Rostfest: Ein Schuss Kultur in die Adern des Erzberges

Rostfest: Ein Schuss Kultur in die Adern des Erzberges

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Die Festivalzentrale, eingerichtet in einer ausrangierten Arztpraxis im Ortszentrum, wird von Kaffeegeruch, Kabelsalat und in Organisation begriffenen Menschen dominiert. Viel Zeit hat Elisa Rosegger-Purkrabek nicht, und auch mit ihrer strapazierten Stimme muss sie sparsam umgehen. Ein wenig von beidem opfert die junge Grazerin dennoch, um vom Konzept des Festivals zu erzählen, das sie 2012 gemeinsam mit Franz Lammer und Rainer Rosegger aus der Taufe gehoben hat.

Leerstände bespielen und Leben in die Stadt bringen, lautet die Devise. Die Auftritte der Bands finden nicht in einem abgezäunten Gelände statt, sondern mitten im Zentrum. Abschreckend wirkende leere Häuser, an denen die Bewohner für gewöhnlich vorbeigehen, werden zu Locations umfunktioniert und in Szene gesetzt.

Besonders wichtig ist der Organisatorin und Projektmanagerin für Stadt- und Regionalentwicklung das urbane junge Publikum für die Bevölkerung nicht als Fremdkörper erscheinen zu lassen. Diese Absicht zeigt Wirkung, das Festival überwindet Generationenbarrieren und verbindet Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen. Ziel ist es auch, die Kreativität der Ansässigen anzukurbeln und ihnen Möglichkeiten zu zeigen, ihre Stadt selbst zu gestalten.

Viele Eisenerzer waren zunächst skeptisch, „kamen aber einmal schauen“. Inzwischen ist das Rostfest für sie nicht mehr wegzudenken, mit ihrer Billigung verwandelt sich die Stadt für ein Wochenende in ein Mekka der Alternativszene. Besucherzahlen lassen sich aufgrund der offenen Struktur und des freien Eintritts schwer messen, doch die Organisatorin spricht von geschätzten 3000 Menschen bei der ersten Ausgabe 2012. Nach einer Umfrage unter Einwohnern und treuen Rostfest-Fans steht fest, dass es zumindest subjektiv jährlich mehr werden.

Von der Geistersiedlung zum Hippiecamp

Auch bei den Schlafplätzen wurde darauf geachtet, Leerstände zu bespielen, es wird in einer Wohnsiedlung außerhalb des Stadtkerns gecampt. Die „Hitlerbauten“ im Münichtal boten nach dem Zweiten Weltkrieg Platz für über 3000 Menschen, viele davon Arbeiter am Erzberg. Heute stehen die meisten Wohnungen leer, zögerlich wird renoviert. An diesem Wochenende haben jedoch tausende Festival-BesucherInnen in den biederen, unmöblierten Zimmern mit muffigen Tapeten und 70er Jahre-Flair ihre Schlafsäcke aufgeschlagen.

Die Münichtalsiedlung vor dem Fest

Es herrscht Betrieb auf den Zufahrtsstraßen, vor den Häuserzeilen reiht sich Auto an Auto. Da wird Gitarre gespielt, Kaffee gekocht, Bier getrunken. Wie eine moderne Hippie-Kommune wirkt die Siedlung, Reihenhausidylle paart sich mit dem Charme der großen Freiheit.

Das „Zentrum für veraltete Kommunikation“ verlegt auf Wunsch Bechertelefonleitungen, alte Frauen in Schürzen servieren dreadgeschmückten Menschen glücklich selbstgemachten Kuchen. Man genießt die Natur und den aufgeklarten Himmel, die Kreativität sprüht Funken. Durch den Schleier der temporären kitschigen Situation hindurch bekommt man eine Ahnung, wie lebendig das Münichtal früher gewesen sein muss.

Der Bergmannplatz verwandelte sich in eine große Tanzfläche

Ein Bewohner erzählt von seiner Kindheit unter rund 100 Gleichaltrigen, zeigt dann auf Nachbarhäuser und nennt die Vornamen der letzten Menschen, die in seiner Nähe wohnen. Ins Zentrum ziehen will er nicht, zu viel Geld hat er in die Renovierung gesteckt. Es gäbe zwar viel Infrastruktur in Eisenerz, ein Krankenhaus, viele Schulen, die Schisprungschanze. Doch keiner weiß wie lange noch, die fehlende Arbeit zwinge die meisten Jungen, wegzuziehen. Dennoch ist er zuversichtlich, was die Zukunft betrifft. „Da unten werden Wohnungen renoviert, und wenn da keiner hinziehen will, würden sie das ja nicht machen!“

Tanzen im Schatten des Erzberges

Gegen Nachmittag bewegt sich die Menschenmasse mittels Shuttlebussen ins Ortszentrum. Beim „Schlagergarten Gloria“ tanzt eine Menge ausgelassener Alternativlinge zu jenen Hits der 50er und 60er, die ihre Eltern vermutlich peinlich fänden, ein Poetry Slam mit formidablem Line-Up macht Geschmack auf performte Literatur, Kunstinstallationen, Sport und Koffeinbier lassen keine Wünsche offen.

Das Publikum ist deutlich älter als bei den Großveranstaltungen des Festivalsommers, die zeitgleich stattfindenden Highlights Frequency und Lake Festival haben die Besucherzahlen augenscheinlich wenig beeinflusst. Das Groß der Angereisten ist in seinen 20ern und festivalerfahren, die sauberen Sanitäranlagen werden genauso goutiert wie das vorhandene Kinderprogramm. Freitag bringen Klumzy Tung und Rakede das Publikum Open Air zum Kochen, Samstag die Lokalhelden Gnackwatschn und die harten Bostoner Burschen von Slaphot. Musik für jeden Geschmack wird in verschiedenen leerstehenden Häusern aufgetischt, die BewohnerInnen des Zentrums nehmen die Zwangsbeschallung gelassen.

Zusammenräumen verbindet

Sonntag Mittag ist es in Eisenerz still, die Bühne steht bizarr wie ein Alien am menschenleeren Bergmannplatz. Hier und da sind gedämpft Aufräumungsarbeiten im Gange. Die Sonne strahlt, ein böiger Wind zerrt an herumliegendem Flitter und anderen Überbleibseln der Nacht. Man muss ein wenig suchen, bis man ein geöffnetes Café findet. Ein paar letzte Rostfestler sitzen auf den Klappsesseln, aber der Ausnahmezustand ist vorbei. Die Schlafsäcke im Münichtal werden zusammengerollt, auf der Hauptstraße treiben Fahrgemeinschaften den städtischen Ballungszentren entgegen.

Übrig bleibt eine Stadt, die zu groß ist für ihre wenigen Menschen. Eine Stadt die viel bietet, nur keine Arbeitsplätze. Weniger als 4500 Einwohner und Einwohnernnen müssen hier die Infrastruktur für 11.000 erhalten.

Bürgermeisterin Christine Holzweber (SPÖ), seit 2009 im Amt und kürzlich wiedergewählt, strahlt jedoch Zuversicht aus. „Das Eingekesselt-Sein bringt gewisse Vorteile. Man kann ruhig leben, aber gleichzeitig vieles erleben.“ Es sei viel los, vom Erzbergrodeo bis zum Rostfest, vom Wandern zum Bergsteigen. „Hoffentlich kann das noch lange finanziert werden.“

Am Erzberg, dem die Stadt ihre wirtschaftliche Blüte in der frühen Neuzeit verdankte, wird auch heute noch Erz abgebaut. „Mehr als je zuvor“, wie Holzweber festhält, jedoch mit weitaus weniger Menschen. Knapp 200 sind noch in der Sparte beschäftigt, einst waren es 3000. Schätzungen zufolge kann in Eisenerz noch bis mindestens 2030 wirtschaftlich Metall abgebaut werden, für die Zeit danach wird bereits vorgesorgt.

„Der Tourismus ist ein zartes Pflänzchen, das wir aufziehen müssen. Wir geben zu, wir müssen das erst lernen.“ Ob man die zahlreichen Leerstände nicht nützen könnte, um Flüchtlinge aufzunehmen? „Wir haben bereits seit längerer Zeit Kontakt mit dem Land aufgenommen, und wenn die Anzahl verträglich ist, werden wir sicher Asylwerber aufnehmen.“ Auch Elisa Rosegger-Purkrabek sieht die Zukunft positiv. Die Rostfest-Organisatorin glaubt, dass es generell wieder attraktiver wird, auf das Land zu ziehen. „Räume und Ressourcen sind da“. Sie müssen nur genützt werden.