Anna Netrebko als "Aida"

Oper: Die anarchische Diva Anna Netrebko

Im Opern-Olymp agiert niemand anarchischer als Anna Netrebko. Aber sie kann sich alles leisten. Die Diva mit der Goldstimme hat sichtlich Spaß an ihrem Superstar-Dasein - und ihr Publikum auch.

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"Keep calm and have safe sex." So ermahnte uns Anna Netrebko kürzlich anlässlich des Welt-Aids-Tags und hielt mit ernstem Blick ein rotes Mascherl hoch. Dabei ist das Aufstehen mit ihr sonst lustiger und unkomplizierter. Denn der morgendliche Griff zum Smartphone samt Instagram-App und "@Anna_Netrebko_yusi_tiago"-Account hat gewöhnlich Erheiterung zur Folge. Wo sie wohl gestern wieder einkaufen war? Was für einen schrecklichen rosa Fellhut sie diesmal in die Kamera hält? Auf welcher Bühnenprobe sie gerade herumalbert?

Halt, hier geht es doch um das Wahre, Gute und Schöne, die hehre Klassik, die große Oper! Keineswegs. Hier will eine der berühmtesten Klassikkünstlerinnen der Welt lediglich zeigen, dass sie auch nur ein Mensch ist und Spaß hat am Leben. Wie schön, denn die ewigen Storys der Kolleginnen von entbehrungsreicher, mit Üben verbrachter Jugend, einsamen Hotelzimmernächten auf Konzertweltreise ohne Familie und Lampenfieber vor der Bestie Publikum entsprechen dem Umstand oft nicht, dass man es hier, in der Spitzenetage des Betriebs, mit einem höchst privilegierten Star-Dasein zu tun hat. Davon erzählt uns Anna Netrebko via Handy auch, aber mehr noch von Glamour, Lebensfreude, Spontaneität - ganz unverstellt, spielerisch, konsumfreudig und durchaus ein wenig exhibitionistisch.

Denn das kann sich die 46-Jährige eben leisten: die zwei Gesichter einer russischen Frau. Hier der Star, zurechtfrisiert und photoshop-adaptiert, der Wirklichkeit einer artifiziellen Soprangöttin enthoben. Ein Singdenkmal, auf Distanz gerückt, überirdisch. Allein ihre CD-Cover vom Blumenmägdelein über die künstlich verschlankte und entfaltete Verdi-Heroine bis zur glitzernden Verismo-Vogelscheuche -sie erzählen zwar eine ästhetisch zweifelhafte Geschichte, aber eine mit Diva-Wiedererkennungswert.

Künstlerin und Mutter

Noch größer ist dieser freilich, wenn man Anna ohne Filter und Schminke als Fast-Normalsterbliche zu sehen bekommt - wie sie etwa durch die Salzburger Hofstallgasse im kühnen Mustermix aus Babuschka und Badenixe schreitet oder sich auf der Wiener Kärntner Straße (sie wohnt ja gleich in Opernnähe) den begeisterten Fans präsentiert. Aber auch auf dem dauerpräsenten Smartphone. Denn sie lebt lustvoll beides: das durchaus anstrengende Artistinnendasein und die sich um gar keinen neugierigen Blick von außen scherende Existenz einer Mutter mit Kind und dritter Liebe.

Freut sich die Anna, dann freut sich auch ihr Publikum. Es verzeiht ihr all die modischen Irrungen und Wirrungen, auch all die bei anderen verteufelten musikalischen Seitensprünge - sei es der russische Bombast-Pop mit ihrem fast so stark wie sie selbst geschminkten Trauzeugen Filipp Kirkorow, sei es volkstümelnder Schrott unplugged à la "Amoi Seg' Ma Uns Wieder" mit Andreas Gabalier, wo sie den Dialekt wie Pelmeni kaut - obwohl sie den österreichischen Pass hat. Und erst recht "Romanza", die aktuelle, von ihrer Plattenfirma Deutsche Grammophon fast schamhaft auf einem Unterlabel veröffentlichte Duo-Platte mit schwülstigen Liebesliedern des Filmkomponisten Igor Krutoi als kalorienschweres Kitschgericht im Synthesizer-Rand.

Dieses Album soll auch ihrem Mann, den aserbaidschanischen Tenor Yusif Eyvazov, endlich nobilitieren und ihn der Netrebko gleichwertig zur Seite stellen. Das wird zumindest künstlerisch nie gelingen, dafür ist der Teddywuschel, den sie 2014 in Rom bei ihrem "Manon Lescaut"-Rollendebüt unter Riccardo Muti kennen und sehr schnell lieben lernte, zu sehr durchschlagskräftiger Brüller mit eher statischer Ausstrahlung. Aber er steht solide seinen Tenormann. Und er macht Anna mit ebenfalls vor jede Kamera gezerrtem Sohn Tiago offenbar happy. Also wurde er in den vergangenen Jahren von New York über Salzburg und Wien bis nach München und Berlin bisweilen zähneknirschend mit den höheren Weihen des Klassikbetriebs versehen. Am Donnerstag vergangener Woche wurde ihm an der Mailänder Scala sogar die Ehre einer Saisoneröffnung in der Titelrolle von Giordanos "Andrea Chénier" zuteil natürlich an Netrebkos Seite. Dafür musste er sich nicht nur zur Rokokoperücke den Bart scheren lassen, er hatte auch vor Intendant Alexander Pereira und Musikdirektor Riccardo Chailly mehrmals zum Vorsingen zu erscheinen. Seine Leistung stellte sie offenbar halbwegs zufrieden.

Seine Frau hingegen, die wie befreit wirkt nach der Liaison mit dem urugayischen Bassbariton Erwin Schrott (dem Vater ihres Sohnes), befindet sich gegenwärtig in der Form ihres Lebens. Egal, ob sie bei der Hauptprobe der heurigen Salzburger "Aida" noch längst nicht alle Noten konnte -bis zur Premiere saßen sie. Und auch über ihr persönlich fabriziertes Selbstbräuner-Make-up mokierte sich keiner mehr. Als Schnäppchen im Souvenirshop der Festspiele wurde ein von Netrebko sonntagsmalerisch mit "Aida"-Motiven verziertes 15-teiliges russisches Porzellan-Teeservice feilgeboten - in der Basisversion um 2399 Euro. Es gab sogar eine Pressekonferenz für die sponsernde Glitzersteinfirma, und der Boulevard hatte Schnappatmung.

Transzedente Klangwanderung

Aber das Verdi-Wunder im Festspielhaus geschah: Dunkel wallende Kleider, eine exzentrische Haarkrone, porzellanpüppchenartige Demutsgesten - fertig war die äthiopische Sklavin aus der Opernboutique de luxe. Und wie sie sang! Der Begriff "himmlisch" wäre an dieser Stelle eine schäbige Untertreibung. Erneut kam Anna Netrebko die Glorie ihrer voll ausgereiften Stimme entgegen, die Kontraste zwischen geerdet warmem Timbre und elegant hochfliegenden, saftig breiten Legatobögen. Die hohen Töne, speziell das dreigestrichene C in der Nil-Arie, wurden erreicht, wenn auch mit kleinem Unsicherheitswackelfaktor. Dafür geriet das Grabkammerduett zur wahrhaft transzendenten Klangwanderung.

Daneben führt Anna Netrebko ihr Leben als Kindergeburtstag weiter: shoppen, knutschen, Kutsche fahren, sehr bunte Kleider vorführen - und an allem naschen, was sich ihr darbietet. Singen natürlich nicht zu vergessen. Das ist ihre Welt. Karrierebrüche, schlechte Phasen scheint sie nicht zu kennen, auch der diagnostizierte Autismus ihres überall mitgeschleppten Tiago scheint sie nicht unterzukriegen. Sie ist eine Stehauffrau, intuitiv, clever (ihr eher peinliches Politikgerede versagt sie sich inzwischen konsequent), mit enormen Geber- wie Nehmerqualitäten. Wie ein Teenager lässt sie sich bejubeln und ist doch raffiniert genug, alles als Bühne zu benutzen, um sich mit Eyvazov als Star-Tandem zu positionieren.

Im November geriet Opern-Wien ins Delirium, als Netrebko - nach einer Petersburger Generalprobe im Frühjahr - erstmals im Haus am Ring in Francesco Cileas Trivialoper "Adriana Lecouvreur" antrat. Selbst da begann die Stimme in den schönsten Farben zu schillern, kam kraftvoll, konnte sich aber auch pianofein zurücknehmen. Vergangenes Jahr hatte Anna Netrebko in Dresden, mit Teleprompter zwar, unter Christian Thielemann als "Lohengrin"-Elsa ihre erste Wagnerhauptrolle gewagt - und gewonnen. Sie begeisterte mit glühenden Spitzentönen, schwelgte als makellose Lyrikerin in einer Glut sondergleichen.

2019 soll sich dieses Wagnerwunder in Bayreuth für ein paar Vorstellungen wiederholen; der hehre Festspieltempel fehlte bislang noch in ihrer Agenda. Vorher aber, im Frühling 2018 wartet an der New Yorker Met, wo man sie fast so sehr liebt wie in Wien, die berühmteste aller Divenrollen auf sie, Puccinis Tosca, die Referenzpartie der Maria Callas. Auch diese wird sie meistern, mit ihrer Bühnenpräsenz und dieser unglaublichen Stimme.

Netrebko-Konserven: Die besten Ton- und Bildträger

Verdi: La Traviata

Doppel-CD, Deutsche Grammophon, 2005

Die Salzburg-Sensation von 2005, längst legendär: ungestüm aktuell gewordener Verdi an der Seite ihres Traumpartners Rolando Villazón.

Anna Netrebko: Russian Album

CD, Deutsche Grammophon, 2006

Hier ist Netrebko ganz bei sich, angeleitet von ihrem Entdecker Valery Gergiev, in russisch-heimischem Repertoire von Tschaikowski, Rimski-Korsakow, Glinka und Prokofiew, das sie leider nur mehr selten auf der Bühne singt.

Anna Netrebko, Daniel Barenboim: In the Still of the Night

CD, Deutsche Grammophon, 2010

Netrebko ganz intim. Nur mit Daniel Barenboim am Klavier erweist sie sich in einer Liedauswahl von Tschaikowski und Rachmaninow als fesselnd zurückhaltende Gestalterin auch jener kleinen Dinge, die von Sehnsucht erzählen.

Donizetti: Anna Bolena

DVD/BluRay, 2011

Die Soprankönigin der gegenwärtigen Opernszene in einer erregenden Auseinandersetzung mit ihrer nicht nur die Zähne fletschenden Mezzo-Rivalin Elīna Garanča. Ein großer Wiener Belcanto-Abend.

Anna Netrebko: Verdi

CD, Deutsche Grammophon, 2013

Hier wird 2013 der Fachwechsel auch klangfest gemacht. Aus dem lyrischen Entlein ist ein Sopranschwan erblüht. So schöne, melancholiesatt dunkel-glühende Bögen macht ihr heute keine nach.