Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Der Traum von den „Seitenblicken“

Der Traum von den „Seitenblicken“

Drucken

Schriftgröße

„Anleitung zum Unglücklichsein“. So heißt ein populäres Buch des 2007 verstorbenen österreichischen Psychotherapeuten Paul Watzlawick, und so könnte auch der Untertitel jeder x-beliebigen Politikerbiografie lauten. Es gibt kaum einen Job, bei dem die Wahrscheinlichkeit größer ist, für recht kurze Perioden des Hochgefühls eine sehr lange Zeit von Frustration zu ernten. Das gilt vor allem für die Bundespolitik, kaum ein Spitzenfunktionär geht von dort ohne Groll und ohne das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein.

Insofern darf man die Worte des Hannes Androsch in der dieswöchigen Titelgeschichte wohlwollend zur Erwägung bringen: Bei Werner Faymann müssten wir vielleicht einen „längeren Atem“ haben. Schließlich seien ja erst 20 Prozent der unlängst auf fünf Jahre gestreckten Legislaturperiode vorüber, zu früh, um ein abschließendes Urteil zu fällen. (Androsch selbst hat seinen forcierten Abgang aus der Politik bis dato nicht überwunden.)
Sicher ist hingegen: In der Perspektive des Kanzlers kann dieses Jahr nicht wie die Erfüllung des Traums von der in Österreich größtmöglichen Karriere ausgesehen haben; nach Addition von Wahlniederlagen, einem überraschend starken Gegner und hämischer Presse werden die zwölf Monate eher wie ein Albtraum wirken.

Beispiele für das unglückliche Fortkommen von Politikern gibt es zuhauf. Alle Bundeskanzler der jüngeren Geschichte – mit einer Ausnahme – etwa: Bruno Kreisky beschloss sein Leben verbittert und von Krankheit gezeichnet. Fred Sinowatz zog sich krank und deprimiert ins Burgenland zurück. Viktor Klima musste bis nach Argentinien gehen, um einen neuen Anfang zu finden. Wolfgang Schüssel verspielte am Ende alles und macht folgerichtig derzeit keinen fröhlichen Eindruck. Auch die Amtszeit des Alfred Gusenbauer war in Relation zur Vorbereitungsphase doch kurz bemessen (aber er scheint immerhin fröhlich).

Ähnlich die Vizekanzler in dieser Zeit: Androsch, Sinowatz, Nobert Steger, Alois Mock, Josef Riegler, Susanne Riess-Passer, Herbert Haupt, Hubert Gorbach, Wilhelm Molterer – sie sind oder waren von der Politik ausnahmslos mental oder sogar physisch schwer gezeichnet. Wem erging es besser? Einige hatten einfach Glück. Franz Vranitzky etwa, der in einem schmalen Zeitfenster von sich aus den Abschied nahm, unbeschädigt, nach einem Wahlsieg und ohne die Gefahr, dass ihm der Niedergang der Sozialdemokratie hätte angelastet werden können. Bei anderen war schon die Karriere und damit auch deren Ende von einem autonomen Umgang mit der Realität gekennzeichnet. Der Beinahe-­Vizekanzler Karl-Heinz Grasser zum Beispiel, dessen Resistenz gegenüber öffentlichen Angriffen stets ehrfurchteinflößend war: Auf meine Frage, ob das Konvolut von Angriffen nicht Narben hinterlassen habe, musste er lange nachdenken, bis er schließlich erklärte, dass ihn – bis auf eine kleine Episode des Verrats in der eigenen Partei – heute keinerlei Geister verfolgten.

Warum werden Politiker dennoch Politiker, warum verdrängen sie die erbarmungswürdige Befindlichkeit der Personen, die sie gerade selbst verdrängen? Ich glaube einfach nicht, dass es die Gestaltungsmöglichkeiten und damit der Gestaltungswille ist, also eine Art höherer Berufung, die Menschen an die Spitze der Politik treibt. Dort oben bleibt Altruismus ein leeres Wort; ein von hehren Motiven angefeuerter Regierungspolitiker ist mir nie untergekommen. Geld? Entgegen der landläufigen Argumentation spielt die Bezahlung natürlich eine Rolle. Jahresgehälter über 200.000 Euro wie die eines Ministers sind in der Privatwirtschaft selten, die Liste der in dieser Größenordnung honorierten Manager ist kurz. (Bis vor Kurzem kamen in der Politik noch überaus lukrative Pensionsregelungen hinzu.) Dass Spitzenpolitiker unterbezahlt seien, stimmt also nicht. Folgerichtig ist auch die Behauptung, Top-Manager würden wegen des Einkommensverlustes niemals in öffentliche Ämter wechseln, ein Unsinn. Vielmehr würden, so mein persönlicher Eindruck, viele bei der ersten Anfrage mit wehenden Fahnen überlaufen.

Warum? Ich glaube aus demselben Grund, warum Politiker sich so passioniert unglücklich machen: aus Eitelkeit. Die scheint sich nun einmal am besten befriedigen zu lassen, wenn die formale Bedeutung des Amtes öffentliche Bekanntheit mit sich bringt und in der Folge umfassende Aufmerksamkeit.

All das Leiden eines Politikers also nur für’s Wichtigsein, für Applaus, Schlagzeile und „Seitenblicke“? In den meisten Fällen ist es so.

[email protected]