Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Darf man Kommunisten wählen?

Darf man Kommunisten wählen?

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ie Kommunistische Partei erhielt bei der Gemeinderatswahl in Graz am 25. November 20 Prozent der Stimmen. Das erstaunte in Österreich und jenseits der Landesgrenzen und wirft eine prinzipielle Frage auf: Darf man eine Partei wählen, die den Kommunismus im Namen trägt, ist das mit den demokratischen und humanistischen Werten des Jahres 2012 und dieser Weltregion vereinbar?

Die Antwort ist nicht eindeutig, aber doch tendenziell negativ (wie auch Christa Zöchling in ihrer Geschichte feststellt).

Es drängt sich zunächst ein Vergleich – nicht eine Gegenrechnung – mit dem Nationalsozialismus auf. Er verkörpert als historische Verbrechensideologie und in seinen Wiedergeburtsformen moralisch wie rechtlich den kondensierten Ausdruck des Bösen im Menschen schlechthin. Zwei grundsätzliche Unterschiede zum Kommunismus: Einerseits ist der Völkermord als Ergebnis von rassistischer Differenzierung und von Welteroberungsplänen eine tragende Säule der nationalsozialistischen Ideologie.

Vergleichbares ist aus den Programmen von Karl Marx und anderen Urvätern des Kommunismus nicht ableitbar. Andererseits trägt Österreich keine unmittelbare und auch keine vererbte Kollektivverantwortung für die Verbrechen, die im Namen des Kommunismus begangen wurden, beim Nationalsozialismus sehr wohl.

Aber die Verbrechen gibt es denn doch, vor allem mit dem millionenfachen Mord durch Josef Stalin, großflächig in Form geplanter Hungersnöte und individuell durch ein Terrorregime in allen nur denkbaren Ausformungen.
Ist es möglich, ist es erlaubt, sich von diesen Verbrechen zu distanzieren und in der Folge doch Kommunist zu bleiben? Das hat die Kommunistische Partei Österreichs versucht, wenn auch unvollständig, zögerlich und Jahrzehnte später, wohl erst, als die implodierende Sowjetunion keine finanzielle oder ideelle Basis für die Österreicher mehr darstellen konnte. Auch die Spitzenkandidatin in Graz, Elke Kahr, grenzt sich vom Stalinismus ab und verurteilt ihn (weniger deutlich wird sie beim Wort „Kuba“ – eigentlich gar nicht deutlich).

Sind diese Distanzierungen halbherzig, sind sie ernst gemeint? Diese Frage ist irreführend, muss daher gar nicht erst beantwortet werden. Vielmehr kann die Frage nur sein: Ist eine Distanzierung theoretisch überhaupt möglich, ohne dass gleich auch der Wortlaut „Kommunistische Partei“ gestrichen werden müsste? Schwerlich: Wo immer kommunistische Ideologie in politische Realität gemünzt wurde, waren Verbrechen wider die Menschlichkeit die Folge: von (nur) vergleichsweise wenig radikalen Regimen in der DDR oder in Kuba über Nordkorea und China bis zum Genozid in Kambodscha unter Pol Pot oder in Stalins Sowjetsystem.
Der Eurokommunismus in den 1970er- und 1980er-Jahren kann hier nicht als Gegenbeispiel angeführt werden, vielmehr musste die Frage nach der Wählbarkeit jener Parteien in Italien, Spanien und Frankreich schon damals gestellt werden, nicht anders als jetzt am Beispiel Graz, und sie wurde auch gestellt. Ein wichtiger Unterschied: Die Eurokommunisten standen in offener Ablehnung zur Sowjet­union und ihren Trabanten.

Hinzu kommt: Selbst nach Ausblendung der gewaltigen historischen Schuld bleiben offene Punkte. Sie liegen tief in der marxistischen Theorie, und von dieser wollen sich weder Frau Kahr noch die KPÖ abwenden. So sind privates Eigentum und alle damit verbundenen Rechte keine feste Größe in der kommunistischen Wertewelt. Anders formuliert: Wenn es einem nebulosen gesamtgesellschaftlichen Vorteil dient, hat der Einzelne nichts zu reden. In der Folge muss auch ein verlässliches Bekenntnis zum Mehrparteiensystem mit freien und wiederkehrenden Wahlen bei den Kommunisten in Zweifel gezogen werden. Das ist kein Ausschließungsgrund, entspricht allerdings nicht der nach 1945 in Österreich mühsam gewachsenen Wertewelt.

Zurück also zur Frage: Darf ein entsprechend reflektierender Mensch kommunistisch wählen? Nein, sollte er nicht. Der Kommunismus ist irreversibel belastet durch eine verbrecherische Realität. Sich von dieser tauglich zu distanzieren erscheint unmöglich angesichts des Gewichts dieser Geschichte und aufgrund der ontologischen Nähe von Ideologie und Verbrechen. Wer wie die Grazer KP seinen Kurs als lokale Wohnbaupolitik verkauft und somit als Kuschelkommunismus verniedlicht, möge das Wort Kommunismus daher gar nicht erst in der Parteikennung führen.

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