Staatsoperndirektor Dominique Meyer

Staatsopernchef Meyer: "... dann werden wir die Konsequenzen ziehen“

Staatsopernchef Dominique Meyer über die aktuelle Krise seiner Institution – den Skandal an der Ballettakademie.

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INTERVIEW: STEFAN GRISSEMANN

profil: Die Vorwürfe gegen das an Ihrer Ballettschule ausbildende Personal weiten sich aus: Da war offenkundig nicht nur eine sadistische Einzeltäterin am Werk – es muss Beschimpfungen, Disziplinierungsmaßnahmen und körperliche Übergriffe am laufenden Band gegeben haben. Müsste man die Ballettakademie nicht ganz neu aufstellen? Meyer: Nein. Ich will erst alles studieren, alle Vorwürfe kennen – bis ins letzte Detail. Vorher werde ich keine allgemeinen Maßnahmen setzen, die anderen gegenüber ungerecht sein könnten. Tatsächlich sind die Vorwürfe sehr schwer; wenn das alles wirklich stimmt, werden wir die Konsequenzen ziehen.

profil: Wie groß ist der Stab an Lehrern und Lehrerinnen denn? Meyer: Es sind 15 Personen, die an der Ballettakademie ausbilden.

profil: Abgesehen von Akademie-Geschäftsführerin Simona Noja und Ballettchef Manuel Legris? Meyer: Ja. 15 Menschen verteilen sich auf verschiedene Klassen und Unterrichtsfächer.

profil: Wieso nehmen Sie eigentlich Manuel Legris nicht in die Verantwortung? Er ist künstlerischer Leiter der Ballettakademie, er müsste von den Missständen doch gewusst haben. Meyer: Er ist natürlich vor allem ein Künstler, der sich mit seiner kreativen Arbeit zu beschäftigen hat. Und er hat gesehen, dass die Ergebnisse der Ballettakademie sehr gut waren, dass er jedes Jahr Absolventinnen und Absolventen in die Compagnie übernehmen konnte. Die Zahlen sind hervorragend: 40 Prozent unsres gegenwärtigen Ballettensembles kommt aus der Akademie; als wir anfingen, waren es nur 20 Prozent. Ich glaube schon, dass Legris die Akademie gut kennt, aber er ist natürlich im Unterricht kaum anwesend. Wenn ich oder Legris eine der Klassen besuche, verhalten sich natürlich alle besonders korrekt.

Ich schicke keine Leute weg, deren Schuld nicht bewiesen ist.

profil: Sie glauben Legris also, dass er von den alarmierenden Zuständen nichts wusste? Meyer: Die meisten Vorwürfe, die in den letzten Tagen publik wurden, waren ihm, genauso wie Frau Noja und mir, nicht bekannt.

profil: Sie versuchen die Hintergründe der Affäre zu recherchieren, aber auf Führungsebene scheint das keinerlei Konsequenzen zu haben. Sie halten an Simona Noja ebenso fest wie an Legris? Meyer: Zunächst habe ich ganz klar gesagt, dass wir alles bis ins kleinste Detail aufklären wollen – auch die Verantwortungen. Aber ich schicke keine Leute weg, deren Schuld nicht bewiesen ist. Ich untersuche diese Sache, und wenn ich alle Beweisstücke in der Hand habe, werde ich meine Entscheidung treffen. In den beiden Fällen, die mich selbst erreicht haben – die russische Lehrerin und der mutmaßlich sexuell übergriffige Lehrer –, habe ich sofort gehandelt und die Betreffenden suspendiert. Außerdem halte ich es für sehr wichtig, die über 100 Akademie-Studenten nicht im Stich zu lassen, die durch die Ereignisse und Medienberichte der letzten Tage sehr verunsichert sind. Und Frau Noja hat selbst die achte Klasse von der suspendierten Lehrerin übernommen, begleitet sie und führt sie zum Abschluss – die Mädchen sind sehr glücklich darüber! Das nenne ich Verantwortung übernehmen.

profil: Im Fall der Lehrerin R. gab es jahrelang nur Verwarnungen und Abmahnungen. Meyer: Aber als ich erfahren habe, dass die Grenzüberschreitungen auch ins Körperliche gingen, zögerte ich keine Sekunde.

profil: Ist jene Balletterziehung, die man an der Staatsoper betreibt und auch braucht, ohne Drill und Disziplinierungsmaßnahmen überhaupt möglich? Meyer: Selbstverständlich. Daran glaube ich fest. Aber natürlich wird die Härte des Ballettbetriebs oft unterschätzt. Der Druck ist hoch.

Wie drastisch, wie körperlich diese Übergriffe sich tatsächlich abgespielt haben, erfuhr ich erst vor wenigen Wochen.

profil: Und der Druck lastet zu einem Gutteil auf den Körpern der Auszubildenden. Da darf kein Gramm zu viel sein, das kann – neben allen physischen Beeinträchtigungen – auch zu psychischen Schäden führen. Meyer: In dieser Hinsicht sind wir leider, auch wenn wir Workshops dazu angeboten haben, noch im Mittelalter. Das muss, wie bei Hochleistungssportlern, wissenschaftlich ergründet und psychologisch begleitet werden.

profil: Wann genau wurden Sie über die Missstände und Übergriffe informiert? Meyer: Im Dezember 2018. Aber wie drastisch, wie körperlich diese Übergriffe sich tatsächlich abgespielt haben, erfuhr ich erst vor wenigen Wochen. Denn viele hatten Angst, die Probleme zu melden, anderen fällt erst jetzt, im Zuge der Berichterstattung ein, was sich vor Jahren schon ereignet hat. Wir haben in Zusammenarbeit mit der „Möwe“ nun eine Telefonnummer eingerichtet, über die man Hilfe bekommen kann, nach Ostern werden wir psychologische Betreuung in der Schule anbieten.

profil: Haben Sie sich letzthin nicht gewünscht, nur noch für die Opernbelange, nicht mehr für die Ballettabteilung zuständig sein zu müssen? Meyer: Nein, das Ballett ist Teil meiner Arbeit und meiner Organisation. Es liegt mir sehr am Herzen. Man darf ja nicht vergessen, dass ich unser Ballett neu aufgebaut habe. Inzwischen haben die Ballettabende 99,88 Prozent Auslastung, mehr noch als das Opernprogramm selbst. Die Leute denken, dass der Operndirektor hauptsächlich Opernspezialist sei. Ich habe mich mein Leben lang mit dem Tanz beschäftigt, war 14 Jahre lang Präsident der wichtigsten modernen Ballettinstitution Frankreichs. Ich war Chef der Pariser Oper, wo die größte Ballettabteilung der westlichen Welt arbeitet. Ich persönlich empfinde die Ereignisse an der Akademie als eine Katastrophe.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.