Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer: Außenarbeit

Außenarbeit

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Sebastian Kurz, bitte kommen! 69 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges will Deutschland seine Rolle in der Welt neu definieren. Joachim Gauck hat das in einer Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz gefordert, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen unterstützen den deutschen Bundespräsidenten – über die Lagergrenzen hinweg – in einer wohlkonzertierten Aktion.

Schon die Tatsache, dass ein durch die Verfassung auf repräsentative Aufgaben beschränktes und nicht einmal vom Volk gewähltes Staatsoberhaupt diese Diskussion losgetreten hat, lässt sich auf Österreich übertragen. Oder eben nicht, da die Rolle des österreichischen Bundespräsidenten ja stets als eine ohnmächtige beschrieben wird: Vermutlich ist diese Position eben gar nicht so machtlos – und die behauptete Schwäche daher nur dummes Gerede –, wenn sie von einer im Wort mutigen und in der Haltung unabhängigen Person ausgefüllt wird. Da ist Gauck natürlich ein Glücksfall und folgerichtig nur durch Zufall ins Amt gekommen. Falls in diesem Kontext dennoch ein Restunterschied zwischen den beiden deutsch sprechenden Nachbarn bestünde, dann wäre er darin begründet, dass die Macht der Rhetorik in Österreich prinzipiell geringer wiegt, dass sprachgewaltige Argumentation hier unter Akzeptanzvorbehalt und Generalverdacht steht.

Jedenfalls hat Gauck Folgendes gesagt, und das ist auf Österreich übertragbar: „Wir müssen bereit sein, mehr zu tun für die Sicherheit, die uns jahrzehntelang von anderen gewährt wurde.“ Die Zurückhaltung sei zwar aus der Geschichte verständlich, aber: „Manche benützen die historische Schuld und verstecken dahinter ihre Weltabgewandtheit. Aus Zurückhaltung kann auch so etwas wie Selbstprivilegierung entstehen.“ Mit dem stärkeren Engagement meine er nicht vordringlich bewaffnete Interventionen, sondern „Zusammenarbeit bei Problemen, die kein Staat alleine lösen kann“.

Gauck, Steinmeier und von der Leyen wollen das, was man aktive Außenpolitik nennt.

Obwohl die Situation so ähnlich ist, will Österreich genau das seit Jahrzehnten nicht. Vielmehr ist die Republik sogar weiter entfernt von jener globalen Verortung, mit der die drei deutschen Politiker nicht mehr zufrieden sind. So ist Österreich vor allem kein Mitglied in einem Verteidigungsbündnis. Das ist freilich eine Folge der Außenpolitik, nicht aber deren Ursache.

Richtig ist zwar: Die Bundesrepublik hatte sich nicht an die Auflagen einer Neutralitätserklärung zu halten und konnte so schon 1955 NATO-Mitglied werden. Richtig ist aber auch, dass die österreichische Neutralität formal bloß eine Selbstbindung ist und ihren Sinn mit dem Ende der Teilung Europas verloren hat, dass also weder ein rechtlicher noch ein inhaltlicher Zwang zur Beibehaltung besteht. Vielmehr ist die Neutralität nur ein Bequemlichkeitsfaktor, sie ist der faule Kern jener Argumentation, die dem Land seine Nichtaußenpolitik erlaubt. Im Vergleich zur deutschen Zurückhaltung auf der internationalen Bühne, die Gauck nun geißelt, ist die österreichische Haltung nämlich eine Paralyse.

Einschub: Die Verzagtheit der deutschen Außenpolitik gründet zweifellos in der historischen Last des Zweiten Weltkrieges. Auch da darf man eine kräftige Parallele sehen. Böser Einwurf: Wäre Österreich allerdings tatsächlich das erste Opfer der Nationalsozialisten gewesen, als das es sich über eines halbes Jahrhundert bezeichnete, dann hätte es nach der „Befreiung“ für Zurückhaltung keine Veranlassung gegeben.

Österreich hat einen neuen Außenminister. Falsch: Österreich hat einen Außenminister. Denn nach Alois Mock war dieses Amt im Nebenerwerb vernachlässigt worden, von willfährigen Adepten verwaltet oder von Diplomaten administriert. Sebastian Kurz ist daher eine Chance. Dass diese Charakterisierung des 26-Jährigen stets auf die Zukunft der Volkspartei gemünzt wird, nicht aber auf die Außenpolitik, zeugt freilich genau von der Stellung, die sein Ministerium und die damit verbundenen Überlegungen in der Gedankenwelt von Bevölkerung und Eliten einnehmen: nämlich keine.
Das ist schade. Es stimmt: Viele Europaagenden wurden längst in andere Ressorts verlagert. Aber es bleibt genug: In der Außenpolitik kristallisiert sich der kollektive Charakter eines Staates, nach außen sichtbar und ins Innere zurückspiegelnd. Das ist einer der Gründe, warum Joachim Gauck in der deutschen „Zurückhaltung“ eine „Selbstprivilegierung“ der Bundesrepublik ortet und sie auf moralischer Basis kritisiert.

Österreich ist in weit größerem Maße als Deutschland ein Trittbrettfahrer des internationalen Verschubwesens, des sicherheitspolitischen Verkehrs. Mal sehen, ob Herr Kurz Ambitionen zeigt, diese klägliche Rolle zu verändern, ob er mit seinen Fähigkeiten mehr als sich selbst und die Volkspartei retten will!

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