Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Blöd gelaufen

Blöd gelaufen

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Keine Woche, in der nicht irgendjemand von gröberem öffentlichen Interesse einen Schritt in Richtung Vorhölle macht. In den vergangenen Tagen etwa: der ehemalige Hypo-Kärnten-Chef Wolfgang Kulterer, der jetzt rechtskräftig zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt ist; der nun auch ehemalige Vizegouverneur der Notenbank Wolfgang Duchatczek, der seines Renten- und Abfertigungsanspruchs verlustig ging (und das am Ende eines langen Berufslebens nur Tage vor der geplanten Pensionierung); Gernot Schieszler, der Kronzeugenstatus bekommt, womit zwar er aus dem Schneider ist, die Verdächtigen in mehreren Telekomaffären aber noch tiefer drinnen stecken. (Die Tatsache, dass erstmals tatsächlich ein Kronzeugenstatus zuerkannt wurde, lässt übrigens auf Aufklärung in anderen Causen hoffen.)

Unter Wahrung jeder Unschuldsvermutung – bei laufenden Verfahren, bloßen Verdachtsfällen und erst recht bei lediglich windschiefer Optik: Was treibt Manager oder Politiker ins Kriminal oder ins Zwielicht, warum gehen Menschen, die es augenscheinlich gar nicht nötig hätten, derart ins
Risiko?

Diese Frage wird allerorts diskutiert, teils mit Unverständnis gegenüber den Akteuren, teils aber auch mit Unverständnis für die Unrechtmäßigkeit der vorgeworfenen Taten. Jene Personen, die sich besonders heftig artikulieren, sind oft potenziell Betroffene: Spitzenkräfte der Republik, welche die Welt nicht mehr verstehen – und gelegentlich mit einem Hauch von schlechtem Gewissen an sich selbst zweifeln.

Erste Antwort. In vielen Fällen ist es natürlich die gute alte Gier, die jemanden verleitet, nahe an der Grenze zwischen legal und verboten zu laufen – oder auch jenseits. Wer ein Leben lang reflexartig die Möglichkeiten des Geschäftes bis ans Äußerste genutzt hat, der wechselt die Codierung nicht, nur weil er zwischenzeitlich über einen prallvollen Geldspeicher verfügt oder im Job ganz oben angekommen ist.
Dennoch wundert es, welches Risiko Menschen eingehen, ohne dass sie einen unmittelbaren Vorteil daraus ziehen. Zum Beispiel:
Die Telekom-Manager, die den Aktienkurs manipulierten, um einen Bonus herauszuholen, taten das vermutlich nicht wegen ein paar tausend Euro für sich selbst, sondern eher, weil das eine große Gruppe von Führungskräften motivieren sollte. (So analysiert das zumindest ein ehemaliger Telekom-Capo.) Da ist der Zusammenhang mit dem individuellen Vorteil der Täter nicht leicht zu erkennen.

Erst recht nicht bei Herrn Duchatczek: Falls stimmt, dass er als Aufsichtsrat von Schmiergeldzahlungen wusste, die Aufträge der Banknotendruckerei sicherten, dann ist nicht einsichtig, warum er diese goutierte oder gar forcierte. Wegen des Erfolgsdrucks, der auf dem maroden Tochterunternehmen der noblen Nationalbank lastete? Na ja.
Und auch beim Hypo-Alpe-Adria-Chef lässt sich nicht alles mit Gier erklären. Vielleicht wäre ja sein Job flöten gegangen, wenn er den rechtswidrigen Wünschen des Kärntner Landeshauptmanns nicht entsprochen hätte. Sicher ist das aber nicht. Allenfalls lässt sich auch hier sagen: Wer nicht von vornherein ein lockeres Verhältnis zu den Gesetzen und damit zu Gefälligkeitsgeschäften hatte, wäre nicht bis an die Spitze der Kärntner Hypo aufgestiegen.

Wie es scheint, bedarf es einer zweiten Antwort, um zu verstehen, warum so viele Manager und Politiker einen derart entspannten Umgang mit Rechtsvorschriften pflegten – zumal die Fälle, welche nun bei der Justiz landen, mit Sicherheit nur einen kleinen Ausschnitt von hunderten ähnlichen Sachverhalten darstellen. (Nicht vergessen: Ohne die Zufallsfunde bei der Immofinanz-Pleite wäre der gesamte Hochegger-Grasser-Buwog-Telekom-Komplex nicht bekannt geworden.)
Diese zweite Antwort lautet: Über die vergangenen 20 Jahre hat sich die Sichtweise auf Recht und Unrecht im Wirtschaftsleben und in der Politik massiv geändert. Was einst als normaler Vorgang im internationalen Geschäft galt, heißt heute Bestechung. Die Aufsichtsratsprotokolle des Baukonzerns Porr, die von profil vor einiger Zeit veröffentlicht wurden, zeugen von jenem überkommenen Verständnis. Was als Deal unter Freunden geduldet wurde, ist nun Korruption. Das Transparenzgesetz ist ein Spiegelbild dessen, was früher möglich war. Wo frei und gegen Kickbacks vergeben wurde, liegt nun ein Gesetzesbruch vor. Und wer sich mit der Politik verabredet, kommt samt den Politikern zumindest in die Zeitung.

Der Paradigmenwechsel hat recht schnell stattgefunden (unter Druck der EU und von Medien). Was heute auffliegt, wurde entweder schon anno Schnee verbrochen. Oder erst heute aber von Menschen, die im Kopf noch damals leben. Für die Beteiligten in beiden Fällen darf man festhalten: blöd gelaufen.

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