Der Wiener Pop-Manager Stefan Redelsteiner hat Wanda groß gemacht, den Nino aus Wien und Voodoo Jürgens entdeckt und irgendwie auch Stefanie Sargnagel. Der Erfolg war gigantisch – aber dann auch wieder vorbei. Die Weisheit ist geblieben. Höchste Zeit für eine Biografie.
Stefan Redelsteiners Lehr- und Wandajahre beginnen im Heinz-Nittel-Hof, einer städtischen Wohnanlage an der Brünner Straße im Wiener Flächenbezirk Floridsdorf. Die Gegend hat heute einen wohlig rauen Charme, in den 1980er-Jahren, in denen diese Geschichte anfängt, war der Charme noch deutlich geringer beziehungsweise rauer. Leicht zugespitzt: Hooligan-Banden zogen um die Häuser, die von diktatorischen Hausmeistern bewacht und von Tranklern bevölkert wurden.
Menschen, die damals im Heinz-Nittel-Hof lebten, mögen diese Schilderung verfälschend finden; Stefan Redelsteiner, der hier aufgewachsen ist, sieht es ganz realistisch: Unter solchen Umständen kann man schon einiges fürs Leben lernen.
Zum Beispiel: Musikmanager zu sein.
Dieses Berufsbild ist ja schon einmal ganz grundsätzlich von Mythen verklebt. Niemand weiß genau, was so jemand macht, und kaum einer, der es selber macht, kann darüber sinnstiftend Auskunft geben: Soll ein guter Pop-Manager seinen Künstlern in Impresario-Manier einen Sound und Style überstülpen und sie damit in die Charts schicken? Soll er sie lieber, ganz guter Hoffnung, ihr eigenes Ding machen lassen? Oder soll er zynisch agieren und dem Publikum einfach den Schwachsinn servieren, auf den es offenbar wartet?
Stefan Redelsteiner, 42, Musikmanager aus Wien-Floridsdorf, hat über diese Fragen sehr viel nachgedacht, überwiegend hat er es hier gemacht: In seiner Wohnung im 5. Bezirk, wo er seit gut zehn Jahren lebt. Klassischer Siebzigerjahre-Schick, gepolsterte Sitzecke in Fliederbunt, helle Einbaukästen. Glamour sieht anders aus, aber er schimmert doch durch: Über der Sitzecke hängen drei gerahmte Platin-Schallplatten – verliehen an Herrn Stefan Redelsteiner für die zigtausendfach verkauften Alben „Amore“ und „Bussi“ der Wiener Band Wanda.
Die Verleihung liegt schon länger zurück, zur Band pflegt der Manager keinen Kontakt mehr. Lange, traurige Geschichte. Aber es lohnt sich, sie zu erzählen.
Eine Art Guru
Also empfängt Redelsteiner zum Interview im Homeoffice, er ist heute ortsgebunden, weil das Lieferfenster für die neue Waschmaschine sehr großzügig bemessen wurde („zwischen 9 und 17 Uhr“). Der Manager schenkt Schwarztee mit Zitrone ein und gibt seine Einschätzung zur gerade erst ausgebrochenen „JJ-Affäre“ kund: „Unabhängig davon, dass ich ihn nicht für einen großen Denker halte und seine Aussage nicht unterschreiben würde, bedaure ich es, dass Popstars heute so gar keinen Blödsinn mehr von sich geben dürfen.“
Redelsteiner behält sich seinerseits das Recht vor, alles Mögliche von sich zu geben. Er hat es sich redlich verdient. Vor knapp zwölf Jahren hat er in einem Proberaum im 2. Bezirk Wanda entdeckt, die wohl erfolgreichste, jedenfalls prägende österreichische Band der 2010er-Jahre, wurde damit selbst zu einer Art Guru der heimischen Popbranche – wobei er gern zugibt, dass man kein Genie sein musste, um zu erkennen, dass aus diesen fünf Burschen und ihren schweißnassen Rock-Hadern ein Phänomen werden würde. Auch schon bei seinem ersten Coup, der Entdeckung des Nino aus Wien, hatte Redelsteiner, der Selfmade-Musikmanager aus Floridsdorf, nach eigenem Bekunden keine besonders grandiose Leistung vollbracht. Vielmehr habe er sich schon damals gewundert, dass niemand sonst die Starqualitäten dieses schrullig-genialen Liedermachers aus Hirschstetten sehen konnte, mit dem ihn freilich eine gewisse transdanubische Nähe verband („Nino lebte auf der einen, ich auf der anderen Seite der großen Mülldeponie von Donaustadt. Seine Seite war die schöne Seite.“).
Redelsteiner erkannte jedenfalls Ninos Qualitäten, und er sah auch die Notwendigkeit, sie in Quantitäten umzusetzen. Stefan Redelsteiner ist ein ergebnis- und erfolgsorientierter Mensch, die traditionelle Selbstgenügsamkeit der Indie-Szene kommt ihm scheinheilig vor, und er macht daraus auch kein Geheimnis, weshalb er in der Wiener Szene als schwieriger Charakter gilt. Er hadert aber nicht mit diesem Image, so viel Selbstbewusstsein kann man ruhig haben.
„Ich gebe gern zu, dass zu meinem Erfolg viel Glück und gutes Timing beigetragen haben. Aber vielleicht ist es ja genau das, was manche Leute so neidisch macht: wenn man die scheinbare Arroganz besitzt, zuzugeben, dass man halt Glück hatte. Ich glaube, die Leute könnten es fast noch besser ertragen, wenn ich sagen würde: Ich kann das einfach gut, das ist ein Talent von mir, ich bin ein Meister im Entdecken von Bands.“
Etwas detaillierter erzählt Redelsteiner die Geschichte seines Glücks in dem neuen Buch „Der Problembär“. Verfasst vom Popkritiker des „Falter“ Gerhard Stöger, war es ursprünglich als eine Art Oral-History-Beitrag zur jüngeren Wiener Popgeschichte gedacht, aber weil Redelsteiner – dessen Label Problembär Records heißt, daher der Titel – in dieser Geschichte eine ziemlich zentrale Rolle einnimmt, wurde er schließlich zur Hauptfigur dieses Buches und dieses zur frühen Biografie eines 42-Jährigen. An Storys hat er aber für ein Leben genug, was auch damit zusammenhängt, dass Redelsteiner mit Problembär Records nicht nur dem Nino aus Wien und Wanda, sondern auch Voodoo Jürgens zum Durchbruch verholfen hat – und nicht zuletzt auch die ersten beiden Bücher der zukünftigen Rowohlt-Autorin Stefanie Sargnagel herausbrachte.
Insofern hat wohl niemand das jüngste Wiener Popwunder so sehr geprägt wie Stefan Redelsteiner. An dessen Höhepunkt – in den Jahren 2014 bis 2016 – galt Wien im deutschen Sprachraum als die spannendste Popstadt überhaupt, Wanda und Bilderbuch wurden die Oasis und Blur einer neuen, international renommierten Variante des Austropop, in der Beisl-Romantik und Glamrock Bruderschaft tranken und die später von Projekten wie Seiler & Speer oder Pizzera & Jaus in die Länge gezogen werden sollte.
Manchester-Kapitalismus
Aufgewachsen im sozial herausgeforderten Heinz-Nittel-Hof als Scheidungskind und Einzelgänger, dessen Interesse am Showbusiness von den elterlichen Beatles-Platten erweckt wurde und an Papas Lebensweisheit wuchs, dass man in diesem Geschäft schon gut Geld verdienen könne, hat Stefan Redelsteiner seine Weltsicht an den frühen Oasis geformt: Dem Edelproletentum der Brüder aus Manchester fühlte sich der Sohn eines (allzu) lebenslustigen Magistratsbeamten und Led-Zeppelin-Fans in seiner frühen Zeit stark verbunden: „Es ging um dieses Hustler-Dasein: Wir kommen aus der Arbeiterklasse und müssen mit der Musik auch Geld verdienen, weil wir nichts erben werden und auch keinen Trust-Fund haben.“
Ein starkes Klassenbewusstsein prägt bis heute seine Distanz zur heimischen, in seiner Wahrnehmung bürgerlich-studentischen Musikszene. „Der Problembär“, das Buch, ist entsprechend durchzogen von starker Meinung und gnadenloser Ehrlichkeit – gegenüber dem Wiener Indie-Business („verlogen“), gegenüber Konkurrenz-Labels („adrette Schnösel, die die Anmutung von BWL-Studenten hatten“) und lokalen Bands („Tocotronic für ganz Arme“), aber auch (ehemaligen) Freunden wie Marco Wanda („ein Schönbrunner Wienerisch sprechender Landstreicher mit Altbauwohnung im Nobelgrätzel“).
Warum ist heute alles nur noch steriles Business? Ja, wegen Leuten wie mir.
Stefan Redelsteiner
Redelsteiner selbst sieht das alles nicht als Provokation: „Es wäre sicher möglich gewesen, ein komplett gemeines Buch zu schreiben. Aber eigentlich versuche ich schon, jedem mit Respekt zu begegnen und auch die Sichtweise des anderen zu verstehen. Es gibt halt zwei, drei Menschen, zu denen mir sehr wenige positive Dinge eingefallen sind.“
Das betrifft insbesondere die Passagen, in denen Redelsteiner seine Entfremdung von der Band Wanda erzählt. Nach dem Zauber der ersten Zeit, dem real existierenden Rockstartum, brachen innerhalb der Gruppe, aber auch zwischen Musikern und Management bald deutliche Differenzen aus, die sich – unter dem Einfluss von wachsendem Erfolg und eskalierendem Drogenkonsum – schnell steigern sollten. Unter dem Eindruck von Majorlabel-Deals, Doppelplatin und ausverkauften Eventhallen ging das eigentlich sehr leistungsfähige Konstrukt Wanda fast in die Knie und rettete sich am Ende, nach kaum drei gemeinsamen Jahren, durch den Hinauswurf des eigenen Managers. Die Scheidung verlief nicht ganz einvernehmlich, die Tantiemen, an denen Problembär Records zuvor beteiligt war, wurden mangels rechtsgültiger Verträge weitgehend umverteilt. „In meiner Naivität dachte ich damals noch, dass das meine Freunde sind und man gegen Freunde doch nicht vor Gericht zieht“, schreibt Redelsteiner. Heute ist er klüger.
Dass sich ein Wunder wie Wanda in seinem Leben noch einmal ereignen wird, schätzt Redelsteiner ebenso realistisch ein. „Meine letzte wirkliche Entdeckung war Voodoo Jürgens. Ich glaube nicht, dass in der Hinsicht noch viel kommt.“ Das liegt wohl teils an ihm selbst, an geänderten Lebensumständen, aber auch am Zustand einer Branche, die sich lieber an Algorithmen orientiert, als mit Originalität zu punkten. Den aktuellen Stand der österreichischen Underground-Musikszene sieht Stefan Redelsteiner, der inzwischen auch Schauspieler und Soundtrack-Komponisten managt, ganz nüchtern: „Ich bin nicht besonders nostalgisch, aber natürlich konnte man 2007 noch in irgendeiner Hütte in Wien ein paar Euro Eintritt zahlen und sein eigenes Dosenbier mitnehmen und ein wahnsinnig aufregendes Konzert erleben. Und warum ist heute alles nur noch steriles Business? Ja, wegen Leuten wie mir.“
Die Biografie
Gerhard Stöger: Der Problembär. Falter Verlag / Redelsteiner Dahimène Edition. 304 S., EUR 24,90 Releaseparty am 4. Juni, 19.30 Uhr, rhiz