Christian Rainer: Die Demokratie beschämt sich selbst

Aus einem nach dem Ibiza-Video scheinbar einfachen Wahlkampf wurde ein sehr verwirrender. Hier ein Leitfaden.

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Das Wort „Casino-Mentalität“ bezeichnet gemeinhin die Verwendung großer Geldsummen ohne stabiles Geschäftsmodell und ohne erkennbares Ziel. Gerne werfen politische Gegner einander diese Geisteshaltung vor, sobald der jeweils andere öffentliches Geld verprasst, um damit Stimmung unter den Wählern zu machen. In diesen Tagen bereichert der Ausdruck die österreichische Sprache mit einem neuen Bedeutungsinhalt. Nun geht es nicht um das Verprassen von Geld wie beim Glücksspiel, sondern um das Bereichern mit Geld, das große Konzerne mit dem Glückspiel verdienen wollen: Novomatic, Casinos Austria und deren freiheitlicher Finanzvorstand, tschechische Teilhaber, die FPÖ und deren ehemaliger Parteichef und ein freiheitlicher Staatsekretär, am Rande die Volkspartei und deren Obmann.

Dieser Wahlkampf ist laut einer unlängst publizierten Studie nicht der schmutzigste Wahlkampf aller Zeiten, der verwirrendste ist er jedenfalls. Ohne Medien journalistischer Herkunft, also ohne Magazine, Zeitungen, Fernsehen und Radio, wären die Vorgänge völlig undurchschaubar und viele Fakten wären im Dunkeln geblieben. (Ohne die chaotischen, manipulativen, fahrlässig faktenwidrigen und oft vorsätzlich verlogenen sozialen Medien wären die Dinge hingegen einfacher zu ordnen und zu verstehen.) profil arbeitet hier an vorderster Front: Unsere Recherchen zu Zahlungen von Novomatic an das Institut eines hochrangigen FPÖ-Funktionärs etwa – in diesem Heft und zuvor schon online – sind ein entscheidendes Detail, um den Zusammenhang zwischen dem Ibiza-Video, den Vorgängen bei den Casinos Austria und den Hausdurchsuchungen der vergangenen Woche zu verstehen. Sie machen die Aussagen von Heinz-Christian Strache, dem Mann, der seine „Unschuld beweisen“ will, obsolet (um ein minder emotional aufgeladenes Adjektiv zu verwenden).

Man darf es als überraschend und beschämend empfinden, dass dieser Wahlkampf überhaupt ein verwirrender, ein komplizierter wurde. Allein die politische Realität eines Donald Trump in den USA, eines Boris Johnson in Großbritannien oder die notorischen italienischen Verhältnisse können uns davon abhalten, die Zustände in Österreich als eine skurrile Sonderform staatlicher Verfasstheit zu diskreditieren. Mit Blick auf die Weltlage: Die Demokratie beschämt sich regelmäßig selbst. Nur über die Betrachtung längerer Zeiträume erweist sie sich als ein hochvernünftiges, stabiles System. In den Momentaufnahmen blicken wir regelmäßig auf die pure Unvernunft.

Dieser Wahlkampf also. Nach dem Ibiza-Video im Mai hätte alles sehr einfach sein können. Ein Parteiobmann hatte zurückzutreten, weil sich seine Aussagen weit abseits jedes westlichen Grundkonsenses bewegten. Die Regierung musste stürzen, weil Strache und Johann Gudenus ihre Partei und damit einen der beiden Koalitionspartner im Kern diskreditiert hatten. Neuwahlen waren daher auszuschreiben. Doch dieser simple Kausalzusammenhang wird mittlerweile infrage gestellt, die billigen Argumente verfehlen ihre Wirkung nicht. So ist es Strache, Gudenus und der FPÖ gelungen, den monströsen Inhalt jenes Videos wegzuspielen, indem sie die in diesem Umfeld irrelevanten Urheber des Videos und deren Methoden zum eigentlichen Skandal erklären; Strache, das „Opfer“, erscheint nahezu rehabilitiert. Den Sturz jener untragbar gewordenen Regierung wiederum schieben FPÖ und ÖVP der Sozialdemokratie (und die FPÖ auch der ÖVP) in die Schuhe. Und weil nun die FPÖ nicht mehr für das Video und die ehemaligen Koalitionspartner nicht allein für die Neuwahlen verantwortlich sind, steht wider jede Logik einer Neuauflage derselben Koalition nichts im Wege.

Die FPÖ versucht, den naheliegenden Zusammenhang aufzubrechen, indem sie sich als Opfer von Staatsanwaltschaft und ÖVP darstellt.

Wozu die mit Vorsatz herbeigeführte Verwirrung führt, zeigen die Umfragen: Die „im Kern diskreditierte“ FPÖ liegt gleichauf mit der SPÖ dort, wo sie vor dem Ibiza-Video lag; die mitgefangene Volkspartei kann auf einen deutlichen Zuwachs am 29. September hoffen.

Im Zuge des nun hochgeschwemmten Casino-Skandals zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab. Die Fakten: Strache und Gudenus stellen im Ibiza-Video eine Veränderung der Glücksspielgesetze zugunsten von Novomatic in Aussicht, falls der Konzern an die Partei spendet. Tatsächlich hat der Konzern als Casino-Aktionär bewirkt, dass ein fachlich ungeeigneter FPÖ-Mann Casino-Vorstand wurde. Inwieweit Zahlungen an die FPÖ in Erwartung der von Strache in den Raum gestellten Gesetzesänderungen geleistet wurden, muss untersucht werden. Im Rahmen dieser nicht unbedingt dünnen Verdachtslage hat die Staatsanwaltschaft Hausdurchsuchungen durchgeführt.

Und wiederum: Die FPÖ versucht, den naheliegenden Zusammenhang aufzubrechen, indem sie sich als Opfer von Staatsanwaltschaft und ÖVP darstellt. Aber auch die Volkspartei lässt sich nicht lumpen: Ungeachtet dessen, dass die Justiz die Vorgänge von Amts wegen überprüft, stecken laut ÖVP alle anderen Parteien hinter den Vorwürfen („vereinigte Schmutzkübler“). Und mehr noch: „Wer behauptet, die ÖVP habe mit dem Ibiza-Video oder illegaler Parteienfinanzierung etwas zu tun, wird geklagt.“ Wenn damit auch die Staatsanwaltschaft gemeint ist, wäre das eine Klage der Legislative gegen die Judikative. Das wäre um einiges mehr als nur verwirrend.

[email protected] Twitter: @chr_rai