Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer

Rücktrittslos

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Die evangelische Bischöfin Margot Käßmann legte am Mittwoch der vergangenen Woche alle Ämter nieder. Die prominente Deutsche war mit 1,54 Promille Alkohol im Blut am Steuer ihres Dienstwagens erwischt worden, nachdem sie eine Ampel bei Rot überfahren hatte. „Meine Autorität ist unrettbar beschädigt“, erklärte sie, deshalb müsse sie diesen Schritt machen. Der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands, deren Vorsitzende sie war, hatte ihr zuvor das Vertrauen ausgesprochen. Niemand hatte den Rücktritt gefordert.

So ist Deutschland. Österreich ist anders. Hier sollte einer schon „erwiesenermaßen sechs Juden ­eigenhändig erwürgt“ haben, wie der damalige ÖVP-­Generalsekretär Michael Graff die Bedingung für Kurt Waldheims Rücktritt definiert hatte, damit er aus dem Amt scheiden müsse. Aus dem Amt schied damals freilich nicht der umstrittene Bundespräsident, sondern Michael Graff selbst, da er sich für seinen Ausspruch genierte. Das war beachtlich, denn der inkriminierte Satz war nicht einmal antisemitisch gewesen (in Österreich ohnehin ein Kavaliers­delikt), wie Waldheims Gegner behaupteten, sondern bloß geschmacklos.

Beachtlich vor allem, weil jener Rücktritt einer von ganz wenigen aus öffentlichen oder sonstigen hohen Funktionen im Laufe der vergangenen Jahrzehnte war, der freiwillig erfolgte. Meist wird das Ausscheiden von den Umständen erzwungen: Politiker, denen der Parteiapparat nicht mehr folgt, wie Wolfgang Schüssel nach der Wahl 2006 oder Alfred Gusenbauer 2008 oder Erich Haider 2009 in Oberösterreich; Manager, die von Gerichten verurteilt werden – Hypo-Chef Wolfgang Kulterer; oder solche, die sich bloß deshalb nicht mehr um einen Job bewerben, weil sie ohnehin nicht neuerlich bestellt würden, wie in der vergangenen Woche Franz Pinkl, einer von Kulterers Nachfolgern.

Davon abgesehen? Da blieb wenig in Erinnerung. Allenfalls Rücktritte aus den falschen Gründen, so jener eines oberösterreichischen Landeshauptmanns, der eine außereheliche Beziehung pflog, was zwar auch im Umfeld der Volkspartei gang und gäbe ist, aber dort unter dem Regime der Zehn Gebote ein höheres Gefahrenpotenzial birgt.

Rücktrittskultur ist diesem Land: unbekannt. Das hat Gründe. Einerseits ist die Toleranz für Verhaltensweisen, die folgerichtig durchgewunken werden dürfen, grenzenlos. Da wird augenzwinkernd akzeptiert, und wenn das nicht reicht, werden die Augen geschlossen. So darf sich der österreichische Politiker auf Teufel komm raus nationalsozialistischer Phraseologismen bedienen, ohne dass dies je zum selbst gewählten oder erzwungenen Rücktritt führte. (In Deutschland undenkbar.) Karl-Heinz Grasser wurde im rechtlichen Graubereich bei der Finanzierung einer Homepage betreten und im moralischen beim Upgraden von ­Flugtickets. Beides hat ihn auf dem Weg zum Beinahe-ÖVP-Vizekanzler nicht aufgehalten. Wolfgang Schüssel durfte legendär unbeschadet bei einem Frühstücksgespräch in Amsterdam über Nichtanwesende lästern.

Das sind die österreichischen Benchmarks für Ungereimtheiten. Daneben kennt die Republik aber auch ein eigenwilliges Verständnis von Verantwortung. Ein im internationalen Vergleich eingeschränktes: Der Vorstandsvorsitzende der britischen BBC, Gavyn Davies, etwa trat 2004 zurück, weil ein Journalist bei der Irak-Berichterstattung Mist gebaut hatte. Davies konnte dessen Recherchen definitiv nicht kennen. Das nennt man: Übernehmen von Verantwortung. Beispiel aus Österreich: Beim aus dem Ruder gelaufenen Ausbau des Flughafens Wien-Schwechat stiehlt sich nach der Benennung eines Sündenbocks das Restmanagement sogar aus der rechtlich vorgesehenen Verantwortung. Letztes Beispiel: Norbert Darabos. Wann immer beim Bundesheer etwas schiefläuft, wenn Nebelgranaten Autofahrer töten oder Panzergranaten einen Soldaten, erklärt der Verteidigungsminister entrüstet, er werde die Schuldigen zur Verantwortung ziehen. Als wäre nicht er selbst der Verantwortliche. Rücktritt auf Österreichisch nicht vor­gesehen. Wäre aber kein Rückschritt.

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