Kino

Trouble in Barbieland: Die Rückkehr der Kunststoffprinzessin

Die Marketingabteilungen der Unterhaltungskonzerne haben Großes geleistet: Die ganze Welt spricht von „Barbie“, freut sich auf High-Concept-Sommer-Entertainment. Tatsächlich hat der Film aber neben blendendem Pink und selbstreflexiven Pointen auch Existenzphilosophie und Feminismus im Angebot.

Drucken

Schriftgröße

Rosa sei ausverkauft, hieß es vor wenigen Wochen in den Nachrichten. Also: weltweit ausverkauft. Man hatte die Nachricht zunächst für einen Scherz gehalten, bis klar wurde, dass sie ernst gemeint war. Eine Farbe? Wird knapp? Weil? Nun ja: weil sie plötzlich so hip wurde, dass Malereibedarfshersteller und Textilunternehmen mit dem Produzieren nicht mehr nachkamen. Schuld daran trug natürlich der Film „Barbie“, der mit Set-Fotos, Trailer und Teaser gierig seine Tentakel in Richtung Endverbraucher auswarf. Barbie, der Liebling der Boomer, das „umstrittene“ Spielzeug der nachfolgenden Generationen, das Retro-Toy des Kalten Krieges, wer kennt sie nicht? Beatles, Jesus, Coca-Cola, solchen Ikonen kann die Kunststoffprinzessin locker das Wasser reichen.  

Vor 36 Jahren hatte der junge kalifornische Filmemacher Todd Haynes die subversive Idee, seine filmische Rekapitulation des Lebens und Sterbens einer Seventies-Soft-Rock-Legende („Superstar: The Karen Carpenter Story“) mit Barbie-Puppen zu besetzen – und mit Carpenters-Musik auszustatten, deren teure Nutzungsrechte er allerdings nicht besaß. Eine Gerichtsverfügung machte das Werk umgehend illegal, es darf bis heute nicht öffentlich vorgeführt werden, führt sein Schattendasein jedoch in Form analoger und digitaler Raubkopien weiter. Der Einsatz der unrealistisch schlanken, stets bestgelaunten Barbie-Puppen in einem Drama, das um den frühen Tod einer anorektischen Musikerin kreist, wirkte gespenstisch und hatte, wichtiger noch, seine eigene Logik.  

Nun also taucht Barbie neuerlich als Protagonistin eines amerikanischen Albtraums auf: Greta Gerwig als Regisseurin und ihr Partner Noah Baumbach als ihr Ko-Autor schreiben die Geschichte und Wirkung der notorisch weiblichkeitsnormierenden Puppe um. Die „nicht-industrielle“ Intelligenz, die das Indie-Arthouse-Duo Gerwig/Baumbach einbringt, ist spürbar und rar in Hollywoods Blockbuster-Gewerbe. „Barbie“ bietet neben dem absehbaren Farb-, Musik- und Comedy-Spektakel stark existenzialistisch-feministische Obertöne: Die verstörte Titelheldin bricht mit Ken aus Barbieland aus, tritt ihre Reise aus der idyllisch-platonischen Spielzeug-Binnenwelt in den menschlichen Außenraum an, wo Sexismus, Gewalt und Depression herrschen.

Ein wenig albern geht es los, mit der evolutionären Urszene des modernen Puppendesigns, mit einer Kubrick-Hommage, in der Babypuppen zerschlagende Kleinkinder, die klassische Musik aus „2001“ (Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“) und eine in kosmischer Zeitlupe in den Himmel geworfene Barbie auftreten. Der 1945 gegründete US-Spielzeugkonzern Mattel brachte 1959 die erste Barbie in den Handel, die tatsächlich ein Novum darstellte: eine an kleine Mädchen gerichtete Puppe, die nicht mehr Babys darstellte, statt der kindlichen Mutterrolle also eher das künftige Selbstbild heranwachsender Mädchen forcierte. Das Geschäft mit der Idealfigur hat sich als stabil erwiesen, mehr als eine Milliarde Puppen wurden in den vergangenen sechs Jahrzehnten abgesetzt.

Hauptdarstellerin Margot Robbie, die den Film auch produziert hat, macht ihre Sache als „Stereotypical Barbie“, die ihr Traumleben im Puppentraumhaus mit ihren Barbie-Traumfreundinnen im Traumdauerfrohsinn plötzlich durch Todesgedanken und Cellulite-Visionen bedroht sieht, bestens; der einseitig verliebte Ken, der verzweifelt ihre Nähe sucht, entdeckt auf großer Reise durch die wirkliche Welt die Vorzüge des Patriarchats: Ein blondierter Ryan Gosling stiehlt mit herzhaft selbstironischem Overacting, sich vom traurigen Neurotiker kurzfristig in einen gönnerhaften Chauvinisten verwandelnd, etliche Szenen, obwohl ihm Margot Robbie und Will Ferrell (als Mattel-CEO) in Sachen Komödie durchaus ebenbürtig sind.

Sogar das Logo des Unternehmens Warner Bros. erscheint barbiefiziert auf der Leinwand: pretty in pink. Der globale Erfolg dieses ebenso publikumsfreundlichen wie wokeness-imprägnierten Films scheint kaum aufzuhalten zu sein. Ironiker sprechen bereits von einem „Mattel Cinematic Universe“, analog zum ungleich berühmteren Marvei-Filmuniversum. Natürlich ist „Barbie“ (mehr noch als unlängst das Sportschuh-Drama „Air“) ein gigantisches Stück Product-Placement, aber Gerwig und Baumbach bringen ihre humanistischen Botschaften unmissverständlich (und mit erstaunlichem Witz) über die Rampe: Barbie soll als Marke nun für unumschränkte Diversity stehen, Schönheit ist keine fixe Kategorie – und ein Matriarchat, das über die Unsicherheit der Männer nachsichtig hinwegsieht und mit grundlegender Menschenfreundlichkeit herrscht, ist allen anderen Regierungsformen naturgemäß vorzuziehen.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.