Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Dann kommt China

Dann kommt China

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Thema des ablaufenden Jahres: der drohende Kollaps des europäischen Zahlungssystems. Damit verbunden: die Lähmungserscheinungen der österreichischen Regierung. Daraus resultierend: Eine radikal rechte, xenophobe Krawallpartei liegt in den Umfragen Kopf an Kopf auf dem ersten Platz, in der Realität also vermutlich klar voran. Das war, kurz gefasst, 2011.

Schlimm genug. Aber es ist schlimmer. Denn im größeren Zusammenhang geht es nicht bloß um den Super-GAU der Finanzwirtschaft, erst recht nicht um den beschämenden Sonderfall Österreich, sondern um mehr, um alles nämlich.

Klingt bekannt? Ist es aber nicht. Denn üblicherweise wird bei der Filetierung des Euro-Kadavers dieses „alles“, das da bedroht sei, als die europäische Idee verstanden. Damit meinen die Strippenzieher der Union den Zusammenschluss der EU-Mitglieder zur Steigerung der Produktivität des Kontinents, also eine Art Konzernfusion, die durch schlankere Strukturen und größere Marktmacht höhere Renditen abwerfen soll. Die feineren Leute in Europa denken bei dieser „Idee“ hingegen an die freundliche Koexistenz ehemals chronisch verfeindeter Staaten, die sich ja tatsächlich in der längsten Friedensperiode der Geschichte manifestiert hat.
Es geht jedoch um noch mehr als um die ökonomische Prosperität und die Vermeidung von Kriegen. Es geht um die Frage, ob sich mittelfristig global das Modell Demokratie halten kann – oder ob sich das Modell China durchsetzen wird. Wenn Europa scheitert, dann könnte recht schnell das allgemeine Wahlrecht durch Einparteiendiktaturen ersetzt werden, die Menschenrechte durch polizeistaatliche Willkür, auf die Freiheit des Einzelnen würde ein individuell sehr unterschiedlicher Machtzugang folgen. Warum? Weil es eine Illusion ist zu glauben, Demokratie sei weltweit im Vormarsch oder gar das mehrheitlich etablierte System. Wie viele Menschen leben denn in einer stabilen Demokratie? Selbst unter Einrechnung des überaus korrupten Indien, mit Nordamerika und Europa sind das gerade mal gut zweieinhalb Milliarden, somit ein Drittel der Weltbevölkerung. Fast alle anderen Staaten in ­Asien, Lateinamerika, Afrika und besonders im muslimisch-arabischen Raum fallen sicher nicht unter langfristig ­gefestigt demokratisch; zumeist sind es Geld-, Familien-, Militär- oder Kaderdiktaturen.

Und eindeutig im Vormarsch ist – allen anderen im Tempo gigantisch voraus – China. Das stimmt erstens ökonomisch, was ohnehin niemand anzweifelt angesichts der Wachstumsraten, der Hilferufe Europas und der Verschuldung des Westens bei chinesischen Kreditgebern. Es stimmt aber auch, was die Stabilität des Systems betrifft: Aus dem weltweiten Interesse für den Künstler Ai Weiwei abzuleiten, die KP in Peking sei im Begriff, in die Knie zu gehen, ist ähnlich naiv, wie den arabischen Frühling für das Fundament zukünftiger Demokratien zu halten. China also, kommunistische Marktwirtschaft, starkes Militär, intransparentes Rechtssystem, inhärente Korruption.

Was hat das mit der Eurokrise zu tun? Einfach. Falls ­Europa im ökonomischen Chaos endet, zerfallen auch die politischen Strukturen, die Wertekataloge, der Kanon der Aufklärung. Da mag sich in manchen Ländern die Demokratie noch eine Zeit lang weiterfretten – in vielen würden per Umsturz oder auch mittelbar durch Wahl schnell undemokratische Regime installiert. Wie rasant das geht, sieht man an den wechselnden Verhältnissen im ehemaligen Einflussbereich Moskaus auch zwanzig Jahre nach der so genannten Demokratisierung.

Warum dann China? Weil sich selbstverständlich die ökonomische Superpower mit ihrem Gesamtpaket an autoritärem Gerüst im ökonomisch wehrlosen Europa festsetzen würde, allenfalls im Gleichschritt mit ähnlich erfolgreichen asiatischen Staaten.

Wer glaubt, der europäisch-US-amerikanische Weg sei eine Einbahnstraße, der Wunsch des Menschen nach Demokratie ein genetisches Muster, ist ein Träumer.

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