Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Braucht Österreich die EU?

Braucht Österreich die EU?

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Nehmen wir uns kein Blatt vor den Mund, fragen wir uns in dieser Woche doch einfach das, was sich der kleine Mann ebenso fragt wie auch Frau Fekter! Hat es sich ausgezahlt, haben wir profitiert, war der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union vor 18 Jahren sinnvoll? Oder wurde mehr gezahlt als eingenommen, sind die Risiken größer als der Schutz, wurde mehr dreingeredet, als uns recht ist?

Die Finanzministerin stellt sich diese Frage, weil sie von ihren Kollegen in der EU (peinlich: von allen) gepiesackt wird, ihr Bankgeheimnis doch auszuliefern. Sie weiß zwar, dass damit keine Folgen für die Privatsphäre der Österreicher verbunden sind, kaum auch für das Volkseinkommen. Aber sie fürchtet, Wähler zu verlieren, wenn sie hergibt, wovon diese Wähler bis vor Kurzem noch gar nichts wussten, zumal weder sie selbst noch die Wähler erklären können, was es mit diesem Geheimnis auf sich hat.

Der Wähler wiederum: Den hat die Diskussion um sein Konto kopfscheu gemacht. Er fürchtet überdies (und zu Recht), dass ihm Zypern, Griechenland oder gar Spanien und Italien auf den Kopf und damit schwer auf den Geldsack fallen werden. Zumal er ohnehin und (zu Unrecht) meint, dass ein großer Teil seiner Steuern an eine Beamtenmafia in Brüssel und die echte Mafia an den Gestaden des Mittelmeers fließt.

Tatsächlich wird es immer schwieriger, die Europäische Union als ökonomisches Projekt zu verteidigen. Die wirtschaftlichen Vorteile des Zusammenschlusses sind zweifelhaft, die Gefahren nicht von der Hand zu weisen. Im Mikrokosmos jenes kleinen Mannes manifestieren sich die Errungenschaften der EU entsprechend mikroskopisch. Er spart sich die Wechselspesen beim Urlaub im Ausland – statistisch gerastert passiert das pro Kopf und Nase 0,7 Mal im Jahr. Damit ist kein Blumentopf zu gewinnen. Von den billigeren Waren des täglichen Lebens, die ihm bei der Volksabstimmung versprochen wurden, meint er, nichts zu spüren (und er hätte davon auch mit einer nackten Zoll-, Handels- und Investitionsfreiheit profitieren können). Auf dem Arbeitsmarkt hingegen glaubt er, unter dem Lohndruck ausländischer Arbeitskräfte aus der EU zu leiden (was angesichts der niedrigen Arbeitslosigkeit freilich unwahrscheinlich ist).
Auf der Makroebene wird mit zusätzlichem Wirtschaftswachstum argumentiert, welches durch den Beitritt an allen Ecken und Enden der Republik wuchere. Die angeblichen Treiber dieser Prosperität – zum Beispiel eine angesichts der Euro-Turbulenzen dubiose Wechselkurssicherheit – sind keine wissenschaftlich erfassten Parameter. Und die Berechnung dieser EU-Sonderkonjunktur auf Zehntelprozentpunkte genau – das wurde an dieser Stelle bereits kritisiert – ist nachgerade lächerlich.

Gar nicht zum Lachen sind die Risiken, die sich durch die EU-Mitgliedschaft eingestellt haben – genauer: durch den Beitritt zum Euro. Die gemeinsame Währung ist eine Fehlkonstruktion. Auf die unterschiedliche Wirtschaftsleistung der Mitglieder sowie auf deren wirtschaftspolitische Vernunft wurde nicht Rücksicht genommen, erst recht nicht auf lokalen Unterschleif. Der Euro funktioniert nicht. Im besten Fall hat Österreich durch die Unsicherheiten einen Blechschaden erlitten, im schlechteren werden wir für die Schulden der Bruderländer einstehen müssen, im schlimmsten einen Zusammenbruch des Finanzsystems erleben (beziehungsweise mitten drinnen verrecken).

Die ökonomische Bilanz des Beitritts ist also nicht zweifelhaft – sondern angesichts der GAU-Gefahr und damit bis zur Gesundung des Euro negativ.

Und dennoch war jener Beitritt natürlich sinnvoll. Selbst wenn das ökonomische Projekt mit einer So-lala-Bilanz abschließt, bleibt von der Gemeinschaft das, wofür sie im Schatten zweier Weltkriege gegründet wurde: ein zivilisatorischer Prozess eines unzivilisierten Kontinents. Ergebnis dieses Prozesses ist an oberster Stelle die Abwesenheit von Kriegen, ja von jedem Grenzkonflikt zwischen den Mitgliedern über bald sieben Jahrzehnte. Das ist inzwischen eine Binsenweisheit, aber eine wichtige.

Selten hingegen wird darauf hingewiesen, was das für alle Beteiligten überraschende Ende der sowjetischen Hegemonie über Osteuropa ohne EU bedeutet hätte: Ohne die geballte politische und wirtschaftliche Macht Europas einerseits und ohne die Verlockung, Teil dieses Konglomerats zu werden andererseits, würden zwischen Bukarest und Prag möglicherweise Post-UdSSR-Verhältnisse herrschen.

Schließlich – und das betrifft nun wieder ganz besonders das bis 1995 reichlich unzivilisierte Österreich: Der Zivilisationsprozess inkludiert auch all jene Entwicklungen, die einzelnen Mitgliedern von europäischen Gerichtshöfen, von der Kommission oder in gemeinsamen Ministerräten abgetrotzt werden. Dazu gehören faire Wettbewerbsbedingungen, die Durchsetzung von Menschenrechten – und vielleicht auch die Abschaffung des leidigen Bankgeheimnisses.

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