Von der Schädlichkeit staatlichen Sparens auf europäischer und österreichischer Ebene

Peter Michael Lingens: Selbstbeschädigung 2

Selbstbeschädigung 2

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Die Lehrerin, von der ich 2013 berichtet habe, dass sie zusammen mit einer Kollegin 32 Kinder unterrichtet, von denen nur vier Deutsch können, unterrichtet mittlerweile alleine – die Stunden für Zusatzlehrerinnen wurden drastisch verringert, weil der Staat sparen muss. Dass das die Leistungsfähigkeit der Generation, die Österreichs wirtschaftliche Zukunft bestimmt, massiv vermindert, wird dem hehren Sparziel untergeordnet.
Auch die Zahl der vom Staat bezahlten Stunden jener Altenpflegerin, über die ich 2013 berichtet habe, wurde reduziert: Sie verdient jetzt nicht einmal mehr 900 Euro netto, und natürlich haben auch ihre Pfleglinge weniger Betreuung. Auch Österreichs Kranke haben immer weniger Betreuung, denn immer mehr Ärzte wandern ab, weil der sparende Staat die Spitäler nicht ausreichend dotiert. Dass die spätere Reparatur der solcherart gefährdeten Volksgesundheit letztlich viel teurer kommen wird, wird dem hehren Sparziel untergeordnet. So wie ihm natürlich untergeordnet wird, dass das Bundesheer nicht einmal mehr imstande wäre, einen massiven Flüchtlingsstrom aus der Ukraine zu kontrollieren, geschweige denn den verfassungsmäßigen Aufgaben der „Landesverteidigung“ nachzukommen.
Sparen, sparen über alles.

Natürlich kann es auch keine Aufbesserung der Staatsfinanzen durch Vermögenssteuern geben, die „die Substanz“ jenes einen Prozent der Österreicher schmälerten, das 37 Prozent des Vermögens auf sich vereint – dafür bürgen Bundeswirtschaftskammer und ÖVP. Lieber schmälert man die Substanz der beschriebenen Schulen oder Spitäler. Beziehungsweise meiner Bekannten aus der Altenpflege, die jedes Monatsende nur mehr Brot isst, weil die sparende Gemeinde Wien die Mieten und die Gebühren für Strom und Wasser erhöhen musste, während „Beihilfen“ des Sparens wegen eingeschränkt werden.

Dennoch weiß WKÖ-Chef Christoph Leitl: Wenn der Staat nur „endlich sparte“, ist jede zusätzliche Vermögenssteuer (mit der man zum EU-Durchschnitt aufschlösse) überflüssig. „Doch leider geschieht das Gegenteil. Die Hydra der Bürokratie scheint alles zu überwuchern.“ (Leitl)Dass Österreich gemäß OECD-Daten mittlerweile einen der schlanksten Staaten der entwickelten Welt hat, nimmt er nicht zur Kenntnis. Genauso wenig die NEOS, denen ich meine Stimme gegeben habe, weil sie mir vergleichsweise denkfähig scheinen. Auch sie sind überzeugt, dass eine niedrige Staatsquote (laut Programm 40 Prozent des BIP) angestrebt werden muss.

Dass wirtschaftlich so erfolgreiche Staaten wie Schweden oder Dänemark oder eben auch Österreich Staatsquoten um und über 50 Prozent aufweisen, nehmen sie nicht zur Kenntnis. Und schon gar nicht den Umstand, dass der von Angela Merkel über alle Staaten Europas gestülpte Sparpakt das Wachstum der EU-Wirtschaft sukzessive von 2,5 auf 0,8 Prozent reduziert hat und es mittlerweile selbst in Deutschland abzuwürgen droht.

Ideologie ist durch empirische Fakten nicht aufzubrechen. Und dass der Staat „sparen“ im Sinne von „einsparen“ müsse, ist nichts anderes als Ideologie: Die unverdächtige Wirtschaftsuniversität St. Gallen ermittelte, dass es in der Vergangenheit keinerlei Zusammenhang zwischen Staatsquote und erfolgreichem Wirtschaften gab.

Den gibt es nur zwischen „Erfolg“ und einem „sparsamen Staat“, der die großen oder kleinen Ausgaben, die er tätigt, auf sparsame Weise abwickelt – keine überteuerten Skylinks baut, kein überflüssiges Heeresspital (oder überflüssige Gemeindespitäler) betreibt oder Millionen an Lobbyisten zahlt, die nicht wissen, wo ihre Leistung war.

Sparsamkeit des Staates ist eine Tugend. Einsparen staatlicher Leistungen – und damit natürlich auch staatlicher Abgaben – ist Mangel an Staatsverständnis.

Der Staat ist nämlich kein Betrieb, der Gewinne schreiben und Schulden vermeiden muss, sondern er hat die Aufgabe, die Strukturen bereitzustellen, die nötig sind, um das Leben seiner Bevölkerung wirtschaftlich und sozial erfolgreich zu gestalten.

Schulen, Universitäten, Spitäler, Verkehrswege, Verwaltungskörper, Gerichte, Polizei und Heer haben nicht die Aufgabe, Gewinne zu erwirtschaften oder zumindest Verluste zu vermeiden, sondern sind die Infrastruktur, die uns hochentwickeltes Wirtschaften überhaupt ermöglicht.
Selbstverständlich kostet es Geld, sie zu errichten und zu betreiben, und selbstverständlich soll dieses Geld für sich genommen sparsam ausgegeben werden. Aber in ­Panik zu geraten, weil sich ein funktionierender Staat – noch dazu in Zeiten anhaltend geringer Zinsen – mit 80 oder 100 Prozent seiner jährlichen Wertschöpfung verschuldet, ist absurd. Wenn man den Staat schon – verfehlter Weise – wie einen Betrieb beurteilt, wäre ein solcher Kredit durchaus tragbar. Und wenn man Staatsschulden wie bilanzielle Schulden betrachtet, dann ist ihnen das Staatsvermögen gegenüberzustellen: von den Spitälern und Gerichten übers Verkehrs- und Kanalnetz bis zur Staatsoper.

Dann ist Österreich hochweiß.

Es ist pure Selbstbeschädigung, diese staatliche Infrastruktur durch „Sparen“ verkommen zu lassen.

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