Christian Rainer: Das Alter der Weisheit
Gemeinsam mit profil-Außenpolitiker Robert Treichler durfte ich vergangene Woche Joschka Fischer interviewen. Fischer scheint noch immer eine große Nummer zu sein: Der 30-jährige polnischstämmige Verkäufer bei H&M in Berlin, der doppelt so alte türkische Taxifahrer und die Rezeptionistin im Hotel wussten ihn sehr genau zu verorten: „Gewichtiger deutscher Außenminister. Turnschuhgrüner. Zum fünften Mal verheiratet.“ Fischer passt auch an zwei Nebenschauplätzen in die zurückliegende Woche. Der ehemals laute Rabauke unterscheidet sich mit seiner diskreten Beratungstätigkeit von ehemaligen Politikern, die verhaltensauffällig wurden: von Alfred Gusenbauer, dessen Aktivitäten ihn – bisweilen mit den Insignien des Renner-Institutes – bis ins Trump-Umfeld befördert haben; auch von Eva Glawischnig, die am Freitag bekannt gab, dass sie fortan als Mitarbeiterin des Glücksspiel-Konzerns Novomatic die Früchte vom Baum der Erkenntnis kosten will.
Fischers Hauptbühne ist in diesen Tagen ein Buch, das er zu seinem bevorstehenden 70er publiziert und „durch die Trump-Wahl“ inspiriert geschrieben hat. Ich greife drei Punkte von „Der Abstieg des Westens“ und dem Treffen heraus.
Fischers Buch könnte ebenso gut „Der Aufstieg Chinas“ heißen. Während Europa nach 1989 in erschöpfte Lethargie verfallen sei und die USA in Triumphalismus, während Russland kein fitter Player ist, steige China zur alles beherrschenden Weltmacht auf: mit seinem enormen Binnenmarkt, als Kreditgeber der USA, mit dem robusten Renminbi, als Industrienation, als globaler Investor, mit seinem klug planenden Einparteiensystem.
Fischers Vorausschau ist weder neu noch überraschend. Sie zeichnet auch kein unwahrscheinliches Szenario. Gemeinhin fragt sich der Bürger in Europa und den USA ja längst nur mehr, ob China zum Wohlstand des Westens aufschließen oder ob sich das individuelle Fortkommen durch Abstinken hie und Aufstreben dort irgendwo in der Mitte treffen wird.
700 Millionen Chinesen leben noch in relativer Armut, das ist Potenzial, aber zugleich ein Klotz am Bein.
Man kann allerdings auch gut dagegen argumentieren, was dann die Unabwendbarkeit unserer eigenen Entmachtung in Zweifel zieht. So stellt sich die ökonomische Frage, was der Heimmarkt wirklich hergibt. 700 Millionen Chinesen leben noch in relativer Armut, das ist Potenzial, aber zugleich ein Klotz am Bein. Die Umweltverschmutzung hat ein Ausmaß angenommen, das weiteres Wachstum behindert und teuer macht. Auch die bevorstehende technologische Überlegenheit ist unsicher. Als Symbol: China ist in Autokonzernen investiert, kann aber bis heute keine eigene wettbewerbsfähige Modellreihe produzieren. China ist Zulieferer der IT-Branche bis hinauf zu Apple und Samsung, stellt aber selbst nur Billigmodelle mit kopierter Technologie her. Und ähnlich wie Seattle und Silicon Valley kann mao.com zwar Big Data sammeln und verarbeiten, aber beim Anschluss an die industriellen Datengeber hapert es, da sind Siemens & Co. besser.
All das spielt sich in einer unerforschten politischen Dimension ab. Möglich, dass die Chinesen weiter auf demokratische Partizipation zugunsten zunehmenden Wohlstands verzichten werden, vielleicht aber auch nicht, erst recht nicht, wenn die Wachstumskurve abflacht, was nach aller ökonomischen Logik eintreten muss. Dann kann die globale Führungsrolle schnell einem regionalen Zerfallsprozess weichen.
Angesichts von China (und Trump) beschwört Fischer nachgerade verzweifelt die europäische Idee: Europa müsse wider eine Vielzahl von Hemmnissen „als Macht und als Leuchtturm für die liberale Demokratie und den Rechtsstaat“ bestehen. Unter diesen Hemmnissen fänden sich Digitalisierung, Flüchtlingskrise, schwächelnder Journalismus, Nationalismus statt Zusammenarbeit, eine „konservative Revolution wie in den 1920er-Jahren“, die dieser Tage „exhumiert“ werde.
Grund zur Sorge liefert die Tatsache, dass auch Fischer kein Rezept ausfertigen kann, um diesem Kränkeln entgegenzuwirken. Er erschöpft sich in Formeln und Formulierungen: Er baut auf Emmanuel Macron, wehrt aber die Zuschreibung „charismatisch“ ab, hofft auf die Achse Paris–Berlin. Greifbar wird er nur mit dem Ruf nach einer europäischen „Bürgerbewegung von unten“. Für den gefürchteten Ideologen Joschka Fischer ist das eine mäßig konkrete Forderung.
Entspannt gibt sich Fischer hingegen angesichts der populistischen Umtriebe in Osteuropa und auch in Österreich. Da mahnt er zu Geduld. Und er verscheucht recht ungeduldig den Gedanken, Sebastian Kurz könnte sich den Visegrád-Staaten annähern.
Immerhin.
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