Grimes: Kann alles, und muss nichts

Neue Alben: Grimes, EL VY, Anna von Hausswolff, Jeffrey Lewis & Los Bolts

Neue Alben: Grimes, EL VY, Anna von Hausswolff, Jeffrey Lewis & Los Bolts

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Grimes: Art Angels (4AD)

14 Songs, 49 Minuten, Hunderte Assoziationen. Die Erwartungen an das 27-jährige Popfräuleinwunder Grimes hat sich in den letzten Monaten in ungeahnte Höhen gesteigert. Schuld daran, ist ihr in Indiekreisen gefeiertes letztes Album „Visions“ (2012). Ein Manifest, ein Segen und Ausrufezeichen aktueller Popmusik; von der neuen Madonna war auf verschiedenen Blogs zu lesen, eine Lady Gaga für die Indiedisco. Doch Grimes will davon nichts wissen. Auf Twitter zeigte sie sich zur Veröffentlichung ihres neuen Albums dann auch durchaus erleichtert: Sie hatte schon befürchtet, ihre Fans (und Kritiker) könnten ihre neuen Songs hassen: „Thank u everyone for being so nice I'm crying right now cuz I thought everyone was gonna hate it... It's unreal.“ So oszilliert die Kanadierin Grimes, die mit bürgerlichem Namen Claire Boucher heißt, auf ihrem neuesten Album durch überzuckerten Glamourpop und Indierock, macht verhallten R&B und wechselt von Song zu Song nicht nur ihr Outfit, sondern auch Stil, Rhythmus und Lebensgefühl. Das Schöne an Grimes’ „Art Angels“ ist, dass es die hohen Erwartungen gar nicht erfüllen kann, aber auch nicht muss. Claire Bocher zeigt allen, die auch 2015 noch auf das große Popabenteuer warten, den sympathischen Stinkefinger. „Art Angels“ ist eben kein traumhaftes „Visions“, sondern ein weiterer Weg auf der Popachterbahn. Grimes kann alles, und muss nichts. (7.7/10) Ph. D.

Anna von Hausswolff: The Miraculous (City Slang)

Wer aus Kirchenorgel wunderbar traurige Popmusik machen kann, braucht auch den passenden Namen. Die schwedische Musikerin Anna von Hausswolff, die auf „The Miraculous“ ihren wunderbaren Funeralpop zelebriert, formt aus sakralen Klängen feinsinnige Miniaturen, die hier nicht nur zart dahinmäandern, sondern sich zu einem wundersamen Dröhnen aufbauen. Ein kathartisches Noise-Manifest – und keine leichte Kost. (7.1/10) Ph. D.

EL VY: Return to the Moon (4 AD)

Wenn ein Sänger einer bekannten Band seine prägnante Stimme für ein Nebenprojekt einsetzt, kann es schon mal schnell zu einer Enttäuschung kommen: "Oh, das klingt aber anders als die Hauptband. Das klingt irgendwie nicht nach dem neuen xxx-Album." Das trifft zunächst auf auf EL VY zu. Denn am Mikrofon steht hier Matt Berninger (Ther National), die zweite Hälfte von EL VY steht hauptsächlich am Keyboard und heißt Brent Knopf (Ramona Falls). Es fällt natürlich schwer, Berningers eindringlich-lässige Stimme nicht mit seiner Band The National in Verbindung zu bringen. Bei EL VY ist der Sound dann aber doch funkiger, auf eine reduzierte Art und Weise auch dunkler. Aber einen so richtig mitzunehmen vermag das Duo nicht. Musik und Gesang ziehen nicht immer in die gleiche Richtung, bleiben sich auf einezlnen Stücken sogar fremd. Bleibt abzuwarten, was das Nebenprojektexperiment für Berningers Hauptband bedeutet. (5.5/10) S. W.

Jeffrey Lewis & Los Bolts: Manhatten (Rough Trade)

New Yorker und Anti-Folk Musiker Jeffrey Lewis hat sein siebentes Album veröffentlicht. Es heißt Manhatten - und dreht sich - wenig überraschend - um das Leben in seiner Heimatstadt. Kleine Geschichten - entspannt, selbstironisch, schrullig-lyrisch - vollgepackt mit Spaziergängen, skateboardfahrenden Boardstein-Kids, alten Paaren, bekannten Ecken, Erwachsenwerden und den Geräuschen New Yorks. Dass am Schlagzeug Heather Wagner sitzt und Caitlin Gray Bass spielt und beide auch gesanglich ihre Spuren am Album hinterlassen, bewahrt Mannhattan davor, sich allzu sehr im Gemütlichkeits-Singsang zu verlieren. Elf Lieder wie ein gemütlicher Spaziergang durch die besten Viertel der Stadt, mit jemandem, der nach jeder Ecke eine neue Geschichte zu erzählen weiß. (7.2/10) S.W.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.