Autor und Comedian Hotz: "Eine Art Rachefeldzug an mir selbst"
Interview

Sebastian "El Hotzo" Hotz: "Ich bin ein großer Fan der Lüge"

Als El Hotzo erklärt der deutsche Autor und Comedian Sebastian Hotz täglich via Social Media die Welt. Nun hat er seinen ersten Roman geschrieben. Ein Gespräch über Tweets von der Stange, Schreiben als Therapie - und warum er sich wie ein Hochstapler fühlt.

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Ein Donnerstagmorgen im Internet zwischen Wien und Berlin. Sebastian Hotz alias El Hotzo, Autor, Comedian und Social-Media-Phänomen, hat an diesem Morgen schon ein paar Mal gewittert. Zum Beispiel dies hier: "Inflation ist so dumm, warum kostet eine Gurke 1,89€, das ist einfach ein Stock aus knusprigem Wasser." Seine Posts schreibt der 27-Jährige mittlerweile für ein Millionenpublikum. Hotz, kurze blonde Haare, grundsympathisches Grinsen, ist bestens gelaunt und kann es noch kaum glauben, dass er endlich wieder ein wenig Tagesfreizeit hat. Immerhin erscheint dieser Tage sein Debütroman "Mindset", eine satirische Gesellschaftsstudie und Coming-of-Age-Erzählung, in der es um toxische Männerbünde, krude Motivationstrainer und Lebenslügen geht.

Herr Hotz, unter Ihrem Pseudonym El Hotzo treffen Sie das Lebensgefühl Hunderttausender junger Menschen. Fiel Ihnen das Schreiben Ihres ersten Romans leicht?
Sebastian Hotz
Das Schreiben fand ich unglaublich unbefriedigend, weil dabei die sofortige Belohnung durch Likes und Feedback, der schnelle Hit im Internet, weggefallen ist. Andererseits ist es wie der Vergleich zwischen Fast Food und Selbstgekochtem-Letzteres ist langfristig befriedigender und macht auch glücklicher.
Verabschieden Sie sich mit dem Roman "Mindset" jetzt von der Kunstfigur El Hotzo?
Hotz
Zumindest auf einem Sticker soll noch El Hotzo stehen. Ich wollte mit dem Erscheinen meines Romans eigentlich mit dem Twittern aufhören. Aktuell sieht es aber nicht danach aus. Wie jeder öffentlichkeits-und aufmerksamkeitssüchtige Comedian werde ich weiter auf Twitter herumhängen, nach meinem Namen suchen und mir alle bösen Kommentare durchlesen.

 

Auf Twitter und Instagram erreichen Sie fast zwei Millionen Menschen. Hat die Kritik mit Ihrer Bekanntheit zugenommen?
Hotz
Ab einer gewissen Reichweite gibt es immer Leute, die dich nicht nur gut finden - und das auch zu Recht. Man kann mir den Sellout-Vorwurf machen, man kann sagen, dass vieles von der Stange produziert ist und zu sehr in alle Richtungen tritt. Am Ende ist der Typ, der mich kritisiert, aber jemand, der wie ich viel zu viel Zeit im Internet verbringt. Auf dieser Ebene trifft man sich wieder. Das ist schön.

 

Profilbild von El Hotzo: "Die Angst, ein One-Hit-Wonder zu sein, ist definitiv noch da."

Haben sich bei Ihren Postings gewisse Routinen, Themen und Stehsätze eingeschlichen, die immer funktionieren?
Hotz
Zu 100 Prozent. Spätestens seitdem ich mir selbst auferlegt habe, mindestens zehn Gags am Tag zu schreiben. Wenn mir mal ein Tweet fehlt, nehme ich ein bestehendes Konstrukt, setze zwei aktuelle Themen rein, und es funktioniert. Dass nicht jeder Gag eine Offenbarung oder eine Neuentwicklung des Comedy-Genres ist, ist mir bewusst-aber das ist auch okay.
In zwei Tweets, die Sie kurz vor unserem Gespräch gepostet haben, geht es um Inflation und Maskenpflicht. Zwei Dauerbrenner?
Hotz
Ich war heute morgen einkaufen und habe für eine Gurke 1,89 Euro bezahlt, das hört sich nach "Back to the Future",nach unrealistischer Dystopie an. Das ist nicht die Welt, in der ich leben will.
Haben Sie Vertrauenspersonen, denen Sie Ihre Tweets vorlesen?
Hotz
Nein, aber ich teste Tweets und Gags in Gesprächen. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum einige Leute mit mir befreundet sind. Wenn ein Tweet nicht gut ist, lösche ich ihn einfach wieder. Das passiert oft.
War Twitter ein gutes Schreibtraining?
Hotz
Auf gar keinen Fall. Für mein Buch war Twitter die schlechtestmögliche Vorbereitung, weil es die Aufmerksamkeitsspanne zerstört und niemals von dir fordert, einen Handlungs-oder Spannungsaufbau zu machen. Tweets zu schreiben, ist ein gutes Training, um in Autor:innen-Räumen bestehen zu können, weil man zu jedem aktuellen Thema einen Gag schreiben kann. Längere Texte wollte ich aber schon immer schreiben. Ich habe als Jugendlicher einen Hunderte Seiten langen Fantasy-Roman geschrieben, der nie das Licht der Welt erblicken wird.

 

Ihre Tweets und Memes teilen Sie auch auf Instagram. Erreichen Sie hier andere Menschen, oder ist das eine reine Zweitverwertung?
Hotz
Das war keine Marketingstrategie, sondern ein Backup-Plan. Ich habe Instagram als Archiv verwendet, nachdem mein Twitter-Account gesperrt worden war.

 

Sie wurden gesperrt?
Hotz
Ja, und das völlig zu Recht. Mit einem damals noch bedeutend kleineren Publikum war ich etwas kantiger, edgier, aber man muss einen expliziten Todeswunsch gegen die Band The BossHoss nicht ins Internet schreiben. Zu meiner Kritik stehe ich aber noch immer.
In "Mindset" geht es um einen Erfolgscoach, der junge Männer um sich schart und sich als Hochstapler entpuppt. Was fasziniert Sie an diesen Typen?
Hotz
Diese Menschen haben das Gefühl, dass ihr tatsächliches Leben nicht ausreicht, um gemocht zu werden, und man andere anlügen muss, um Zuneigung zu bekommen. Mir ging es um die tiefe Traurigkeit und die Hoffnungslosigkeit dieser Menschen, die denken, sie müssen mehr aus sich herausholen und über den normalen Menschen stehen. In dieser Welt ist alles Hierarchie und Kampf.

Twitter ist eine Höllenplattform, die einem höllischen Menschen gehört.

"Mindset" ist genau das Buch geworden, das man sich von der Kultfigur El Hotzo gewünscht hat - und ist dennoch anders als erwartet. Denn natürlich strotzt der Roman nur so vor Zeitgeistthemen (Dating-Apps, Bullshit-Jobs, Work-Life-Balance), Anspielungen (deutsche Provinz versus Großstadt) und sehr gegenwärtigen Sujets wie Männlichkeitsseminare, Erfolgs- und Finanz-Scams. Andererseits erzählt Hotz hier eine recht konventionelle Läuterungsgeschichte ohne richtige Läuterung (was man wiederum originell finden darf).

Sebastian Hotz: Mindest. Kiepenheuer & Witsch. 288 S., EUR 24,50

Suchen vermeintlich erfolgreiche Geschäftsmänner, die mit schnellen Autos und Luxusuhren protzen und Menschen in Wölfe und Schafe unterteilen, im Erfolg ihr Lebensglück?
Hotz
So zu tun, als wäre man erfolgreich, ist letztlich das Gleiche, wie wirklich reich und erfolgreich zu sein. Diese Wertgegenstände und Statussymbole, das Auto und der Flug machen niemanden glücklich-Glück spendet vor allem die Anerkennung, die man dafür bekommt. Diese Männersekten belügen sich im Grunde nur selbst.
War die Lüge die Ausgangsidee Ihres Romans?
Hotz
Ich bin ein großer Fan der Lüge. Gerade in der Anfangszeit meines Internet-Daseins, als ich noch bei Siemens gearbeitet habe und auf dem zweiten Bildschirm Twitter geöffnet hatte, habe ich viel Quatsch erzählt. Die Menschen wussten nicht, dass ich eigentlich Maschinenbau-und Industriekaufmann bin und mich um Serviceverträge von Dampfturbinen kümmere. Problematisch wird es erst, wenn man die Leute in echt trifft, die man zuvor angelogen hat.
Ist diese Art der Flunkerei okay?
Hotz
Die Wahrheit ein bisschen zu verbiegen, kann etwas sehr Produktives sein. Solange man aufpasst, dass es anderen Leuten nicht wehtut. Ein Witz, den man aus der eigenen Perspektive erzählt, obwohl er komplett ausgedacht ist, funktioniert besser, weil er eine persönliche Haltung vermittelt. Die Grenze zwischen Lüge und Schauspielerei beginnt dann ohnehin zu verschwimmen. Eine kleine Lüge kann das Leben anderer durchaus erleichtern, sie sogar glücklicher machen.

 

Ihr Roman erzählt auch von dem Rachefeldzug einer jungen Frau, die die männlichen Blender entlarvt ...
Hotz
... die Geschichte ist auch eine Art Rachefeldzug an mir selbst. Weil die Hauptcharaktere ein wenig auch von mir abgefärbt haben. Erfolgscoach Maximilian leidet unter dem klassischen Impostor-Syndrom, obwohl er wirklich ein Hochstapler ist. Ich frage mich selbst oft, ob ich in diesen Medienbereich passe, in dem man mit Gagschreiben Geld verdienen kann. Andere Menschen in meinem Job kommen aus einer alten Fernsehtradition, haben Praktika gemacht und sich durch Volontariate hochgearbeitet, während ich nicht den angemessenen Leidensweg hinter mir habe. Es fühlt sich an, als könnte das alles jede Sekunde zerplatzen, und plötzlich sagt jemand: Der ist ja gar nicht lustig.
Haben Sie noch immer Angst, ein One-Hit-Wonder zu sein?
Hotz
Die Sorge, irgendwann nur noch eine peinliche Erinnerung an den Zeitgeist der frühen 2020er-Jahre zu sein, ist da. Man muss sich nur anschauen, wie schlecht andere Internet-Hypes gealtert sind, die ihr Dasein jetzt am Internet-Friedhof auf Facebook fristen. Ich werde in den Wochen nach der Buchveröffentlichung eine regelrechte Twitter-Psychose entwickeln, weil ich jede Kritik, jedes Feedback und jeden Kommentar über mich lesen werde. Die Angst, ein One-Hit-Wonder zu sein, ist definitiv noch da, ich denke aber, dass man mich bereits beim Schreiben gestoppt hätte. Immerhin will man mit mir Geld verdienen, und dann funktionieren die marktwirtschaftlichen Mechanismen noch.
Das Problem ist, dass die jungen Männer, die gerade das Elternhaus verlassen haben und nach Halt im Leben suchen, allein im Internet surfen und bei fragwürdigen Coachings landen ...
Hotz
... wobei dieses Internet ein schöner, warmer Ort sein kann. Ich sitze auch einen Gutteil meines Lebens allein vorm Computer und habe in diesem Internet ganz tolle Freunde gefunden, die sich aktiv für eine Freundschaft mit mir entschieden haben, und nicht, weil sie zufällig im selben Ort aufgewachsen sind. Das ist die Magie des Internets.
Wie sind Sie in einem dualen Studium bei Siemens gelandet?
Hotz
Ich habe nicht daran geglaubt, dass mein Talent dafür ausreicht, als Autor zu leben-und ich hab mich auch nicht getraut, mich bei der Regionalzeitung in meinem fränkischen Landkreis für ein Praktikum zu bewerben. Dieses Sich-Abfinden mit dem Gefühl, nicht zu genügen, spiegelt sich auch in meinem Roman wider.
Kann man nicht auch bei Siemens glücklich werden?
Hotz
Sich mit einer Lebenssituation abzufinden, ist gar nichts Schlechtes, auch das kann produktiv sein, wenn man sich sein kleines Nest in der 40-Stunden-Woche baut, man ins Private flüchtet und der unbefriedigende Job darüber hinaus glücklich macht. Bei mir hat es nicht geklappt.
In einer Therapie wurde Ihnen nahegelegt, Tagebuch zu schreiben.
Hotz
Für diesen Tipp hätte sich sogar Sigmund Freud geschämt-geholfen hat es mir trotzdem. Meine Gedanken habe ich als Tweets ins Internet geschrieben, damals noch weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Tausende Tweets ins Nichts-das hat mir gutgetan.

 

Auch die Wiener Autorin Stefanie Sargnagel hat im Callcenter angefangen zu texten ...
Hotz
... mit ihr in Verbindung gebracht zu werden, ehrt mich extrem. Vielleicht bin ich einer der Letzten, der in diesem schriftbasierten Internet berühmt geworden ist. Ab jetzt werden TikTok-Stars den Ton angeben, die schnell geschnittene Videos machen und auch sehr lustig sind.
Auf TikTok würde Ihr Humor nicht funktionieren?
Hotz
Für TikTok bin ich erstens zu alt und mir meiner Körperlichkeit zu sehr bewusst. Ich könnte nicht die ganze Zeit Videos editieren, in denen ich mein eigenes Gesicht sehen müsste. Wenn es nicht direkt aus dir herauskommt, ist es nur verkrampft. Dann kann es auch nicht funktionieren.

Die Kunst, die Absurditäten des Lebens und die bisweilen kaum erträgliche Leichtigkeit des Seins auf den sprichwörtlichen Punkt zu bringen, hat Hotz in den letzten Jahren zur Perfektion gebracht. Ein aktuelles Beispiel: "Nennt mich gern Klimaterrorist, aber ich finde, es sollten an Ostern und Silvester unterschiedliche Temperaturen sein", schrieb er kürzlich auf Twitter. Am 12. Oktober sowie am 10. Dezember wird Hotz seinen Roman in einer Mischung aus Stand-up-Comedy und Lesung im Wiener Stadtsaal präsentieren.

In Ihrem Roman imaginieren Sie den Traum, zwei Wochen nicht arbeiten zu müssen.
Hotz
Ich muss ja nicht twittern und kann jederzeit damit aufhören! Obwohl: Das sagen Raucher auch. Vielleicht schaffe ich es im kommenden Sommer einmal, eine Pause einzulegen, aber ich bin wirklich davon abhängig. Und dabei geht es gar nicht nur um meine Glückshormone, sondern vor allem um mein Mitteilungsbedürfnis.
Als Autor schreiben Sie unter anderem für die Satire-Show "ZDF Magazin Royale". Wie schwierig ist es, für Jan Böhmermann Gags zu schreiben?
Hotz
Wichtig ist, zu wissen, dass es nicht um mich selbst geht. Ich konsumiere so gut wie alles von der Person, für die ich schreibe-schaue jede Sendung und jeden Beitrag. Außerdem muss man wissen, wie das Gag-Timing und die Schlagrichtung sind. Am Ende ist es ein erstaunlich normaler Bürojob, es gibt die Lästereien beim Wasserspender, das Meckern über den schlechten Kaffee und die Kantine. Es war erschütternd, zu erkennen, wie ähnlich einander das "Magazin Royale" und Siemens sind.

 

Stichwort Wokeness: Wie hat sich Ihre Sprache in den letzten Jahren verändert?
Hotz
Die Regeln, nach denen man Witze und Humor macht, sind relativ einfach: Man muss mit sich selbst vereinbaren, bei wem man auf Ablehnung stoßen möchte. Ich mache Witze über Friedrich Merz, über Vermieter und Reiche-und da bekomme ich Gegenwind. Außerdem habe ich kein Problem damit, einen Witz zu löschen, wenn er Menschen verletzt, die ich nicht verletzen möchte. Wenn man davon überzeugt ist, auf Kosten bereits diskriminierter Gruppen einen Witz machen zu wollen, muss man auch mit dem Echo klarkommen. Für mich gilt: Ich möchte niemandem das Leben schlechter machen.

 

Hatten Sie mit der Twitter-Übernahme durch Elon Musk keine Sorge, eine Ihrer wichtigsten Bühnen zu verlieren?
Hotz
Ein weirder Egozentriker hat eine Plattform gekauft, die vor der Übernahme schon in der Hand von schlechten Menschen war. Letztlich hat Twitter genau dies verdient, auch wenn es mir für die Userinnen und User leidtut, die wirkliche Konsequenzen zu fürchten haben, die sich mit Hate Speech auseinandersetzen müssen, ohne dagegen etwas tun zu können. Twitter ist eine Höllenplattform, die einem höllischen Menschen gehört.
Möchten Sie die Welt zu einem besseren Ort machen?
Hotz
Comedy hat keine große Auswirkung auf den Lauf der Menschheitsgeschichte. Man kann Leute unterhalten und versuchen, auf der richtigen Seite zu stehen. Ich kann mit meiner Reichweite nichts Besseres bewirken, als zum Beispiel eine Spendenaktion zu verbreiten. Am Ende ist das, was ich mache, Unterhaltung-und ich hoffe, dass ich die Welt damit nicht schlechter mache.

Sebastian "El Hotzo" Hotz, 27, aufgewachsen im deutschen Franken, wurde durch seinen lakonischen Witz auf Twitter und Instagram bekannt. In seinen Tweets scherzt er über unleistbare Mietwohnungen, über Arbeitsausbeutung und Bullshit-Jobs, er übt Kapitalismuskritik, nimmt mentale Gesundheit und die Bizarrerie des modernen Lebens aufs Korn-Humor mit Haltung könnte man das nennen; es sind kurze Bonmots, die ein Gefühl dafür vermitteln, wie sich junge Menschen heute fühlen. Ein Beispiel: "weird, die Menschen, die morgens in der S-Bahn stehen und zur Arbeit fahren, sehen gar nicht glücklicher aus, seitdem die Maskenpflicht weggefallen ist, es ist, als wäre das gar nicht die einzige Einschränkung ihrer Freiheit gewesen, naja". Hotz lebt als Autor, Texter ("ZDF Magazin Royale") und Podcaster ("Hotz &Houmsi") in Berlin.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.