistin verkörpert der US-Dramatiker Tracy Letts). Es gehe ihr ein wenig gegen den Strich, erklärt Gerwig, dass "Lady Bird" ständig autobiografisch gelesen werde, denn ihr Film sei "hundertprozentig fiktiv", sie selbst sei beispielsweise alles andere als eine Rebellin gewesen. Ronan spiele lediglich "das Mädchen, das ich gerne gewesen wäre".

Die komödienbegabte Gerwig reüssierte Mitte der Nullerjahre in Filmen, die man, um deren rauen Dialog-Naturalismus zu verdeutlichen, dem Genre des "Mumblecore" zuordnet (auch wenn die kreativen Kräfte selbst den Begriff rundheraus ablehnen), als munteres Hipster-Girl, das durch sein Leben stolperte. Das Amateurhafte, Ungekünstelte hat sie sich bewahrt. Die kleinen Peinlichkeiten, die sie sich gern leistet, erhöhen ihren Reiz nur noch. Greta Gerwig ist - es existiert leider kein besseres Wort dafür -"authentisch". Mit ihrem Partner, dem Regisseur Noah Baumbach, lebt sie in New York City. Ihre bislang besten Performances sind ihr in Baumbach-Inszenierungen gelungen, die erste davon 2010 neben Ben Stiller in der Tragikomödie "Greenberg". 2012 folgte das schwarz-weiße Slacker-Filmgedicht "Frances Ha", drei Jahre später "Mistress America". Eine noch unbetitelte neue Gerwig-Baumbach-Kollaboration befindet sich gegenwärtig in Post-Produktion.

Nichts für Blockbuster

Der Sprung in die Oberliga ist ihr jedenfalls geglückt: Neben Natalie Portman trat sie 2016 in der Kennedy-Saga "Jackie" auf, in Wes Andersons neuem Animationsfilm "Isle of Dogs" leiht sie einer Figur ihre schöne dunkle Stimme. Für Blockbuster ist sie dennoch die falsche Besetzung, Greta Gerwig bleibt auf Independent-Linie. Mit der französischen Filmemacherin Mia Hansen- Løve wird sie demnächst "Bergman Island" drehen.

Es ist kein Zufall, dass Gerwigs Auftritte oft wie choreografiert wirken. Das Tänzerische liegt ihr, auch wenn sie es gern humoristisch bricht. In "Frances Ha" bewirbt sie sich frohgemut bei einer Dance-Company, ohne wirklich tanzen zu können. Durch einen großartigen Live-Videoclip der kanadischen Band Arcade Fire (zu dem Song "Afterlife") tanzte sie sich 2013, inszeniert von Spike Jonze, bewusst ungelenk, aber ekstatisch, außer Atem, aber glücklich, wie durch das Mädchenzimmer ihrer Fantasie.

Dabei ist das Schreiben ihre eigentliche Leidenschaft, und in Wahrheit schreibt sie auch die Figuren, die sie in den Filmen anderer darstellt, weitgehend selbst. Sie entwirft dabei alternative Frauenbilder, als Schauspielerin so sehr wie als Regisseurin. Ihre leicht linkische Art ist zu einem Markenzeichen geworden, zu einem Schlüssel auch, der ihre Popularität näher erklären könnte. Greta Gerwig ist das It-Girl als Alltagserscheinung. In der Arbeit an "Lady Bird" habe sie erkannt, wie sehr sie das Regieführen liebe, sagt sie. Mit weiteren Arbeiten ist also zu rechnen. Und vielleicht ist dann die Nummer zwei bald in Reichweite: der Ehrentitel als zweite Frau (nach Kathryn Bigelow), die für einen Oscar nicht nur nominiert werden, sondern ihn am Ende auch mit nach Hause nehmen kann.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.