Angelika Hager

Angelika Hager Die Anti-Smiley-Revolution

Die Anti-Smiley-Revolution

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Es könnte einem schlecht vor Glück werden.

Betrachtet man Facebook gleich einer Lupe für den emotionalen Zustand dieser Gesellschaft, versinkt die Welt im Terror des positiven Denkens. Im Sekundentakt posten Freunde, die man nie gesehen hat, Sonnenaufgänge, tollende Welpen, schlafende Katzen, pralle Rosenblüten und andere Idylle-Szenarien in Kombination mit Stammbuchsprüchen wie "Das Glück liegt oft in den kleinen Dingen“ oder "Wenn du der Welt ein Lächeln schenkst, dann lächelt die Welt mit dir“. Kalender-Weise wie Marie von Ebner-Eschenbach ("Sich glücklich fühlen können auch ohne Glück - das ist das Glück“), Paolo Coelho ("Nur wer glücklich ist, kann Glück verbreiten“) und Marc Aurel ("Das Glück im Leben hängt von den guten Gedanken ab, die man hat“) werden als dazu passende Zitatenlieferanten bis zum Abwinken bemüht. Auf Amazon finden sich unter dem Kennwort "Glücksratgeber“ an die 47.000 Einträge; Buchkäufer veröffentlichen begleitend Best-of-Listen ihrer Lieblingsglücksspender. Kaum ein privates SMS mehr, das ohne die "Emoticon“-Beigabe eines Zwinkersmileys ins Funknetz flattert.

Inmitten dieser implodierenden Glücks-und-gut-drauf-sein-ist-alles-Industrie fühlt sich der für sein Schicksal durchschnittlich begabte Mensch wie ein totaler Loser und komplettes Versager-Würstchen. Prozac und andere Launemacher müssen her, um den Wundschmerz der eigenen Unzulänglichkeit zu stillen. Es funktioniert oft nicht - Depressionen, Angststörungen, ein Energielevel auf Nullniveau und Nervosität sind die miesen Nebenwirkungen im Wettbewerb um das Statussymbol des tadelfreisten Seelenheils.

Esoterik-Trips in Form von Engelsgeflüster, Edelstein-Streicheln und Ausdrucks-Trommelseminaren sind die chemiefreien Drogen für jene, die ihr Schicksal außer Haus geben wollen, weil sie sich mit der "Jeder ist seines Glückes Schmied“-Vorgabe restlos überfordert fühlen. Es entstresst einfach, höheren Mächten in Form von Engeln, Waldgeistern und dem Universum den Job der optimalen Lebensgestaltung umzuhängen. Die australische TV-Produzentin Rhonda Byrne verklickerte dem globalen Dorf den Glauben, dass man durch Bittbriefe an das Universum reich, froh und attraktiv werden könne, und kreierte mit der begleitenden DVD zur Idee "The Secret“ ein millionenträchtiges Geschäftsmodell.

Die Dauersuche nach dem Nonstop-Paradies produziert aber Dauerstress und dementsprechend mehr erschöpfte Opfer als wegweisende Helden.

Jede Pervertierung eines Gedankens und einer Ideologie zieht auch eine Protestbewegung nach sich. Und deswegen steht jetzt Psychohygiene und gedankliche Bereinigung - was für ein Glück aber auch - in Form von mieser Stimmung auf dem Angebotsplan. Die amerikanische Journalistin und scharfe Kritikerin der "New Economy“ Barbara Ehrenreich machte vor zwei Jahren mit ihrer Buchpolemik "Smile or Die“ den Anfang. Initialzündung für ihren Rundumschlag auf die multimediale Optimismusmaschinerie gab ihre Brustkrebserkrankung. Als sie bei Selbsthilfeforen und -gruppen statt therapeutischer Ratschläge vor allem "diese kindischen rosa Schleifchen, Buntstifte und bonbonfarbenen Tagebücher“ in die Hand gedrückt bekommen hatte, die ihr Problem und die damit verbundenen Ängste verniedlichten und verharmlosten, wurde sie wütend. Und kanalisierte in Folge ihren Zorn gegen eine Gesellschaft, die die Angstfreiheit und den irrationalen Glauben, dass sich alles irgendwann zum Guten wenden müsse, zur ideologischen Prämisse erhoben hat.

Die aus diesem Sportsgeist entstandene Siegessicherheit macht Ehrenreich auch für den weltweiten ökonomischen Erdrutsch verantwortlich, der in der Testosteron- und Adrenalin-verseuchten Wall Street seinen Anfang genommen hatte. "Wir befanden uns jahrelang auf einer Dauerparty“, beschreibt ein ehemaliger Mitarbeiter der Skandalbank "Goldman Sachs“ die Broker-Stimmung in einer "arte“-Dokumentation. "Hätte irgendein Spielverderber gebrüllt ‚Klappt die Tische hoch, die Sause ist zu Ende!‘ wäre der zur Spaßbremse degradiert und gelyncht worden.“

Der deutsche Psychotherapeut Arnold Retzer hat jetzt dem positiven Denken mit seiner Streitschrift "Miese Stimmung“ (bei S. Fischer) insofern den Krieg erklärt, als dass dieser "Energielieferant“ auch die Gefahr von Verblödung, Blindheit und Kriminalisierung in sich trage. Hoffnung, die auf nichts zu begründen sei, hätte durchaus auch eine sehr destruktive Wirkung. "Dann hoffen wir uns zu Tode und fahren mit Vollgas an die Mauer.“

Die gesellschaftlichen Vorgaben von der größtmöglichen "Misserfolgsarmut sowie Schmerz- und Angstfreiheit“ hätten eine Industrie "von ratgebenden Dauergrinsern und Hirndopingdealern entstehen lassen, die menschliche Gefühlsregungen wie Trauer, Zorn, Ängstlichkeit und Verunsicherung von der emotionalen Farbkarte verbannt haben“. Dabei, so Retzer im profil-Gespräch, machten gerade der Schmerz, der Misserfolg und die Angst, die uns vor- und umsichtig werden lassen, überlebensfähig.

Das programmierte Unglück einer vom dauerhaften Glück besessenen Gesellschaft liegt darin, dass sie davon ausgeht, jener Status der euphorischen Wunschlosigkeit sei wie ein Supermarktartikel jederzeit abrufbar und verfügbar. Irritationen, Fehlermeldungen und zertrümmerte Erwartungen werden gegenwärtig allzu persönlich genommen, Unglück und miese Stimmung werden zu Selbstmanagement-Fehlern. Die narzisstische Kränkung nimmt in Folge epidemische Auswüchse an.

"Diese Krise rettet uns“, erklärte die Verhaltensforscherin Jane Goodall nach dem Crash 2009. "Sie normalisiert unsere Ansprüche.“ Der schmerzhaften Ernüchterung könnte also, im besten Fall, die Realitätsanpassung der Erwartungen folgen; die sanfte Anti-Smiley-Revolution könnte den notwendigen Paradigmenwechsel wohltuend beschleunigen.

Dass das Erleben von Leid, Niederlagen und Armut einem das Ticket in den Himmel sichert, war jahrhundertelang das erfolgreiche Marketing-Konzept der katholischen Kirche. Mit dem Einzug von Psycho-Gurus, Lifestyle-Priestern und Glücks-Coaches in unseren Alltag hofften wir, der Fremdbestimmung durch höhere Mächte zu entgehen. Doch es änderte sich de facto nur die Art der Verheißung: Statt ewigem Leben in Gottes Penthouse stand jetzt Nonstop-Glück auf allen irdischen Fronten auf dem Wunschzettel.

"Fuck Happiness!“ nennt die deutsch-österreichische Glücksforscherin Sonia Laszlo ihre demnächst erscheinende Polemik "wider die Tyrannei des Glücks“ und ermuntert dazu, "richtig unglücklich zu sein“, ohne dabei von schlechtem Gewissen geplagt zu werden und sich als Versager zu fühlen. Klingt banal, aber auch sehr erleichternd.

Mit diesem Zugang hat sich Woody Allen, der Schutzheilige aller Misanthropen und Hypochonder, immerhin eine Weltkarriere aufgebaut. "Es gibt ja auch wirklich keinen Grund, glücklich zu sein“, erklärte er bei einem profil-Gespräch in London. "Wir werden nämlich alle sterben, und irgendwann wird sich auch dieser Planet im Nichts auflösen. Unser Glück ist aber, dass wir das nicht mehr erleben müssen.“ Während er dieses Szenario des Schreckens skizziert, sieht der Mann erstaunlich zufrieden aus.