Interview

Regisseur Stephen Frears: "Rishi Sunak sollte nicht Staatschef sein, das weiß er selbst ganz genau"

Der britische Filmemacher Stephen Frears über die unzumutbare Politik seines Landes, seinen Kampf gegen die Monarchie und seine neue Kino-Komödie – "The Lost King".

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Ohne satirische Untertöne kann der legendäre englische Regisseur Stephen Frears, inzwischen 82, nicht arbeiten. Sein robuster Humor strahlt durch seine Filme ebenso, wie er jedes persönliche Gespräch färbt. Beim Fernsehen begann Frears, seit Mitte der 1980er-Jahre gilt er als einer der führenden Vertreter des „New British Cinema“, mit Werken wie „Mein wunderbarer Waschsalon“ (1985) und „Prick Up Your Ears“ (1987) wurde er berühmt. Seither erwies er sich als exzellenter Handwerker, sattelfest in allen Genres: von dem Historienspektakel „Gefährliche Liebschaften“ (1988) und dem Neo-Noir „The Grifters“ (1990) bis zur Romantic Comedy „High Fidelity“ (2000) und der bösen Royals-Satire „The Queen“ (2006).

In seinem jüngsten Film, „The Lost King“, behandelt Frears erneut die britische Obsession mit der monarchischen Historie: Die wahre Geschichte der (von der großartigen Schauspielerin Sally Hawkins neurotisch dargestellten) Amateurhistorikerin Philippa Langley, die den von Shakespeare als charakterlosen Mörder diffamierten König Richard III rehabilitieren wollte – und sich vor gut 20 Jahren auf die Suche nach dessen Grabstätte machte, wird bei Frears zur melancholischen Komödie. In einem Hotelzimmer in München erreicht profil den Regisseur via Zoom – und sofort beginnt er von Wien zu schwärmen („Grüßen Sie mir das Riesenrad!“), wo er im Februar drehen durfte und sich nebenbei die Kunstschätze des KHM zu Gemüte führte („das große Museum mit all den Breughels drin! Fantastisch!“)

Wann lernten sie die Geschichte Philippa Langleys kennen?
Frears
Sie war in den Zeitungen, man konnte sie als Engländer nicht verpassen. Und ich komme ja aus Leicester, da galt das stets als besonders lächerliche Story. Aber gerade das gefiel mir daran.  
Was fanden Sie lächerlich daran? Die Universitätsbürokratie?
Frears
Nein. Dass man die Überreste des Königs unter dem Parkplatz des Sozialamtes fand. Das ist doch absolut absurd.
Kam man mit diesem Filmprojekt zu ihnen, oder haben Sie es initiiert?
Frears
Ich wusste, dass meine Freunde Steve Coogan und Jeff Pope am Drehbuch arbeiteten; ich vermutete also, dass sie damit zu mir kommen würden. Das taten sie dann auch.
Die meisten Ihrer Spielfilme drehen sich um true stories, um reale Menschen und tatsächliche Ereignisse.
Frears
Das stimmt, wobei ich selbst nicht ganz begreife, wieso das so ist. Es liegt offenbar in der Luft. Wahre Geschichten bringen im Kino automatisch mehr Publikum, die Leute scheinen darauf zu stehen.
Würden Sie Ihre Filme Biopics nennen?

Frears
Nein, das klingt doch schauerlich.
"The Lost King“ ist nicht bloß ein Phlilippa-Langley-Porträt, sondern auch eine beißende Satire auf den Amtsschimmel, der an der Uni in Leicester offenbar besonders laut wiehert.
Frears
In ganz England! Aber es ist schon interessant, dass diese Universität damals die öffentlichen Busse mit Werbeslogans wie „Wir haben Richard III gefunden!“ überzog. Jetzt sagen sie: Wir waren dabei, als Richard entdeckt wurde. Da hat man schlauerweise den Ton stark verändert.
Es gab einiges an Kontroversen um diese bizarre Geschichte. Archäologen haben beklagt, dass sie in Ihrem Film ganz falsch dargestellt worden seien – und dass sie Frau Langley niemals in ihrer Arbeit behindert hätten.

Frears
Aber genau das haben sie getan. Bei der ersten Pressekonferenz noch haben sie Philippa einfach links liegen gelassen. Sie waren alles andere als nett, gewährten ihr so gut wie keine Anerkennung für ihre Arbeit. Erst als Richard gefunden wurde, begann man an der Universität in Leicester zu realisieren, dass man sich gegenüber Philippe mies verhalten hatte.
Sie wollten mit Ihrem Film auch den Finger in diese Wunde legen? Die Uni in die Pflicht nehmen?
Frears
Absolut. Und ein Unrecht wieder gutmachen.
Ich nehme an, Sie hatten Kontakt zur realen Philippa Langley?
Frears
Ja, aber erst nachdem wir den Film gemacht hatten.
Wieso? Wollten Sie sie gar nicht so genau kennen?
Frears
Ich wollte diese Geschichte und diese Figur so erzählen, wie ich sie mir vorstellte.
Ihr Film fühlt sich wie eine Komödie an, aber eigentlich geht es um ziemlich ernste Themen.
Frears
Es ist eben, wie gesagt, eine unfassbar lachhafte Geschichte. Ich meine, allein dieser Bund der Ricardianer, die allen Ernstes den guten Ruf eines diffamierten Königs aus dem 15. Jahrhundert retten wollen – da kann man doch nur lachen! Und trotzdem hatten sie Recht. Es ist eine absurde Story.
Sie verleihen diesen Menschen aber einiges an Würde. War das Ihre Ambition?
Frears
Ich befasse mich seit 20 Jahren mit englischer Geschichte, mit Königinnen und Königen. In der Schule lernte ich nur davon, nichts über die industrielle Revolution. Weil das Bildungssystem im England der 1950er-Jahre nur daraus bestand: aus der Historie unserer Royals.
Sie sind als britischer Republikaner ein Hardliner, ein absoluter Gegner der Monarchie.
Frears
Und je älter ich werde, desto überzeugter bin ich davon. Es bringt nur nichts. Alles bleibt, wie es ist.
Aber Sie setzen Ihren Kampf fort?
Frears
Nein, ich gebe mich geschlagen. Es hat keinen Sinn. Ich erlaube mir nur weiterhin darauf hinweisen, dass es absolut grotesk ist, in einer Demokratie weiterhin an der Monarchie festzuhalten.
Welche Beziehung hatten Sie denn zu Richard III, zu Shakespeares schurkischem Regenten?
Frears
Überhaupt keine! Mir wurde nur eine Geschichte nachgebracht, die ich mochte und mich bei Laune hielt. Richard III ist mir doch völlig egal! Mich amüsierte, dass Shakespeare auf Basis grundfalscher Erwägungen ein Stück geschrieben hatte, das historisch komplett daneben lag. Ich sah dieses Stück als Elfjähriger, aber damals erklärte mir niemand, dass es reinste Propaganda ist. Shakespeare und übrigens auch Laurence Olivier, der aus dem Stück 1955 einen unsäglichen Film machte, steckten mir seit meiner Kindheit im Hals. Insofern bin ich erleichtert, sie mir mit diesem Film vom Leib geschafft zu haben.  
Sie hatten also nicht die Mission, einen angeblichen Mörder zu rehabilitieren?
Frears
Nein. Und Philippas nächstes Buch wird nachweisen, dass Richard auch die beiden jungen Prinzen im Tower nicht ermordet hat. Das wird für Chaos in der britischen Mittelklasse sorgen!
Das Lächerliche und das Grandiose der Obsession Philippa Langleys liegen nah beieinander. Ist diese Geschichte der Durchsetzungskraft einer nicht ernst genommenen Frau nicht auch eine feministische Erzählung?  
Frears
Mein Film richtet sich gegen die Art, mit der Frauen gesellschaftlich behandelt werden, ja.
Großbritannien hat seit einem knappen Jahr einen neuen konservativen Premierminister. Regt die britische Innenpolitik sie dazu an, Filme zu machen?
Frears
Nein, sie ist eine Katastrophe! Rishi Sunak sollte nicht Staatschef sein, das weiß er in Wahrheit selbst ganz genau. Wäre er ein besserer Mensch, er würde aus freien Stücken zurücktreten und zugeben, dass dies alles ein furchtbarer Fehler war – genau wie Boris Johnson, Liz Truss und wohl auch Theresa May grauenvolle Fehlentscheidungen waren. Diese Regierungen hätte es nie geben dürfen. Die gegenwärtige Administration erpresst dieses Land!
Man hört, dass Sie Ihre Filme politisch verstehen.  
Frears
Ja, offensichtlich. Ich provoziere damit ganz gerne.
Sie erzählen in „The Lost King“ auch von dem Chronischen Erschöpfungssyndrom, an dem Philippa Langley leidet. Wie passt die Geschichte dieser Krankheit zur Story von König Richards Auffindung?
Frears
Philippa litt von Anfang an unter dieser Krankheit, und es dauerte tatsächlich zehn Jahre, bis sie Richard gefunden hatte. Im Film scheint es aus dramaturgischen Gründen so, als wäre das alles in ein paar Wochen geschehen, aber die Krankheit dient da auch als Metapher ihrer Fragilität.
Sie arbeiten an einer Mini-Serie für HBO, die erneut sehr politisch ist und 2024 veröffentlicht werden soll. Sie heißt „The Regime“ und spielt in einem autoritären Staat, der kurz vor dem Zusammenbruch steht. Kate Winslet spielt darin eine eiserne Tyrannin. Gedreht wurde Anfang dieses Jahres auch im Wiener Palais Liechtenstein.
Frears
Die Serie ist im Kasten. Ich bin sehr krank, aber ich habe drei der sechs Episoden inszeniert. Hätte ich alle sechs übernommen, ich wäre gestorben.
Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.