Kino

Matt Dillon: Bewahren wir uns das Chaos!

Gespräch mit einem Stargast der laufenden Viennale, dem US-Schauspieler, Maler und Musik-Nerd Matt Dillon.

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In einer Suite im zehnten Stock des Wiener Hotel Intercontinental erwartet Matt Dillon am Dienstagvormittag entspannt seine Interviewpartner. Aus Rom, wo er mit seiner Lebensgefährtin, der Schauspielerin Roberta Mastromichele, 45, lebt, ist er angereist, auf Einladung der Direktorin des Filmfestivals Viennale, in dessen Rahmen er nun seine jüngste Arbeit, die politische SciFi-Satire „Land of Dreams“ (Regie: Shirin Neshat, Shoja Azari) promotet. Zunächst bestellt Dillon mit seinem charakteristischen Bariton nur einen starken Kaffee, anschließend will er ohne Umschweife wissen, ob man eh geimpft sei – aber offenbar nicht so sehr aus Sorge um sich selbst, als aus grundsätzlichem Interesse: welches Fabrikat man denn bekommen hätte? Aha, Pfizer Biontech, genau; sei dieses Vakzin nicht in Deutschland entwickelt worden? Richtig. Okay, let’s talk!

profil: Seltsamer Film, Ihr „Land of Dreams“: eine heiter-surrealistische Dystopie über staatlich kontrollierte Träume, gedreht in New Mexico. Machte Ihnen dieses abseitige Projekt Freude?

Dillon: Klar! Ich mag Shirin und Shoja, das Regie-Duo, sehr. Das ist ein Film, den niemand anderer je machen würde. Shirin ist tatsächlich eine einzigartige Künstlerin. Und die Leute, die daran mitarbeiteten, sind fantastisch, allen voran Jean-Claude Carrière als Drehbuchautor. Er hatte mit Luis Bunuel gearbeitet! Ich liebe dessen Memoiren, „Mein letzter Seufzer“, die Carrière so unnachahmlich niedergeschrieben hat.

profil: „Land of Dreams“ war eines seiner letzten Drehbücher, oder? Carrière starb ja im Februar 2021.

Dillon: Sein letztes! Ich hatte am Set oft das Gefühl, in einem Bunuel-Film gelandet zu sein. All diese langen, philosophischen Konversationen!

profil: In „Land of Dreams“ wird die USA aus der Perspektiver zweiter Außenseiter, aus gleichsam iranischem Blickwinkel betrachtet.

Dillon: Ja, und was in Amerika gegenwärtig passiert, passt bestens zur persischen Erfahrung: Da gibt es erstaunliche Parallelen. Aber ich mag die unerklärten Aspekte dieses Films. Nicht alles fügt sich hier überdeutlich ineinander. Die Figur, die ich spiele, ist ein Mysterium: ein Cowboy auf seinem Motorrad als Regierungshandlanger. Er erscheint irgendwie künstlich und ist doch aus Fleisch und Blut, das ist Carrières Handschrift. Dieser Typ gehört zur Traumlogik dieses Films. Alan Villain, allein der Name! Und er macht ihm keine Ehre, denn ein echter bad guy ist er nicht.

profil: Sie sind unlängst, nach Ihrem Regiedebüt („City of Ghosts“) 2002, zum Inszenieren zurückgekehrt.

Dillon: Oh ja, mein kleiner Dokumentarfilm!

profil: Sie porträtieren in „El Gran Fellove“ den kubanischen Komponisten und Sänger Francisco Fellove. Man hört, Sie seien besessen von afrokubanischer Musik?

Dillon: Ich habe Musik immer geliebt, das hat mich irgendwann zu Latin Jazz und afrokubanischer Musik geführt.

profil: Sie betreiben in diesen Gebieten gleichsam archäologische Arbeit, sammeln rare Schallplatten, stöbern die alten Protagonisten auf.

Dillon: Natürlich. Es war aber nicht so, dass ich mir vorgenommen hatte, Plattensammler zu werden. Ich suchte nur nach einer bestimmten Musik. Man trifft dann andere und sieht sich eben manchmal gezwungen, ganze Kollektionen aufkaufen.

profil: Sie haben vor 20 Jahren schon an dem Fellove-Film zu arbeiten begonnen?

Dillon: Ja. Ich dokumentierte die Aufnahmen zu seinem letzten Album. Und dann ließ ich das Material 15 Jahre lang liegen.

profil: Francisco Fellove starb 2013.

Dillon: Leider gerade, als ich das Projekt wiederaufnahm. Ich konnte ihn nicht mehr wiedersehen. Der Film ist sein Erbe. Er war ein toller Künstler, ein dynamischer Performer und einzigartiger Charakter. Es war ein Privileg, ihm nahe zu sein. Allein der Name, den er sich gegeben hatte: El Gran Fellove!

profil: Sie scheinen eine gesunde Distanz zu Hollywood zu halten ...

Dillon: Ich weiß nicht, ob das so gesund ist, ich mag Hollywood ja! Ich drehe gerne auch Genrefilme. „Land of Dreams“ aber ist Arbeit, Engagement, kein Job. Ich schätze eben das, was man so ungelenk „Kunstfilm“ nennt, sehr.

profil: Ja, man hat den Eindruck, Sie fühlen sich in Indie-Projekten viel wohler als mit Pop und Massenware.

Dillon: Aber ich liebe auch Komödien und Thriller. Lars von Trier sagte immer, wenn wir uns nicht einig waren, ich könne die Schuld doch jederzeit auf ihn abwälzen. Blame Lars! Musste ich dann aber nie, weil ohnehin alle Welt ihn beschuldigt, wenn in seinen Filmen Tabus überschritten werden. Und er mag das! Er spielt gerne den Sündenbock.

profil: Mit einem genialen Neurotiker wie Lars von Trier zu arbeiten muss doch auch anstrengend sein.

Dillon: Ich finde, man kann nie genug mit Leuten arbeiten, die ...

profil: ... so sonderbar sind?

Dillon: Nein, die eine solche Vision haben! Danach suchen wir doch alle. Und einige von ihnen existieren mitten im Hollywood-System.

profil: Gus Van Sant beispielsweise.

Dillon: Genau. Ich würde mit Filmemachern wie ihm am liebsten die ganze Zeit arbeiten. Ich will stolz auf meine Werke sein. Ich meine, ich bin ja nur ein Schauspieler, der eine Rolle spielt, für das Ergebnis kann ich nie verantwortlich sein. Ich bin allerdings für meine Figuren verantwortlich, aber im Schneideraum kann viel passieren. Auch deshalb sucht man doch die Zusammenarbeit mit Menschen, denen man vertrauen kann. Und ich kann gute Dienste leisten, denn ich habe mehr Erfahrung in der Filmarbeit als praktisch alle anderen.

profil: Stimmt, Sie haben früh begonnen.

Dillon: Sehr früh!

profil: Wollten Sie eigentlich schon als Kind unbedingt zum Film?

Dillon: Nein, aber als ich dann mit 14 meine erste Rolle spielte, konnte ich mir nichts anderes mehr vorstellen. Ich wäre gerne Schriftsteller geworden, hatte immer eine aktive Fantasie, große Neugier für historische Zusammenhänge. In meiner Familie gab es jede Menge Künstler, Maler und Zeichner. Mein Vater war Porträtmaler, meine Großmutter hatte ebenso gemalt, und meine Onkel waren berühmte Cartoonisten, sie erschufen „Flash Gordon“ und „Blondie“. Ich bin natürlich völlig anders als sie, wenn ich male. Ein Freund nannte mich einst scherzhaft „too loose Lautrec“, weil er meine Malerei für zu locker, viel zu ungeordnet hielt. Aber ich strebe nach dieser Freiheit. Ich lasse mich übrigens sehr von meiner Filmarbeit inspirieren, wenn ich male. Lars sagte während des Drehs stets zu uns allen: „Keep it messy“, bewahren wir uns das Chaos. Es gab bei ihm keine Proben, alles sollte wie improvisiert entstehen – einfach schauen, was passiert. Manchmal entsteht aus dieser Freiheit, aus diesem Test der Grenzen etwas richtig Gutes. So male ich eben oft auch: außerhalb der Grenzen.

"Wenn alle langgehegten Pläne auseinanderbrechen, passieren oft die besten Dinge"

profil: Das ist Ihre ideale Arbeitsmethode: ohne Limits und Protokolle?

Dillon: Ich glaube an die Chance des Fehlerhaften, das lernte ich schon bei Coppola: Oft sind die „Fehler“, das Unerwartete, zufällig Entdeckte, viel besser als meine Ideen. Wenn alle langgehegten Pläne auseinanderbrechen, passieren oft die besten Dinge.

profil: Sie werden Ihre Gemälde im November in Berlin ausstellen.

Dillon: Ich freue mich, sie in diesem Rahmen endlich einmal zeigen zu können. Kreativität sollte doch ein Akt der Großzügigkeit sein, man will etwas mit der Welt teilen. 

profil: Seit wann malen Sie eigentlich?

Dillon: Collagen und Zeichnungen stelle ich seit Jahrzehnten her, aber einigermaßen fokussiert betreibe ich das erst seit acht Jahren. Mich interessiert Kunst brennend, ich liebe die Werke von Francis Picabia, Mike Kelley und Chris Burden. Aber meine eigenen Sachen sind natürlich ganz anders; ich bin eher ein Postexpressionist, kein Konzeptualist. Meine Seele tendiert eher ins Expressive.

profil: Mit 18 spielten Sie Hauptrollen für Francis Ford Coppola, wurden bejubelt und waren doch erst ein Teenager. Wie haben Sie es geschafft, nicht größenwahnsinnig zu werden?

Dillon: Es ist ein schmaler Grat zwischen dem nötigen Selbstbewusstsein und dem Verlust deiner Demut. Heute sehe ich meine jugendlichen Performances wieder und wundere mich, wie ich das damals machte. So sah ich aus? Warum trug ich das denn nur? Und was ist das für eine Frisur?

profil: Seit 1978 ist Ihr halbes Leben im Kino konserviert.

Dillon: Manchmal hätte ich gerne etwas von all der Zeit zurück, um es noch einmal anders zu versuchen. Es gibt da einen schönen Satz: „Youth is wasted on the young“ – die Jugend ist an die Jungen verschwendet.

Matthew Raymond Dillon, 57,

spielte bereits mit 14 seine erste Hauptrolle in Jonathan Kaplans Jugendbandenfilm „Over the Edge“ (1979), vier Jahre später gab ihm Francis Ford Coppola tragende Rollen in seinen Produktionen „The Outsiders“ und „Rumble Fish“. Seine Schauspielkarriere legte er trotz seines frühen Erfolgs eher wählerisch an, Blockbuster interessieren ihn offenbar bis heute wenig. Lieber beteiligt er sich an Charakterdramen wie Gus Van Sants „Drugstore Cowboy“ (1989) oder „Crash“ (2004), wo er als rassistischer Cop brillierte, aber gerne auch an absurden Komödien wie „There’s Something About Mary“ (1996). 2018 verstörte er die Welt durch seine eisige Performance als Serienkiller in Lars von Triers „The House that Jack Built“.  Erst unlängst wirkte Dillon an den Dreharbeiten zu Wes Andersons nächstem Film, genannt „Asteroid City“, mit.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.