Sofia Coppola am Set

"Die Verführten": Sofia Coppolas Remake eines bizarren Horror-Westerns

US-Regisseurin Sofia Coppola sorgt für Kontroversen, dabei will sie alles nur richtig machen. Sie hat ein altes Sexdrama neu verfilmt - und entschärft.

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Eine gewisse Leidenschaftslosigkeit ist den Inszenierungen der New Yorker Filmemacherin Sofia Coppola eigen - interessanterweise auch dort, wo sie ganz beharrlich von Erregungszuständen berichten will. Coppolas lakonischer Stil kann zu erstklassigen Resultaten führen, wie die heitere Japonaiserie "Lost in Translation“ (2003) beweist, ihr zweiter Film, für dessen Drehbuch sie einen Oscar erhielt. Ihr Phlegma kann aber auch, wenn es weniger gut läuft, eher absonderlich erscheinen - die charakteristisch vage betitelte Hollywood-Etüde "Somewhere“ (2010), die leere Ennui-Studie "The Bling Ring“ (2013) oder der postmoderne Pop-Zirkus in "Marie Antoinette“ (2006) zeugen davon. Coppola malt Milieus nach, dringt in Hipster-Lebensstile vor, zeichnet Atmosphären. Sie lacht selbst darüber, dass es so etwas wie Erzählungen in ihren Filmen eigentlich nicht gebe.

Abhängig will Sofia Coppola, 46, nicht sein. Sie schreibt und produziert ihre Filme selbst, von den Hollywood-Studios hält sie sich fern. Ihre nunmehr sechste Arbeit, für die sie in Cannes vor wenigen Wochen den Regiepreis erhielt, heißt "The Beguiled“; sie hat überraschenderweise eine Erzählung, und sie ist ihr erster Genrefilm - ein milder Horror-Western, ein Southern Gothic. Darüber hinaus ist "The Beguiled“ auch ein Historienfilm - und ein Remake: die Wiederaufnahme eines Kinospektakels von 1971, in dem zwei harte Kerle - Regisseur Don Siegel und Hauptdarsteller Clint Eastwood - einen Sixties-Roman von Thomas P. Cullinan bearbeiteten, der um Sex und Krieg kreiste, um Geschlechterkampf und Rassismus.

Die Story ist simpel: Ein schwer verwundeter Soldat der Union wird während des tobenden Sezessionskriegs im Feindesland, im heißen Süden, von einer Schülerin gefunden. Das Mädchen bringt den Mann in das Internat, das sie mit einer Handvoll Genossinnen verschiedenen Alters bewohnt; die Männer sind im Krieg, die Frauen allein. Die Chefin beschließt, den gut aussehenden Verletzten gesund zu pflegen, kündigt aber an, ihn anschließend an die Südstaatentruppen auszuliefern. Der unwillkommene Gast beginnt vom Krankenbett aus, sich den Mädchen und Frauen erotisch zu nähern, verstrickt sich aber sehr bald in den wachsenden Konflikten um Macht und Anspruch. Die Situation eskaliert.

Farrell statt Eastwood

"The Beguiled“ - eigentlich "Die Betörten“ oder auch "Die Getäuschten“ - heißt in deutscher Fassung nun "Die Verführten“ (die Synchronfassung des Originals nannte man einst bloß "Betrogen“). Der Ire Colin Farrell tritt statt seinerzeit Clint Eastwood als malader Don Juan in Szene, als Pensionatschefin löst Nicole Kidman die sehr viel weniger anmutige, aber denkwürdigere Geraldine Page ab. Farrell sei ein thinking woman’s hunk, hat die Regisseurin erklärt - der Testosteronbomber für die denkende Frau. Ganz löst Farrell diesen Anspruch nicht ein; man nimmt ihm den suggerierten Machismo, das Ungezähmte eines mit sexuellen Mitteln um sein Leben Kämpfenden nicht ab.

Eigentlich habe sie nie ein Remake drehen wollen, sagt Sofia Coppola, aber der Siegel-Film blieb ihr im Gedächtnis; sie habe ihn "umdrehen“, aus weiblicher Perspektive noch einmal erzählen wollen. Das klingt schön, ist dem Ergebnis aber nicht anzumerken. Schon das Original nimmt eindeutig die Blickpunkte der handelnden Frauen wahr, und Coppola hat manche Szenen und Dialoge bis ins Detail schlicht wiederholt. Die wenigen inhaltlichen Veränderungen, die sie vorgenommen hat, lassen tiefer in die Psyche einer Künstlerin blicken, die eher den politischen und moralischen Konsens sucht als die Auseinandersetzung mit den Schmerzzentren ihrer bürgerlichen Welt. Nicht nur verzichtete sie auf das inzestuöse Verhältnis, das die gestrenge Schulleiterin mit ihrem Bruder unterhielt, auch die - von Mae Mercer souverän dargestellte - schwarze Haushälterin, die in der Vorlage eine entscheidende Rolle spielte und dringende politische Fragen zu Amerikas rassistischer Gesellschaft aufwarf, wurde aus dem Script gestrichen, als wäre dieser Aspekt heute nicht mehr aktuell. In US-Medien provozierte Coppolas "Weißwaschung“ vehemente Kritik; die Attackierte verteidigte sich mit dem Argument, dass sie das Thema der Sklaverei nicht auf die leichte Schulter nehmen, es nicht über eine Nebenfigur abhandeln wollte. Aber es der Einfachheit halber totzuschweigen - und die einzige schwarze Figur aus Feigheit zu eliminieren -, ist eben auch keine kluge Lösung.

Ästhetik eines Parfümwerbespots

Zuletzt scheitert Coppolas "The Beguiled“-Version vor allem ästhetisch: Während Siegels Film ein raubeiniges, von verrohten Frauen und selbstgerechten Männern getragenes Antikriegs-Pamphlet war, bietet Coppolas Re-Lektüre bloß malerische Kerzenscheinbilder, die mit allgemeinen Betrachtungen zu weiblichem Begehren und männlicher Anmaßung garniert sind: eine weichgezeichnete, impressionistische Satire des Begehrens, die einem Parfümwerbespot bisweilen ähnlicher sieht als der geplanten tragikomischen Abhandlung von einem Männerkrieg, dessen Brutalität sich bis in die Frauenrollenspiele zieht.

Dabei trägt Sofia Coppola die Geschichte des New Hollywood buchstäblich in den Genen: Als Tochter des Regiegiganten Francis Ford und der Dokumentaristin Eleanor Coppola tauchte sie schon als kleines Kind in den Filmen ihres Vaters auf, absolvierte in den 1980er-Jahren größere Nebenrollen in dessen Werken, bis sie nach den abschätzigen Kommentaren zu ihrer Performance als Mary Corleone in "Der Pate 3“ (1990) das Schauspielgewerbe hinter sich ließ und sich der Regie zuwandte. Der Coppola-Klan ist eine veritable Kino-Dynastie: Ihr Bruder Roman arbeitet als Produzent und Drehbuchautor, und sogar ihre Nichte Gia inszeniert mittlerweile Filme. Es gehört zu den Launen der Gegenwartskinoszene, dass die jüngeren Regiearbeiten ihres Vaters, der fast alle Werke Sofia Coppolas koproduziert hat (nicht jedoch das jüngste), im Filmbetrieb inzwischen deutlich weniger sichtbar sind als ihre eigenen.

Was wohl auch daran liegt, dass die mit Phoenix-Sänger Thomas Mars verheiratete Regisseurin ihre Filme gerne mit populären Interessensfeldern wie Celebrity-Kultur, Sex und Mode verschneidet - und ihre Karriere mit entschieden weiblichem Blick vorantreibt: Frauenensembles dominieren Sofia Coppolas Inszenierungen oft, bereits das viel versprechende, 1999 erschienene Debüt, die Eugenides-Adaption "The Virgin Suicides“ kreiste um fünf mysteriöse Schwestern. Kirsten Dunst, die seit damals mit der Regisseurin arbeitet, auch wenn sie als Marie Antoinette arg fehlbesetzt erschien, ist auch in "The Beguiled“ zu sehen, an der Seite von Elle Fanning, die - damals noch als Kind - schon in "Somewhere“ auftrat. Es ist dann aber doch die blutbeschmierte, ihre Befehle bellende Nicole Kidman, die - eine Knochensäge in der Hand - diesen Film gegen Ende hin für ein paar Augenblicke aus der Apathie reißt.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.