Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer 40 Prozent

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Frank Stronach kandidiert also. So ganz will man’s ja noch nicht glauben, mal sehen, ob er überhaupt zwölf Monate bis zur Wahl durchhält. Kritik hält der Autokrat ja wahrscheinlich nicht so gut aus. Seine Öffentlichkeitsarbeit klingt schon jetzt grenzwertig: Eine „Stellungnahme von Frank Stronach zum Thema Politikerkauf“ etwa versendete dieser Tage ein nicht zu beneidender Herr Patrick Kovacs-Merlini mit Adresse „Stronach Institut für sozialökonomische Gerechtigkeit“ und der „Notification“ an allfällige irrtümliche Empfänger, „jede Verbreitung, Verteilung, Aufbewahrung, Archivierung oder Vervielfältigung dieser Nachricht“ sei „streng verboten“. Da interessiert der Inhalt dann auch nicht mehr so sehr.

Wie also wird Stronach mit dem üblichen Dauerfeuer eines Wahlkampfs umgehen? Wie zum Beispiel wird er ­reagieren, wenn die Öffentlichkeit den Charakter dieses Mannes im Lichte seines privaten Lebens und Umgangs prüfen will? Mit einem Verweis auf amerikanische Sitten wohl nicht.

Okay. Nehmen wir mal an, er wird tatsächlich kandidieren! Und nehmen wir an, was noch unwahrscheinlicher ist, dass die aktuellen Umfragen irgendetwas mit den tatsächlichen Chancen einer Stronach-Partei bei der nächsten Nationalratswahl zu tun haben!

Eine kleine Rechenoperation: Satte 16 Prozent gaben vergangene Woche bei einer Karmasin-Umfrage zu Protokoll, sie könnten sich grundsätzlich vorstellen, Stronach zu wählen. Angesichts von zwölf Prozent, die sich unentschlossen zeigten, ist das fast jeder fünfte Bürger dieses Landes – an die 20 Prozent. Jede vierte Frau würde allenfalls für ihn stimmen, bei den Jungen wären es deutlich weniger. 22 Prozent der potenziellen Wähler kommen von den Freiheitlichen, 59 Prozent vom BZÖ (wobei hier die Schwankungsbreite zu groß ist).

Dazu die dieswöchige profil-Sonntagsfrage, erstellt von Karmasin-Motivforschung, und zwar nach Bekanntgabe der Stronach-Kandidatur: Danach würden derzeit 21 Prozent die Freiheitlichen wählen (sieben Prozent Stronach), der niedrigste Wert seit Langem, angeblich zurückzuführen auf die Skandale in Kärnten und eben Stronach – was angesichts der möglichen Abwanderung schlüssig ist.

Was erzählt uns die Zusammenführung dieser beiden Erhebungen über die Österreicher? Korrekt. Etwa 20 plus 20, insgesamt bis zu 40 Prozent der Bürger dieses Landes können sich zumindest vorstellen, Heinz-Christian Strache oder Frank Stronach zu wählen. Das ist doch bemerkenswert.
Soll nämlich heißen: Bald jeder zweite Österreicher hätte keine Vorbehalte, entweder einen radikal Rechten mit intensiven Kontakten in die Neonazi-Szene zu wählen – oder einen turbokapitalistischen Unternehmer ohne jede Erfahrung in der europäischen Politik.

Bald jeder zweite Österreicher könnte für eine Partei stimmen, deren akademisches Personal sich großflächig aus schlagenden Burschenschaften rekrutiert – oder eine Partei, deren Personal bis dato aus einem schwer verständlichen 80-Jährigen und frustrierten Verlierertypen besteht.
Bald jeder zweite Österreicher will von Menschen regiert werden, die den Euro – gemäß einem Cartoon auf der Strache-Homepage – für ein Instrument des jüdischen Großkapitals halten – oder die ohne weitere Diskussion zum Schilling zurückkehren wollen.

Bald jeder zweite Österreicher traut Parteien zu, das Land besser zu regieren, die entweder ein Bundesland mit chaotischen und kriminellen Handlungen in den Ruin geführt haben – oder noch nicht über eine einzige Zeile eines Parteiprogramms verfügen.

Bald jeder zweite Österreicher will die Republik vielleicht doch lieber in den Händen eines gefährlichen Populisten sehen oder eines virilen Greises mit autistischen Zügen als bei Faymann und Spindelegger.

Was also sagt das über die Österreicher? Die Standardantwort darauf besteht in Beschwichtigung. Demnach seien dies doch bloß Protestwähler, die aus Frustration über die herrschenden Verhältnisse oder über das eigene Schicksal nach einer Alternative suchen.

Und sie offensichtlich gefunden haben: 40 Prozent der Österreicher, die trotz hervorragender Wirtschaftsdaten im Lande, ohne den Hauch einer realen Krise, Strache oder Stronach wählen könnten – das ist bei aller Kritik an SPÖ und ÖVP doch ein Armutszeugnis für das intellektuelle, demokratische und moralische Rüstzeug dieser Millionen Österreicher.

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