Kino

Osage-Blues: "Killers of the Flower Moon", Martin Scorseses jüngstes Kino-Epos

Ein Film des Jahres: Martin Scorsese spielt mit „Killers of the Flower Moon“ in seiner ganz eigenen Liga. Nun erreicht seine mörderische Spätwestern-Intrige hiesige Kinos.

Drucken

Schriftgröße

Der New Yorker Martin Scorsese ist ein Filmemacher, der es sich nach sechs Jahrzehnten Kinoweltkarriere (und 47 Jahre nach seinem mythischen „Taxi Driver“) erlauben kann, in seinen Erzählungen ein wenig ins Detail zu gehen. Und tatsächlich steckt der Teufel in seinem jüngsten Film, dem dreieinhalbstündigen Spätwestern „Killers of the Flower Moon“, in verschwindenden Kleinigkeiten, in den scheinbaren Belanglosigkeiten und den labyrinthisch angelegten Intrigen der weißen Kolonialisten, die sich in den 1920er-Jahren scheinbar friedfertig und rücksichtsvoll in dem von amerikanischen Ureinwohnern beherrschten Osage County im Bundesstaat Oklahoma einnisteten.

Doch dies ist eine Geschichte des Opportunismus, der Gier und der nackten Gewalt. Eine genuin amerikanische Geschichte: Durch Ölquellen, die sich Ende des 19. Jahrhunderts auf jenem billig erworbenen Land gefunden hatten, in das man die Angehörigen des Osage-Stamms vertrieben hatte, waren diese zu enormem Reichtum gekommen. Die Glücksritter, die Profiteure und die Mörder stellten sich ein: Scorsese erzählt von alldem gewohnt energetisch, in jähen Gewaltschüben und präziser Atmosphärenzeichnung.

Dieses bittere Postskriptum des Genozids an Amerikas Ureinwohnern setzt er nach wahren Begebenheiten, als Täterdrama und Rassismus-Blues in Szene, produziert hat der Streamingdienst Apple TV+. In den prägnanten Darstellungen der Scorsese-Superstars Robert De Niro und Leonardo DiCaprio liegt einiges an rauem Witz: Der eine stilisiert sich heuchlerisch zum Wohltäter und Gemeindeschutzherrn, der andere, sein zugereister Neffe, kapiert nicht, was um ihn herum an Grauen sich zusammenbraut. De Niro arbeitet hier zum zehnten Mal mit Scorsese zusammen, und es ist erstaunlich zu sehen, wie zupackend er diesen maliziösen Part spielt; DiCaprio hat die viel schwierigere Rolle als gänzlich unheroischer, gar nicht charismatischer Mitläufer an der Seite seines ausgefuchsten Onkels.

Der alte Einwand, Scorsese interessiere sich in seinen Filmen stets nur für die männlichen Figuren, erscheint im Fall von „Killers of the Flower Moon“ leicht fadenscheinig: Als das eigentliche Herz der Erzählung ist hier die junge indigene US-Schauspielerin Lily Gladstone, bekannt aus Kelly Reichardts Filmen, mit freiem Auge zu erkennen: Sie bringt Ruhe und viel Empathie in die von Amoral geprägte Story.

Scorsese mischt Genre-Klassizismus und seine demonstrativ in die Gegenwart zielende Ästhetik sinnträchtig: Ähnlichkeiten mit aktuellen Politintriganten und Wirtschaftsdrahtziehern sind alles andere als zufällig. Eine genial erdachte Schlusssequenz, in der Scorsese höchstpersönlich auftaucht, setzt dem bösen Treiben mit sarkastischer Kritik am eigenen True-Crime-Entertainment ein Ende. Der Teufel steckt eben im Detail, in den differenzierten Figuren, den vieldeutigen Konversationen und den abgründigen Machtspielen: Kein Bild, kein Dialog, keine der vielen erzählerischen Abzweigungen sind hier zu viel.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.