Zeremonienmeister Rocko Schamoni

Rocko Schamoni: „Als wäre diese Musik immer schon dagewesen”

Rocko Schamoni: „Als wäre diese Musik immer schon dagewesen”

Drucken

Schriftgröße

profil: Sie haben sich 2006 von der Musik verabschiedet. Jetzt veröffentlichen Sie ein Coveralbum mit großem Orchester. Warum kehren Sie auf diese eigenwillige Art und Weise zurück. Nach Postpunk und Postschlager kommt der Zeremonienmeister? Rocko Schamoni: Meine Vorlieben sind filmmusikalischer Natur. Die Idee war, mit Bigband und Orchester zu arbeiten und es möglichst groß und breit klingen zu lassen. Außerdem wollte ich mich nie von der Musik verabschieden, ich wollte nur keine Platten mehr veröffentlichen.

profil: Wollten Sie sich nur vom engen Korsett eines Albums befreien? Schamoni: Das Plattenveröffentlichen ist ein schwieriger und anstrengender Job. Diese wiederkehrende Prozedur der Ernüchterung wollte ich nicht mehr erleben. Da die neue Platte aber via Crowdfunding finanziert wurde, kann ich ganz gut damit leben.

Große Plattenfirmen stecken ihr Geld nur noch in Hitproduktionen

profil: Kann man heute nur noch mit Mitteln wie Crowdfunding autark arbeiten? Schamoni: Große Plattenfirmen stecken ihr Geld zu einem Gutteil nur noch in Hitproduktionen, wo sie wissen, dass es sich finanziell auszahlt. Independentfirmen haben leider nicht mehr das Geld, sich größere Projekte leisten zu können. Da ich nicht aus dem Mainstream komme, würde ich sonst wohl einen Mäzen brauchen.

profil: Sie haben mit dem neu gegründeten Orchester Mirage längst vergessene Perlen der letzten 50 Jahre Popkultur der BRD und DDR neu orchestriert. Was hat sie an den ausgewählten Songs fasziniert? Schamoni: Geplant war ein musikalischer Orchesterabend mit Songs, die keiner mehr kennt oder die vergessen worden sind. Ich wollte darauf aufmerksam machen, dass es diese Art von Kunst gibt. Leider werden solche Songs von den Massenmedien regelrecht ignoriert. Die deutsche Kulturszene wollte ich damit nicht retten.

Ich wollte immer schon Musik machen, die so klingt, als wäre sie schon immer dagewesen

profil: Sie vertonen Stücke von Lassie Singers, F.S.K. und Ton Steine Scherben. Einer bestimmten Dekade sind ihre Neuinterpretationen nicht mehr zuordenbar. Sollten die Stücke bewusst den selben Duktus haben? Schamoni: Viele Musiker möchten Musik machen, die sich wie nichts anhört, das je zuvor dagewesen ist. Ich hingegen wollte immer schon Musik machen, die so klingt, als wäre sie schon immer dagewesen. Die Musik wollte ich nie neu erfinden. Daher haben wir einen Sound ausgewählt, der irgendwo zwischen den 1960er- und 1970er-Jahren liegt und die Hochzeit der filmmusikalischen Kompositionen widerspiegelt.

profil: Im Begleittext zum neuen Album schreiben Sie, dass die Menschen zwar den ganzen Tag und allerorts Musik hören, dabei aber immer nur die selben paar hundert Titel. Können Sie sich diese musikalischen Scheuklappen erklären? Schamoni: Meiner Einschätzung zufolge hat das sehr viel mit der deutschen, und hier im Besonderen der norddeutschen Medienkultur zu tun. Ich kenne in meiner Heimatstadt Hamburg fast niemanden, der Radio hört. Um meine eigenen Songs im Radio zu hören, muss ich Richtung Süden fahren. Es gibt hier im Norden keine Medien- und Radiokultur für spezielle Musik und Kunst, (außer einem kleinen Sender namens FSK und dem Internet Radio, z.B. Byte Fm); dementsprechend wissen die „normalen“ Leute gar nicht, was es für tolle und einzigartige Musik gibt.

Hamburg ist sauber geräumt und verkauft worden. Es gehört nicht mehr den einfachen Menschen und Einwohnern. Es gehört jetzt einer neuen Elite

profil: Was kann man dagegen tun? Schamoni: Man kann sich die guten Sachen entweder im Netz besorgen, oder man erhöht endlich den Druck auf die verantwortlichen Sender. Wenn es nach mir ginge, würde ich eine Quality Quote einführen. Verstehen Sie mich nicht falsch: keine Quote für deutschsprachige Songs, sondern eine Quote für qualitativ hochwerte Kunst, um einmal pro Stunde den Mainstreamflow mit einem widerborstigen Song zu unterbrechen. Leider ist die Angst vor Veränderung in den höheren Medienebenen so festgenagelt, dass sich da so schnell nichts ändern wird.

profil: Sie hadern aber nicht nur mit dem Radio, sondern in den letzten Jahren auch immer wieder mit Ihrer Heimatstadt. Was hat Hamburg bloß so ruiniert? Schamoni: Hamburg ist sauber geräumt und verkauft worden. Es gehört nicht mehr den einfachen Menschen und Einwohnern. Es gehört jetzt einer neuen Elite. Es gibt keine abwegigen Orte und Strukturen mehr. Das Radio ist nur ein Teil davon, für uns Musiker aber essenziell. Man muss immer wieder sagen, was man falsch oder schlecht findet. Sonst bleibt nur Verzweiflung und Tristes.

profil: Haben Sie schon über einen Umzug nachgedacht? Schamoni: Ich könnte mir gut vorstellen, nach Wien zu ziehen. Auch andere Künstler haben sich schon dazu entschieden. Peter Hein von den Fehlfarben zum Beispiel. Spannend fände ich es auf jeden Fall, zumindest um einiges spannender als Berlin.

Auch die neue Platte wird ein Liebhaberprojekt bleiben, vor allem für Leute, die so eine Art von Musik ohnehin schon vorher geschätzt haben

profil: Wie steht es um Ihren alternativen Hamburger Golden Pudel Club, der immer ein Ort der Gegenkultur war? Schamoni: Das ist alles tragisch. Wir stehen vor einer so genannten Teilungsversteigerung, da mein ehemaliger Kompagnon unsere GbR aufgelöst hat und das ganze Haus versteigern will. Wir kämpfen gerade um dieses Gebäude, das ganz besonders mit dem angrenzenden Park Fiction verbunden ist. An einem anderen Ort ist der Club nicht denkbar.

profil: Sie haben einmal gesagt, dass Sie mit Ihren Büchern ein viel größeres Publikum erreichen können, als mit der Musik. Versuchen Sie es mit Ihrem neuen Album noch einmal, den Spies umzudrehen? Schamoni: Mit meiner Musik habe ich nie viele Leute erreicht. Das wird sich auch nicht mehr ändern. Dazu kommt, dass man für Popmusik eigentlich jung sein muss. Auch die neue Platte wird ein Liebhaberprojekt bleiben, vor allem für Leute, die so eine Art von Musik ohnehin schon vorher geschätzt haben. Die Erweckungserlebnisse werden selten gestreut bleiben.

Rocko Schmamoni, 49

Als Literat ("Dorfpunks“), Musiker, Komiker ("Studio Braun“), Club-Betreiber in Hamburg ("Golden Pudel“) und Mitglied der deutschen Satire-Fraktion "Die Partei“ ist Rocko Schamoni schwer einzuordnen: 2006 hatte sich "der Tom Jones vom Kiez“ ("taz“) eigentlich offiziell von der Musik verabschiedet, um sich mit dem eigenwilligen Projekt "Die Vergessenen“ nun doch zurückzumelden. Nach Post-Punk und Post-Schlager verwandelt sich Schamoni, der mit bürgerlichem Namen Tobias Albrecht heißt, nun in einen Zeremonienmeister. Mit dem neu gegründeten Orchester Mirage hat der 49-jährige Wandlungskünstler längst vergessene Songperlen (etwa von den Lassie Singers, F.S.K. und Ton Steine Scherben) der vergangenen 50 Jahre BRD- und DDR-Popkultur neu orchestriert.

Rocko Schamoni und Mirage: Die Vergessenen (Staatsakt)

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.