Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Der Weg ist kein Ziel

Der Weg ist kein Ziel

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Fast ein Meilenstein. Am Freitag der vergangenen Woche einigte sich die Bundesregierung auf die Einführung einer Zentralmatura – als 25. Mitgliedsland der EU und daher doch knapp vorbei an einer Vorreiterrolle in Europa. Präziser: Man hat sich beinahe geeinigt. Denn nur der schriftliche Teil der Reifeprüfung wird künftig landesweit auf gemeinsamen Standard gebracht. Auch das Wort „Einigung“ bedarf einer Relativierung: Offensichtlich wurde keine inhaltliche Übereinstimmung erzielt, sondern vielmehr ein Gegengeschäft zwischen Bildungs- und Wissenschaftsministerium abgewickelt, wobei das Tauschgut über das Glattstellen der Rechnung hinaus in keinem Zusammenhang mit der Maturareform steht.

So wird Politik gemacht, und der Bürger muss schon dankbar sein, wenn der Zufall es zulässt, dass ein vernünftiges Ergebnis erzielt werden kann, wie in diesem Fall. Wie man doch auch generell froh sein sollte, wenn eine Woche über das Administrieren hinaus irgendeinen erkennbaren inhaltlichen Wert der politischen Arbeit gebracht hat. Es war also eine gute Woche.

Was will diese Regierung eigentlich?
Diese Frage ist so schwer zu beantworten, dass sich der Kommentator bisweilen die Streitereien zwischen ­Alfred Gusenbauer und Willi Molterer zurückwünscht, die immerhin ähnlich unterhaltsam zu beschreiben waren wie eine späte Runde im Kampf müde gewordener Boxer. Gelegentlich versucht sich der Kommentator auch zu erinnern, wann zuletzt eine einprägsame Wortschöpfung aus dem Parlament gedrungen ist oder ein mit Intellekt gewobener politischer Gedanke. Gusenbauers „solidarische Hochleistungsge­sellschaft“ etwa hätte es sich nie erträumt, eines Tages zum Inhalt wehmütiger Erinnerungen an bessere Zeiten zu ­werden.
Welche langfristigen Ziele diese Koalition verfolgt, ist vor allem deshalb nicht zu eruieren, weil Ziele zunächst einmal erdacht, formuliert und vorgetragen werden müssten. Mit Personen, die in einer dieser Künste überdurchschnittlich begabt wären, ist freilich weder die Regierung noch das ihr angeschlossene Abgeordnetenhaus gesegnet.

Die klassischen Ministerien zum Beispiel, die ein ordentliches Maß an Gedankenfreiheit erlauben, wenn nicht sogar erfordern, sind mit dem Gegenteil von kreativer Führung ausgestattet worden. Während in Frankreich mit Frédéric Mitterrand eben der flamboyante Neffe des ehemaligen Präsidenten Kultur­minister wurde, wird das entsprechende Ressort der Kulturnation Österreich von einer kreuzbraven Bankerin geleitet, einer sympathischen Person, der man zutraut, mit guter Kritik Schultheater gespielt zu haben, aber nicht, für ihre Amtszeit einen eigenständigen Kulturbegriff zu entwickeln, den sie dann auch noch bereit wäre, in öffentlichem Diskurs und mit Leidenschaft zu verteidigen.
Ebenso wenig scheint das in seiner Aufgabenstellung mit intellektuellem Potenzial ausgestattete Ministerium der Volkspartei durch eine entsprechende Person besetzt worden zu sein: Michael Spindelegger mag das Zeug zu einem die Welt verändernden ÖAAB-Obmann ­haben. Eine derartige Qualifikation darf aber als Ausschlussgrund gewertet werden, wenn es gilt, einen visionären Außenpolitiker zu suchen, einen Henry Kissinger, Bruno Kreisky oder Joschka Fischer, um bildhaft große Namen zu nennen. Claudia Schmied und Michael Spindelegger, zwei Administratoren der Macht. Wie ihre Parteichefs auch: Josef Pröll hat sich übers Jahr zum gewitzten Redner entwickelt. Auf den einen richtungsweisenden Satz wartete das Land aber bisher vergeblich. Werner Faymann? Er hat sich nicht entwickelt.

So ist diese Regierung denn auch nur mit zwei Themen nachhaltig beschäftigt, genauer gesagt, sie wird von zwei Themen beschäftigt, in beiden Fällen nämlich als hilflos Getriebene und nicht als die Treiber einer Entwicklung.

Da seien die Ausländer genannt, bei denen eine von FPÖ und BZÖ in Parteiform gegossene Xenophobie die Koalition zu immer abenteuerlicheren Versuchsanordnungen drängt. Zuletzt war es die Innenministerin, die sich am Ende ihres politischen Lebensbogens nun materialisieren darf, indem sie Beschuldigten den Status von Verurteilten verleiht, um solcherart die Evolution der Demokratie über mehrere Jahrtausende auszuhebeln.
Und da ist die Krise. Sie bestimmt den Tagesablauf des politischen Personals im Land, sie gestaltet dessen Gedankenwelt. Jede Aktion ist bloß eine notwendige Reaktion, jede politische Idee braucht sich nur als Löschwasser an einem Krisenherd zu bewähren. Was wäre diese Regierung ohne Weltwirtschaftskrise? Wäre diese Regierung überhaupt ohne Krise?

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