Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer 2011/2012

2011/2012

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Also die Jahreswende. Wir sind erlöst vom weihnachtlichen In-uns-Gehen. Wir dürfen stattdessen profan und kühl über das Leben räsonieren. Was war 2011? Gibt es Muster zu erkennen? Was ist folgerichtig von 2012 zu erwarten?

2011, das war ein Jahr der Krisen. Was für die Geschichtsbücher bleibt, sind: Euro, Fukushima, der Volksaufstand im arabischen Raum. Und sehen wir da ein Muster? Dieses: menschliche Inkompetenz bis in die höchsten Ämter, darüber hinaus allgegenwärtigen schlechten Charakter. Wer an entscheidungsstarke und weise Führungsfiguren geglaubt hat, wird das nach 2011 nicht mehr tun.

Der Euro. Er war das größte volkswirtschaftliche Experiment der Geschichte, getrieben von profitbewussten Unternehmern einerseits und einer Handvoll politischer Visionäre andererseits. Zehn Jahre nach seiner Einführung ist klar: Der Euro ist gescheitert. Mit Glück wird sich der Schaden für den Wohlstand der EU in Grenzen halten. Vielleicht auch nicht. Nach dieser Krise kommt entweder eine Rückkehr zu nationaler Geldpolitik oder – wahrscheinlicher – eine neue gemeinsame Währung, die nur noch den Namen des alten Euro trägt, aber völlig anderen Regeln ­gehorcht: zentrale Budgethoheit, eine EZB als politisches Instrument.

Dass so ein Experiment überhaupt in Erwägung gezogen wurde, ist im Rückblick ähnlich unglaublich wie die Tatsache, dass fast alle Ökonomen und Politiker die grundlegenden Konstruktionsfehler des Euro übersehen oder kleingeredet haben: unvereinbare Leistungsmerkmale der EU-Staaten unter dem Dach einer Währungsunion – und die stete ­Gefahr von fahrlässigem oder betrügerischem Schuldenmanagement einzelner Regierungen.

Bedeutet also: Die Koryphäen der Nationalökonomie und die klügsten Politiker Europas waren dumm oder Hasardeure, obwohl das gesamte wirtschaftliche Fundament Europas auf dem Spiel stand – und einige von ihnen waren Populisten bis tief in den Tatbestand der betrügerischen Krida.
Fukushima. Hier lässt sich der zuletzt formulierte Absatz in geringfügiger Abwandlung wieder verwenden: Die globalen Koryphäen von Nuklearphysik, Maschinenbau, Geologie und Statik sowie die klügsten Politiker der drittgrößten Industrienation der Welt waren dumm oder Hasardeure, obwohl das Leben von zig Millionen Japanern auf dem Spiel stand – und einige von ihnen waren Populisten und geldgierig bis tief in den Tatbestand der grob fahrlässigen Gemeingefährdung.

Das ist die treffende Beschreibung der Vorgänge rund um das japanische Atomkraftwerk Fukushima im März 2011. Einmal mehr haben hier menschliches Versagen und das Kleinreden von Gefahren eine gigantische Katastrophe verursacht, diesfalls einen GAU, der nicht bloß das ökonomische Fortkommen einer Unzahl von Menschen untergrub, sondern auch deren physisches Leben auslöschte und als Dauerfolge frühzeitig beenden wird.

Die mit Brief und Siegel verbürgte Sicherheit von Kernkraftwerken westlicher Bauart hat sich in Luft aufgelöst. Besser gesagt „hatte sich in Luft aufgelöst“: Nur zehn Monate nach Fukushima ist das Thema Reaktorsicherheit aus den Medien wieder verschwunden, die Atomkraft weltweit weiterhin Gegenwart und Zukunftshoffnung.

Schließlich der so genannte „arabische Frühling“ als drittes Großereignis des Jahres 2011. Hier liegt die Naivität schon in der Bezeichnung und die Dummheit somit in der Interpretation durch die Beobachter. Weder in Tunesien noch in Ägypten, noch in Libyen ist wenige Monate nach dem Sturz der korrupten und diktatorischen Regime eine nachhaltig demokratische Verfasstheit der Länder absehbar, wie sie im ersten (und zweiten) Überschwang von den Kommentatoren prophezeit wurde. In Syrien ist nichts Besseres zu erwarten. Vielmehr werden sich religiöse Fanatiker an die Spitze der Länder stellen oder brutale Proponenten alter und neuer Eliten. Und die neuen Machthaber werden vom Westen so wie die alten unterstützt werden, wenn das opportun erscheint.
Einmal mehr 2011: Naivität versus das Böse.

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