Matthias Strolz und Kurt Razelli
Pop und Politik

Der ewige Grenzgänger: Strolz und Razelli sind „Back to Earth“

Der Ex-Politiker und NEOS-Parteigründer Matthias Strolz legt mit dem Musiker Kurt Razelli sein zweites Popalbum vor – und wirft die Frage auf: Kann ein Politik-Berater auch Künstler sein?

Drucken

Schriftgröße

Die Verwandlung von Matthias Strolz zum Künstler beginnt mit einem großen Fragezeichen. Schließt sich die neue Identität des Ex-Politikers, NEOS-Gründers und Autors als schriller Musiker mit der Profession als Politikberater nicht aus? Das sehe er nicht, meint Strolz im Gespräch mit profil, aber er merke schon, dass es sich reibe (Strolz hat den ehemaligen Bildungsminister Faßmann eineinhalb Jahre begleitet). Denn er habe auch Aufträge verloren, meint er. Auf der anderen Seite könne es sein, dass ihm sein stetes Neuerfinden auch Jobs gebracht habe. Und wie erklärt er den Widerspruch, heute für seinen Parteifreund, den Wiener Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr, als Berater tätig zu sein, obwohl die Neos immer gegen Freunderlwirtschaft waren? Für ihn, sagt Strolz, sei die Tätigkeit „kein Widerspruch“. Denn er habe sich nach seinem Ausscheiden aus der Politik („aus moralischen Gründen“) eine „zweijährige Cooling-off-Phase“ verordnet und keine Beratertätigkeiten in Österreich angenommen, um „keine Unvereinbarkeiten zu erzeugen“. Dass er jetzt, in einem „überschaubaren Rahmen“, wie Strolz es nennt, den Wiener Bildungsstadtrat beim Schaffen von Bildungsinnovationen und eines Bildungshubs unterstütze, sollte niemanden groß überraschen: „Ich bin immer transparent und habe einen großen Frieden.“ Was aber würde der jüngere Matthias Strolz aus den Anfangszeiten von NEOS zu den Aufträgen von Parteifreunden sagen? „Das ist ein Grenzgang, würde er wahrscheinlich sagen.“

Ein Grenzgänger war Strolz schon immer. So auch seine Liebesgrüße Anfang dieses Jahres aus Goa. „We’re gonna have a universal message there“, hieß es in dem Handyvideo, das der 50-Jährige nach einem zehntägigen deep dive, einer Meditation in Indien, in den Social Media gepostet hatte. Er schüttele sich, erzählte ein sichtlich entspannter Strolz, gerade wieder „zurück in die Welt“ und versprach einen „kreativen Ausbruch“ für 2023. Immerhin, so Strolz, habe er gerade die letzten Songs für sein neues Album aufgenommen: „All doors broken – open mind, open heart, open will.“ Für Strolz, der sich 2018 aus der Politik zurückgezogen hatte, war das virale Video dann doch mehr als leicht verpeilte Urlaubsgrüße aus der Sonne. Der ewige Wandlungskünstler und Sich-neu-Erfinder wollte sich mit seiner persönlichen Neujahrsansprache als Künstler etablieren.

Matthias Strolz und Kurt Razelli

Treffpunkt Wien-Liesing, neun Monate später. Ruhige Wohnstraße, viel Grün, gemütliches Frühherbst-Wetter, das zum In-der-Sonne-Sitzen einlädt. Hier im Südosten der Bundeshauptstadt lebt der ehemalige Spitzenpolitiker mit seiner Familie. In die Stadt, wie der 50-Jährige sagt, fahre er seit der Pandemie nur noch zwei- bis dreimal die Woche. Zum Gespräch lädt er ins Atelier seiner Frau, es gibt schwarzen Kaffee und Schnittchen. An seiner Seite: sein Kreativbuddy, der Satire-Musiker und YouTube-Künstler Kurt Razelli, der in der Öffentlichkeit stets mit einer Arnold-Schwarzenegger-Maske auftritt (beim Interview-Termin wird er sie erst wieder für das Fotoshooting aufsetzen). Auf dem Tisch: spacige Helme in Daft-Punk-Manier, die sich das Duo für ihre anstehenden Herbstkonzerte (die ersten seit dem überraschenden 2018-Auftritt im Wiener Musikclub Flex) besorgt haben. 

Der versprochene Kreativausbruch erscheint jetzt Anfang Oktober und nennt sich „Back to Earth“. Gemeinsam mit Razelli hat der Ex-Politiker bereits vor fünf Jahren ein Album veröffentlicht, ein Mash-up aus schrillen und legendären Parlamentsreden des NEOS-Gründers („Das ist nicht OK“) und eigens komponierten Songs, die nach eingestreuten Beats, elektronischen Balladen und Cyber-Punk klingen. Razelli hatte Strolz nach dessen Ausscheiden als Parteichef gefragt, doch gemeinsam ein ganzes Album zu machen. Die Arbeitsweise hat sich seitdem nicht wirklich geändert; während Strolz für Lyrics und Gesang (er klingt nach Spoken-Word-Vorträgen und Poetry Slam) verantwortlich ist, überlegt sich Razelli den dazu passenden Sound. Das Duo verstehe sich da blind, erzählen sie, auch wenn nicht ganz klar sei, durch welche magic Text (Strolz schreibt viel auf Reisen, spricht seine Lyrics ins Handy und schickt sie weiter) und Musik (Razelli versucht zu verstehen, was Strolz ihm sagen möchte) dann zu einem Ganzen finden.

„Den Krieg nicht kommen gesehen“

Seine eigene Künstlerwerdung („Ich bin ein Wortarbeiter“), erzählt Strolz, habe direkt mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu tun. Denn er, und man kann es sich bei ihm kaum vorstellen, habe seine Sprache verloren, erzählt er im Gespräch: „Ich habe den Krieg nicht kommen gesehen.“ Als politischer Mensch sei das für ihn eine „heftige Erfahrung“ gewesen, zu der er sich auch verhalten müsse. Heißt: „Die Aneignung einer neuen Sprache aus einer gewissen Verzweiflung heraus“, um nicht im Zynismus zu landen. Das Ringen um die Worte heißt bei ihm: Wenn es in Deutschland 100 Milliarden für den Krieg gibt, wo sind dann die 100 Milliarden für den Frieden? In der politischen Polarisierung zwischen Waffenlieferungen und Kapitulation habe er als Pragmatiker keinen Platz für sich gefunden. 

Passend zur aktuellen Weltlage ist Anfang dieses Jahres schon die erste Single „Ich muss siegen“ (im Video spielt der Schauspieler Philipp Hochmair mit) erschienen. Ein teutonisches Anti-Kriegs-Lied (man hört Anleihen bei der Berliner Rockband Rammstein), das den Wahnsinn des Krieges in einen Popsong zu verpacken versucht: „Sitz hier am langen Tisch halbe Tage allein / organisier Schmerzen, Hölle und Pein“, heißt es da. Während man am ersten Album noch „Lost in Space“ war, kommt man fünf Jahre später wieder „Back to Earth“ und „wundert sich über die Menschheit“. Denn während es sich Strolz und Razelli auf der ersten Hälfte des Albums noch mit den Gräueltaten, den Problemen und Depressionen einer aus den Fugen geratenen Welt beschäftigt, soll die zweite Hälfte „eine Feierstunde des Menschseins“ sein, so Strolz. „Wir können nur über Frieden reden, wenn wir anerkennen, dass wir Krieg haben.“ Oder um es mit den Worten seines Kompagnons zu sagen: „Zuerst kommt die Zerstörung, dann die Heilung.“

„Putin ist immer noch ein Mensch“

Heilung verspricht indes die zweite Single, die im Sommer erschienen ist. In „Life is a Comma“ wird es spirituell und stellt die Frage, was es in Zeiten der multiplen Krisen noch heißt, Mensch zu sein. Und da ist Strolz ganz bei sich („Life, it is a comma / life, it’s not a full stop“, heißt es hier). Immerhin geht es um seine Indienreise und existenzielle Fragen (im Musikvideo zum Song kommt es zu einer rituellen Verbrennung eines Verstorbenen). „Neben dem Weltschmerz steht dann der Weltgeist auf“, erklärt Strolz seine Mission und Message. Heißt übersetzt: Die Idee von Liebe als harte politische Währung. Denn auch ein Putin, so Strolz, sei nicht nur böse – „er ist immer noch ein Mensch.“ Und: Man müsse die Menschen mit Liebe füttern, denn uns allen drohe das Schicksal, sich von der Angst leiten zu lassen. Zu hören ist das im Song „What would Love Do?“ und den Lehren von Mahatma Gandhi. Denn die Welt brauche Heilung, so Strolz; im Kleinen wie im Großen. Dass er bei so viel Liebesmessage noch immer böswillige Nachrichten bekomme, störe ihn nicht weiter. Immerhin muss sich niemand den Künstler Strolz anschauen, meint er. Wenn er aber ein paar Hundert Menschen erreiche, dann habe sich das neue Abenteuer schon gelohnt. 

Matthias Strolz

Apropos Abenteuer: Das waren die NEOS auch beim ersten Antreten bei den Nationalratswahlen 2013. Denn der politische Plan war bei den Pinken stets, mitzuregieren. Im vergangenen Jahrzehnt hat das auf Bundesebene nie geklappt. Hat nun auch das Pop-Projekt das Ziel, etwas zu verändern? Für Razelli war das nie der Anspruch, sagt er. Immerhin sehe er sich nicht als Musik-Aktivist – und er habe jetzt auch nicht die Strahlkraft einer Band wie U2, um den Weltenverlauf doch ein wenig verändern zu können. Strolz sieht die Sache anders – und bringt das Beispiel Andreas Gabalier. Denn der umstrittene Volksmusik-Star sei vielleicht „kein großer Sänger“, aber definitiv „ein großer Künstler“, den Hunderttausende Menschen verstehen würden. Dass Gabalier damit die Sehnsucht nach einem Gestern („Wann wird es endlich wieder so gut, wie es niemals war“) bediene, sei eine andere Geschichte. Außerdem, so Strolz noch, sei es nicht verwunderlich, dass totalitäre Regime zuerst einmal Künstlerinnen und Künstler zensieren und beschneiden würden. Aus Angst vor dem nicht kalkulierbaren revolutionären Potential der Kunst.

Strolz & Razelli: „Back to Earth“ (Tochtersöhne Records)

 

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.