Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Perfekt gespart – Wirtschaft tot

Perfekt gespart – Wirtschaft tot

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Im Anfang war das Wort. Auch im Anfang großer Missverständnisse. Das Wort, das die derzeit größten Missverständnisse herausfordert, ist „sparen“. Voran deutsche Wirtschaftswissenschafter – und mit ihnen Angela Merkel – verstehen unter „sparen“, dass alle Staaten gezwungen werden müssen, ihre Ausgaben zu kürzen. Ich halte das, wie mein Kollege Georg Hoffmann-Ostenhof, für „kaputtsparen“.

Wenn ich staatliches Sparen an dieser Stelle mehrfach befürwortet habe, dann weil ich darunter etwas ganz anderes verstehe: Dass der Staat seine Leistungen dank besserer Technologie und besserer Planung billiger als bisher erbringt. Zwar gehört dazu auch das Streichen überflüssiger Leistungen – aber nur, um das ersparte Geld anderswo sinnvoller einzusetzen. Etwa: für U-Bahn-Bau statt für Bürokratie.

Dass der Staat seine Ausgaben in der aktuellen Wirtschaftslage insgesamt kürzen möge, entspringt einer falschen Diagnose und provoziert eine fehlerhafte Therapie.

Zur falschen Diagnose: Wirtschaftsfunktionäre geben vor (und Wirtschaftsjournalisten beten nach), dass die aktuelle Krise auf das „Ausufern des Sozialstaates“ zurückzuführen sei. Dazu Ziffern: Im Krisenland Spanien sanken die Ausgaben des Staates von 1995 bis 2007 von 44,4 auf 38,8 Prozent des BIP. In Österreich von 56,5 auf 48,4 Prozent. In der Euro­zone von 53,2 auf 46,1 Prozent. Wenn es also einen Zusammenhang zwischen Staatsausgaben und dem Ausbruch der Krise gibt, dann allenfalls den umgekehrten.

Anlass und Ursache der aktuellen Krise war – aus allen Statistiken durch einen „Knick“ klar ersichtlich – nicht das „Ausufern des Sozialstaates“, sondern der Ankauf desolater US-Wertpapiere durch Europas Banken, die – voran in Spanien – zusätzlich darunter litten, dass die Bevölkerung übermäßig aufgenommene Euro-Kredite nicht bedienen konnte. Erst nachdem diese Banken ab 2008 mit Steuermilliarden „gerettet“ werden mussten, sind die Staatsschulden aus dem Ruder gelaufen.

Dass Sparen à la Merkel die falsche Therapie ist, wird klar, sobald man einen Tatbestand anerkennt, der nicht auf Wirtschaftstheorien, sondern auf Mathematik beruht: Jeder Verkauf erfordert einen Einkauf – man kann nur so viel verkaufen, wie eingekauft wird.

Wenn Sparen in „weniger einkaufen“ (weniger nachfragen) besteht, kann das nach Adam Riese nur dazu führen, dass auch weniger verkauft wird. Wenn dieser Zustand länger andauert, nennt man ihn Rezession. Nachfrage kommt einerseits von Konsumenten sowie Unternehmen und andererseits vom Staat. Wenn der Staat seine Nachfrage in einer Situation zurückfährt –„spart“ –, in der die Nachfrage von Unternehmen und Konsumenten schwächelt, muss die Rezession besonders massiv ausfallen.

Betriebswirtschaft – und daraus resultiert das Verständnisproblem – unterscheidet sich hier prinzipiell von Makroökonomie: Ein Einzelner, der spart, kann damit reich werden – aber wenn viele oder gar alle sparen, muss es die Wirtschaft umbringen. Weil es – siehe oben – kein Verkaufen ohne Kaufen geben kann.

Nur einzelne Volkswirtschaften können reich werden, indem sie sparen: Deutschland zum Beispiel spart seit 15 Jahren Löhne, indem es sie nicht im Ausmaß der Produktivität erhöht. Das hat ihm Lohnstückkosten beschert, die um ein Viertel unter denen seiner schärfsten Konkurrenten liegen, dies ist die Ursache des deutschen Exportbooms.

Allerdings nur, weil die meisten anderen Volkswirtschaften der EU nicht wie Deutschland gehandelt haben, sondern ihre Löhne steigen ließen. Nur dank ihrer gestiegenen Kaufkraft hat es genügend Käufer für immer mehr deutsche ­Waren gegeben. Hätten alle Länder die Löhne eingefroren, wäre es zur ­Megakrise gekommen.

So haben die stagnierenden Löhne zuerst die Nachfrage ausgerechnet im reichen Deutschland stagnieren lassen. Geboomt hat sie ausgerechnet im armen Süden, voran ­Spanien, wo die Löhne weit stärker als die Produktivität ­gestiegen sind und die Banken freizügig absurde Kredite ­gewährten.

Als die Finanzkrise ganz Europa erfasste und das spanische (südliche) Paradoxon beendete, wurde die Fehlverteilung der Einkommen nicht korrigiert, sondern vertieft: Das allenthalben zur Bankenrettung benötigte Steuergeld wurde der Kaufkraft der Massen, statt dem Vermögen der Aktionäre, entzogen.

Überall in der EU – in Deutschland oder Österreich marginal, im Süden dramatisch – geht die private Nachfrage zurück: Unternehmen drosseln ihre Investitionen, und eine Bevölkerung, die, wie in Spanien, um ihre Existenz fürchtet, konsumiert nur das Nötigste. (Dass Chinesen oder Russen ihre Einkäufe in der EU etwas erhöhen, macht diesen Rückgang nicht wett.)

Wenn man die südlichen Staaten in dieser Situation eingebrochener privater Nachfrage dazu zwingt, die staatliche Nachfrage weiter zurückzufahren, und wenn alle anderen Staaten gemäß einem Austerity-Pakt ebenfalls sparen – wenn also rundum noch viel weniger eingekauft wird –, kann das nach Adam Riese nur dazu führen, dass auch noch viel ­weniger verkauft wird.

Voran im Süden – am Ende auch bei uns. Das ist die Rezession, mit der wir leben.

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