Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Das Ende des Geldes?

Das Ende des Geldes?

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Wenn die Spitzen von Staat oder Gesellschaft die Chefredakteure österreichischer Medien zu eilig anberaumten Hintergrundgesprächen einladen, dann ist Feuer am Dach. So geschehen gleich zweimal in den vergangenen beiden Wochen. Einmal rief der Kardinal in Wien, um über Missbrauch zu sprechen (und sich wiederum als die einzige Lichtgestalt am katholischen Himmel zu erweisen). Das andere Mal lud der Finanzminister, um den Journalisten die Dramatik der Euro-Krise zu beschreiben.
Die katholische Kirche existiert seit 2000 Jahren, und sie wird in dieser Krise nicht kollabieren. Den Euro gibt es seit acht Jahren, aber ganz sicher ist sein Fortbestand nicht.

Was wird mit Europa und seiner Währung passieren? Schwer zu sagen. Die Zusammenhänge sind komplex und paradox. Das amerikanische Magazin „Time“ zum Beispiel schreibt in seiner aktuellen Ausgabe: „Indem ein riesiger Rettungsfonds installiert wurde, hat Europa bewiesen, dass es geschlossen hinter seiner Einheitswährung steht.“ Das ist eine überraschend positive Schlussfolgerung – nicht nur an­gesichts des traditionell Euro-skeptischen Blickwinkels der Amerikaner: Diesseits des Atlantiks wurde dieselbe Aktion nämlich ganz anders kommentiert. Hier überwiegt etwa folgende Sichtweise: Der Rettungsfonds war das letzte Mittel, um eine ganz große Katastrophe abzuwenden. Wie lange die Aktion nachwirkt, ist nicht sicher. Aber jedenfalls wird die Sache sehr teuer für alle EU-Mitglieder. Überdies wurde en passant die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank geopfert, da diese sich politischen Notwendigkeiten zu beugen hatte, ebenso wie die Stabilität und Härte des Euro, da die EZB nun Anleihen aufkaufen muss.

Welche dieser beiden Interpretationen ist richtig, welche praktikabler? Richtig sind natürlich beide, und darin zeigt sich das Paradoxon der Entwicklung. Einerseits gab es niemals in der Geschichte der Europäischen Union und Europäischen Gemeinschaften einen derart engen politischen Zusammenhalt der Länder. Was da auf kontinentaler Ebene innerhalb weniger Tage von Finanzministern und Regierungschefs beschlossen und in Umsetzung gebracht wurde, ist beispiellos. Einen solchen Kraftakt schafft die Bundesregierung in Wien bei viel kleineren Projekten nicht, wenn sie die Interessen der Bundesländer ausgleichen muss. Hier verwandelte sich die Union in ihren Entscheidungsmechanismen erstmals von einem eifersüchtelnden Staatenbund zu einem Bundesstaat. Das ist umso bemerkenswerter, als diese Union ja eben erst um einige Mitglieder erweitert wurde, deren ökonomische und politische Strukturen noch lange nicht mit dem alten Europa vergleichbar sind. Aus der Perspektive von „Time“ scheint das die historische Bedeutung dieser Tage zu sein.
Andererseits: Was hilft diese Sichtweise selbst den Verfechtern der Vereinigten Staaten von Europa, wenn nur die Philosophie stimmt, es aber an der Hardware mangelt? Denn die Ungewissheit und Zukunftsangst, von der die Menschen in Europa erfasst wurden (und die auch das Führungspersonal der Union nur durch Pfeifen im Wald verdrängen können), sind ja nicht irrational. Vielmehr beruhen sie erstens auf dem messbaren Zustand einiger Volkswirtschaften, zweitens auf der gestressten ökonomischen Konstruktion Europas.

Erstens also: Griechenland, Spanien, Portugal, Italien und andere Länder sind schwer verschuldet. Die lokalen ­Industrien scheinen wenig geeignet, genügend Geld zu erwirtschaften, um diese Schulden innerhalb der nächsten Jahrzehnte auf eine Stabilität ermöglichende Größe zu reduzieren. Hinzu kommt, dass die dafür notwendige Wirtschaftskraft durch die ebenso notwendigen Sparprogramme brutal gedämpft wird. Geht sich das aus?
Die Situation erinnert an Deutschland vor der Wiedervereinigung, als die gesunde Bundesrepublik die Industriewüste DDR eingemeinden und mit dem eigenen Volkseinkommen künstlich ernähren musste. Das funktionierte ja ganz gut. Aber bei genauer Rechnung findet man heraus, dass die neuen Bundesländer heute, 20 Jahre später, noch immer von den alten Bundesländern quersubventioniert werden.

Das Problem in Europa: Die gesunden Staaten, die nun quasi-illiquide Mitglieder auffangen müssen, sind selbst durch die Wirtschaftskrise oder als Erben des Kommunismus nicht in jenem kraftvollen Zustand, in dem sich die BRD 1990 befand.

Zweitens: die zugrunde liegende Konstruktion der EU. Auch hier kann man Parallelen zur deutschen Wiedervereinigung ziehen. Immerhin war die D-Mark für die DDR eine ebenso künstliche Währung wie der Euro für die Teilnehmer der Eurozone. Das Austauschverhältnis zwischen West- und Ost-Mark war willkürlich; das Verhältnis zwischen Euro und den alten Währungen wiederum war bloß im Sinne einer Momentaufnahme richtig. Hinzu kommt in Europa freilich ein Bouquet weiterer potenzieller Konstruktionsmängel – von den divergierenden Finanzmarktgesetzen bis zu den unterschiedlichen Verschuldungsgraden der Staaten. Ein Fazit? Nicht möglich. Das po­litische Zusammenwachsen in der ­jüngsten Vergangenheit war erfreulich, aber auch nur aus der wenig erfreulichen Kollapstendenz des Euro geboren.

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