Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Die Kirche und der Sex

Die Kirche und der Sex

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Katholischen Priestern und Bischöfen fehlt die Kompetenz, über Sex zu sprechen, da sie diesem abgeschworen haben. Ein verquerer Gedanke? Für einen Kirchenmann darf er das nicht sein. Denn genau dieser Argumentation, in sich geschlossen und daher logisch nicht direkt angreifbar, bedient sich die Kirche, wenn es um Gott und den Glauben geht. So etwa: Wer nicht glaubt, kann nicht über die Existenz Gottes sprechen, da er Gott nicht kennt.

Der Unterschied zwischen diesen beiden Argumenten ist bloß: Das erste gilt, das zweite nicht. Spätestens im vergangenen Jahrhundert hat sich abseits einiger dunkler Weltgegenden (Iran, der Vatikan …) dann ja doch der Gedanke durchgesetzt, dass neben einem gottgetriebenen Weltbild auch agnostische und atheistische Lebensmodelle gleichberechtigt zugelassen sein müssen, dass also Außensicht und Außeninterpretation anderer Philosophien sinnhaft sind und einen Bedeutungsinhalt haben: Der Agnostiker Heinz Fischer darf dem Katholiken Christoph Schönborn also erklären, ­warum es keinen Anhaltspunkt für die Existenz Gottes gibt (und der Kardinal darf dem Bundespräsidenten im Gegenzug die Länge der Ewigkeit beschreiben, die jener für diese Behauptung in der Hölle garen wird).

Spätestens im vergangenen Jahrhundert hat freilich auch die Überzeugung Platz gegriffen, dass die menschliche Seele nicht so sehr von Gott durchdrungen ist wie von den Auswirkungen des Geschlechtstriebes. Wer noch nicht mit Darwin erkannt hatte, dass es ohne die ständige Suche nach Sexualpartnern keine Menschheit gäbe, der durfte bei Freud erfahren, dass diese Besessenheit nicht bloß auf das fortpflanzungsfähige Alter beschränkt ist, sondern bereits an der Mutterbrust beginnt und erst im feuchten Grab endet.

Zum Leben mit Gott gibt es also ein massentaugliches Gegenmodell, zum Leben mit Sex gibt es das nicht. Wenn der gottgefällig lebende Priester über Sex spricht, dann spricht er nicht nur von etwas, das er nicht kennt, sondern darüber hinaus von einer Angelegenheit, die er für sich selbst mühsam bekämpft oder verdrängt. (Die Vorstellung eines entsprechenden Gesprächs in der Sache à la Kardinal und Bundespräsident hinsichtlich des Glaubens ersparen wir uns.)

Kirche und Sex sind scheinbar so hermetisch getrennt, dass schon die Verbindung der beiden Worte in einem Satz skandalös wirkt. Aber eben nur scheinbar. In Wahrheit hat kaum eine Institution eine derart intensive, weil unnatürliche Beziehung zu allem Sexuellen. Der Mensch ist nun mal nicht für den Zölibat gemacht, genauer gesagt nicht für die Keuschheit. Der Biologie zuwiderzuhandeln mag im Einzelfall gut laufen, über ein große Gruppe von Menschen wie den gesamten Klerus gelegt, muss die Sache aber zwangsläufig schiefgehen.

Die Geliebte des Priesters vulgo Pfarrersköchin und die gemeinsamen Kinder sind ein Massenphänomen seit Jahrhunderten. Aus dem Blickwinkel der Kirche waren sie stets mehr ein geduldetes Ventil des offensichlich nicht zähmbaren Körpers als eine Addition gleich mehrerer Vergehen gegen das eigene Sündenregister. Aus der Perspektive der betroffenen Frauen und Kinder begründete die göttliche Doppelmoral allerdings noch bis tief ins 20. Jahrhundert ein Schattendasein mit allen ökonomischen und psychologischen Folgen. (Vergangene Woche suchte eine Selbsthilfegruppe ehemaliger Priesterfrauen Kontakt zu profil. Kein Wunder.)

Ein kleines Verbrechen der katholischen Kirche. Klein im Vergleich zum Missbrauch von Kindern im Umfeld katholischer Institutionen, wie er in diesen Wochen in epidemischem Ausmaß publik wird. Klein, aber mit denselben Wurzeln. Denn selbstverständlich ist dieser Missbrauch zentral auf das missentwickelte, weil per se verbotene Verhältnis der Geistlichen zur Sexualität zurückzuführen.

Wenn der Klerus, allen voran der Papst, aber auch Christoph Schönborn, den Zusammenhang zwischen Zölibat und Missbrauch nicht wahrhaben will, unterliegt er einem in seinen Folgen schwer wiegenden Irrtum. (Der Kardinal bemühte dazu unlängst einen gewagten Umkehrschluss, indem er sich zu folgendem Satz verstieg: „Wenn der Zölibat der Grund für sexuellen Missbrauch wäre, dürfte es überall dort, wo es den Zölibat nicht gibt, auch keinen Missbrauch geben.“) Vielmehr ist es ein naheliegender und vom Gros der Psychotherapeuten unterstützter Gedanke, dass sich auch hier die unterdrückte Sexualität ein Ventil gesucht hat. Und weil diese Sexualität nicht nur unterdrückt war, sondern auch völlig unerprobt und damit hilflos allfälligen Reizen ausgeliefert, waren dieser Reiz oft die erstbesten Buben in intimer Schlafsaal- oder Beichtstuhlatmosphäre.

Aber wie bitte sollen jene, die nun nach den Ursachen in der Vergangenheit suchen, um die Folgen für die Zukunft zu vermeiden, diese Ursachen finden, wo ihnen doch der Zugang zu dem Thema fehlt? Augenfälliger getextet: Wie sollen Papst, Bischöfe und Priester über die Vorteile und Nachteile von Sexualität und Ehe befinden, wo sie doch beides niemals testen durften, wo der innere Kreis ihrer Berater jedwede einschlägige Erfahrung abstreiten muss, wo keiner von ihnen auch nur zugeben wird, je eine nackte Frau gesehen zu haben? Eine unmögliche Aufgabe.

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