Vorbereitungen für die Oscar-Verleihung am Hollywood Boulevard in Los Angeles

Oscars 2019: Glamour im Notbetrieb

Die in der Nacht auf Montag stattfindende Oscar-Show 2019 steht unter den Vorzeichen einer systematisch prolongierten Krise.

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In der Geschichte des Kinos seien bereits „Meisterwerke ohne Ton, ohne Farbe, ohne Story, ohne Darsteller oder ohne Musik entstanden“, twitterte Regisseur Alfonso Cuarón („Gravity“, „Roma“) am Dienstag vergangener Woche, „aber noch nie Filme ohne Kameraarbeit und Schnitttechnik“. Auch wenn das so nicht stimmte – Filme mit nur einer ungeschnittenen Einstellung standen schon am Anfang der Kinohistorie, und die Liste großer Filme, die ohne Kamera produziert wurden, reicht von Peter KubelkasArnulf Rainer“ (1960) bis zu Derek Jarmans „Blue“ (1993) –, man verstand, worauf Cuarón hinauswollte.

Er bezog sich auf die Ankündigung der diesjährigen Oscar-Show-Producer, die Verleihung der Oscars in vier von 24 Kategorien nicht mehr live zu übertragen, sondern – um Zeit zu sparen und eine notorisch überlange Gala auf drei Stunden zu minimieren – die Statuetten-Übergaben und Dankesreden während der Werbepausen ablaufen zu lassen. Und interessanterweise sollte dies nicht etwa Bereiche wie Tonmischung oder visuelle Effekte betreffen, sondern allen Ernstes die Kategorien Beste Kameraarbeit, Bester Schnitt, Bester Real-Kurzfilm und Bestes Makeup. Man wolle, so teilte Hollywoods altehrwürdige Academy of Motion Picture Arts and Sciences (aktiv seit 1927) noch mit, „Teile“ der Preisverleihungen in betroffenen Disziplinen zeitversetzt nachholen, und die benachteiligten Sparten sollten dann ohnehin jedes Jahr andere sein.

Mit John Bailey ist derzeit übrigens ein Kameramann Präsident der Academy. Er erklärte die absurde Entscheidung noch vor wenigen Tagen in einer Aussendung so: „In unserer gegenwärtigen multimedialen Welt ändern sich Sehgewohnheiten rasch; auch unsere Show muss sich weiterentwickeln, um einem globalen Publikum die Filmkunst erfolgreich vermitteln zu können.“ Man habe „einen großartigen Weg gefunden“, um die Live-Übertragung auf drei Stunden zu verkürzen, und er wolle versichern, „dass alle 24 Oscar-Verleihungen in der Ausstrahlung berücksichtigt sein werden“, denn man werde diese vier Preisübergaben eben „online streamen“.

Pikanterweise gehören die nominierten Filme in ausgerechnet jenen Kategorien zu den an US-Kinokassen am wenigsten lukrativen Werken. Und keine einzige Disney-Produktion findet sich in den vier Sparten. Nun ist es aber so, dass der Disney-Konzern das TV-Network ABC besitzt, das die Oscar-Show ausstrahlt. Ein Schelm, wer dahinter Intrigen vermutet. Nur zur Information: Im Bereich Bester Kurztrickfilm steht ein Werk aus dem Hause Disney zur Auszeichnung bereit. Gut, dass die Verleihung dieses Preises live und in voller Länge übertragen werden soll.

„Nichts weniger als eine Beleidigung“

Die 91. Ausgabe der Academy Awards, die in der Nacht vom 24. auf den 25. Februar über die Bühne gehen wird, stand somit – erneut – kurz vor dem Totalabsturz. Der Aufschrei in der Branche war erwartungsgemäß gewaltig. Nach heftig hagelnder Kritik in den Medien wagten sich endlich auch die Filmschaffenden selbst aus der Deckung: Die Ausblendung von vier wesentlichen Oscar-Kategorien sei ein Kniefall vor der Fernsehindustrie und „nichts weniger als eine Beleidigung“ für all die kreativen Geister, die seit Jahrzehnten leidenschaftlich ihren filmischen Professionen nachgingen. Unter den Kameraleuten, Regie- und Schauspielgrößen, die den offenen Brief an die Academy unterzeichneten, aus denen das obige Zitat stammt, finden sich Quentin Tarantino, Spike Lee, Sandra Bullock, Robert De Niro und Martin Scorsese. Das genügte. Die Academy zog am vergangenen Wochenende ihre Idee mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück.

Schon im vergangenen August hatte die Oscar-Akademie kurzfristig mit einer „Vision“ dieser Art gespielt – mit der Etablierung einer neuen Kategorie: Ein eigener Oscar sollte für „Outstanding Achievement in Popular Film” vergeben werden, einem Preis für außerordentliche Verdienste um den populären Film. Nach einer Welle der Entrüstung über die sinnlose Prämierung von bereits ökonomisch vielfach ausgezeichneten Blockbustern ruderte man zurück und gab bekannt, dass man mit der Einführung dieser neue Kategorie doch noch warten – und erst weitere Evaluierungen dazu anstellen wolle.

Verlust an Relevanz und Würde

Eine tiefe Krise hat die Oscars länger schon fest im Griff. Der Verlust an Relevanz und Würde scheint unaufhaltsam. Das hat übrigens nichts mit der Qualität der Filme selbst zu tun: Die beiden meistnominierten Werke – Yorgos Lanthimos’ süffisante Royals-Erzählung „The Favourite“ ist hochklassiges Britpop-Kino im Zynismusmodus, und Cuaróns autobiografische Netflix-Produktion „Roma“ bietet tiefenscharfe Einblicke in das Leben eines indigenen Hausmädchens um 1970 in Mexico City –, in je zehn Kategorien genannt, sind ästhetisch vollkommen untadelig. Aber die Zuschauerquoten der Live-Übertragung bewegen sich seit Jahren steil abwärts. Die einzige Idee, um dagegen einzuwirken, scheint bislang in der Idee der Verkürzung der Show auf dem Tisch. Die Filmbranche, die gegenwärtig heftigsten Transformationen unterworfen ist, soll in einer Gala repräsentiert werden, die sich seit gefühlt fünf Jahrzehnten kaum bewegt und verändert hat? Die stur immer und immer wieder nur den alten „Glamour“, die großen Roben und die gefrorene gute Laune ihrer Protagonisten zelebriert?

Zu den traditionellen Vorwürfen der Kommerzialisierung der Academy Awards im Dienste einer weltweit ausgestrahlten Gala gesellten sich in den vergangenen Jahren heftige Debatten um die fehlende Diversität – um die mangelnde Berücksichtigung afroamerikanischer Filmkräfte etwa (#Oscarssowhite) und den virulenten Chauvinismus der amerikanischen Kinoindustrie. Inzwischen hat man nicht einmal mehr eine Moderation.

Nach dem Rücktritt des geplanten Conférenciers Kevin Hart, dem ein paar alte Tweets mit homophoben Kalauern zum Verhängnis wurden, sollen heuer dem Vernehmen nach zweieinhalb Dutzend Filmstars als Präsentatoren auf - und wieder abtreten. Jede und jeder Ausgezeichnete sollen dann exakt 90 Sekunden Zeit von der Verkündung des Namens bis zum Ende der Dankesrede haben. Ob da Stimmung aufkommen wird? Der Hektikzwang sowie das Kommen und Gehen der Kino-VIPs werden diese Show kaum „spannender“ oder irgendwie „neuer“ machen, vielmehr die Glanzlosigkeit einer Veranstaltung betonen, die seit Jahren nur noch ein Schatten ihrer selbst ist.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.