Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Die Ein-Kandidaten-Demokratie

Die Ein-Kandidaten-Demokratie

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Der nächste Bundespräsident heißt wie der derzeitige Heinz Fischer. Er wird kandidieren, das gab er vergangene Woche durchaus charmant per Video im Internet bekannt, und es ist denkunmöglich, dass Fischer die Wahl nicht gewinnt. Wenn er allein antritt, sowieso, und bei einem Gegenkandidaten auch: Niemand kann gegen ihn gewinnen. Hugo Portisch, der in der Vergangenheit oft als idealer Kandidat bezeichnet worden war, führt das Personenkomitee zur Wiederwahl inoffiziell an, was alles über die Akzeptanz dieses Staatsoberhaupts sagt.

Mit Recht? Mit Recht. Fischer hat die Möglichkeiten des Amts in Kenntnis der österreichischen Verfassung und des relativen Gewichts seiner öffentlichen Auftritte perfekt genutzt. Wer meint, es sei wesentlich mehr drin gewesen, sei an die Versuche des Vorgängers Thomas ­Klestil erinnert. Da hatte schon das kleine Mienenspiel zur scheinbar rechten Zeit verheerende Auswirkungen auf die Autorität des Präsidenten.
Über wie wenig Macht Fischer selbst im Bereich moralischer Befundungen verfügt, zeigen zwei Beispiele: Sein Plädoyer für den Verbleib von Arigona Zogaj hatte dieselbe Wirkung wie sein Eintreten für homosexuelle Eheschließungen am Standesamt, nämlich gar keine.

Das Einzige, was man ihm vorwerfen kann: Er ist von einer politischen Partei nominiert worden und kann so niemals ein formal überparteilicher Kandidat und daher in der Wahrnehmung nie ein unparteiischer Präsident werden. Aber wer sonst hätte ihn denn aufstellen sollen? Die Naturfreunde vielleicht oder der ARBÖ?

Das alles gesagt: Wenn niemand gegen Fischer antritt, kommt die Republik in eine ungute Situation. Genauer: wenn kein ernsthafter Kandidat abseits von Lugner gegen ihn antritt.
Artikel 1 der österreichischen Bundesverfassung: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Wikipedia: „Sowohl das Staatsoberhaupt als auch die Volksvertreter werden in einer demokratischen Republik auf Zeit vom Wahlvolk gewählt.“ Wenn aber niemand gegen Fischer antritt, dann kann das Volk im rechten Sinne des Wortes nicht wählen.

Im konkreten Fall mag diese Diskussion sophistisch anmuten. Es bestehen natürlich keine Tendenzen, die Demokratie zurückzufahren. (Das war bei der – schnell durchgewunkenen – Verlängerung der Legislaturperiode sehr wohl so, und ein Mehrheitswahlrecht hätte erst recht eine derartige Tendenz.) Vielmehr scheuen die Parteien aus pragmatischen Gründen davor zurück, einen Kandidaten zu nominieren. Bei der ÖVP ist der Erkenntnisprozess weit fortgeschritten, dass Fischer nicht zu schlagen ist und die Wahl als Niederlage der Partei registriert würde. Ein „großes Kaliber“ (Zitat Landeshauptmann Josef Pühringer) würde verheizt, ein kleineres Geschoss brächte ein überdies peinliches Ergebnis. Für die anderen Parteien stellt sich die Frage, ob der Werbewert der Kandidatur in einem sinnvollen Verhältnis zu den Kosten stünde.

Und dennoch: Was passiert, wenn solche Abwägungen zum Usus werden? Im – in jeder Hinsicht – entfernten Afghanistan ist gerade Derartiges geschehen. Der Herausforderer des amtierenden Präsidenten zog seine Kandidatur bei der zweiten Wahlrunde wegen Chancenlosigkeit zurück. Eine Wahlkommission erklärte daraufhin Hamid Karzai in abenteuerlicher juristischer Argumentation ohne gültige Wahl zum alten und neuen Staatsoberhaupt. Der Westen gratulierte.

Nicht ganz unähnlich könnte freilich auch die eine oder andere Bundespräsidentenwahl der Zukunft zur Ein-­Kandidaten-Show werden. Was spricht dagegen, dass die Parteien ihre potenziellen Kandidaten per Demoskopie auf Tauglichkeit untersuchen und bei mangelnden Erfolgsaussichten auf deren Antreten verzichten? Dasselbe könnte den direktdemokratischen Instrumenten im Staat widerfahren. Volksbegehren, vor allem aber Volksbefragungen und Volksabstimmungen würden dann bei schlechter Ausgangslage vorzeitig abgeblasen.
Das Volk wäre von vielen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Demoskopie statt Demokratie, eine verfassungsmäßige Umgehung der Verfassung.

Wer kann das alles verhindern? Der Bundespräsident. Wenn er der lupenreine Demokrat ist, für den man ihn halten darf, dann müssen ihm die faktische Problematik und die verheerende Optik einer Wahl ohne Herausforderer bewusst sein. Heinz Fischer selbst muss nach Gegenkandidaten rufen.

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